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Nr. 4

- J UGEND

1899

P. Haustein (München).

wußte Line aber vor Verlegenheit
nicht aus noch ein. Sic wollte nicht Nein sagen
und konnte nicht Ja sagen. Schließlich brach-
te sie ein zaghaftes „VW heraus. „Uppen
Standesamt bei den Burenmcsten sind wi
nich wäsen un in de Racken sind wi ok nich '
wäsen un en pastcr war ok nich darbi."

„Dacht' ich mirs dochl (!) heiliger Gott,
sieh gnädig herab auf diese Gesunkenen!
Also einfach so zusammcngclaufen, ohne
Gottes Segen, ohne die Lcrcmonicn der
Rirche, wie das unvernünftige Vieh."

„Herr pastcr! nä, da dohn Se mi abers
Unrecht, wi hcbbt ok use richtige Zeremonien
darbi harrt, als et bi uns Lüc Mode is."

„waaas? Lcrcmonicn? bei Euch —
Gesindel?"

„wenn wi ok man Gesindel sind; Ehre
hcfft wi akrat so god inn Licwe as Ii un
Joe Anhang, Herr Pastcr. Awcrs ick will
Io dat vcrkellen, wie Heini un ick upp
ehrliche Art koppelccrt worden sind."

Es schien, als wenn mit der Erinner-
ung an vergangene Zeit eine Art Ekstase
über das armselige Weib, die Angehörige
des heimatlosen Vagabundcnvolkes gekom-
men wäre; cinfaftunheimlichespathosthcilkc
sich ihren Worten mit, die jetzt aus einem
wunderlichen Gemisch von Hochdeutsch und
plattdeutsch bestanden.

„weit hinten inn Lannc, da wo das
Nordmecr ans Land fressen thut, da is
mitten inner großen Heide die Rarlsburg,
was 'n großen Berg mit'n Thal inner
Mitten is — un da hat der große Röntg
Rarl sich mal in dcfendccrt gegen seine
Feinde, die ihm was anhabcn wollten, von
wcgcns weil sie ihn inn alten, freien Sasscn-
landc nich haben wollten. Un dichte dabei
das Bultenbctt, worein die Riesen ihren
Röning begraben tharcn. Da sind jetzt
noch'» Menge bannig große Steiner auf.
wenn die Nächc inn Sommer am kortstcn
sind, um Ichanni, denn kommt unser Volks
mit seine Wagens da zusammen, un denn
brennen wir da'n großes Feuer an und
sind immer lustig und fidel, un wer sick
frcen will, der thut das hier. Das sind
nu schon föftein Jahr her, daß Heini un
ick uns da koppeleeren ließen.

Was der Älteste von unser Volks war,
de Spökenkieker Lühr, der nu schon lange
dod cs, der hat immer das Roppelccren gc-
than. Als nu ann Abend alle zusammen
waren, is er auf den größten Stein vons
Bultenbctt gestiegen un hat
unsere VTamens, meinen un
Heini seinen, in alle vier
Winne gerufen.

Un denn har
er oben auf'n Stein
cn Feuer angelegt un
darauf cn Rrähe un en
Rrüzotter verbrennt. Un die
Anncrn sangen dabei:
wode, wodc, wodc,

Hal din mojer Fode!

Hier de Rreih un da de Gdd;

Bewahre Mann un wies vöor Vloth!
wodc, wodc, du Gode.

Denn wurde cn großes Feuer gemacht
un Heini un ick faßten uns an un sprangen
dreimal darüber. Un en Besen smisscn
wir uns auch dreimal zu. Darupp wurde
Snaps drunken un danzd, un als wir an
hellen Middag in unscn wagen aufwachtcn,
da waren wir ehrlich Mann un Fro. —
— Nu, Herr pastcr, mör Ii nich mehr
scggcn, wi wccrn rosammenlopen ohn Zcre-
monjen."

Stumm blickte der Dorfpastor vor sich
nieder; dieser Blick in eine ungeahnte Tiefe
von Sünde und unseligem Aberglauben er-
füllte seine gereifte Seele mit Jammer und
Entsetzen. Er verabschiedete sich mit den
Worten: „Ich will über alles das schweigen,
wenn Sic mit Ihrem Manne am nächsten
Sonntag nach dem Gottesdienst zu mir in
die Sakristei kommen. Sagen Sic den
Rindern und den Dorflcuten nichts. Adieu."

„Adjc ok, Herr pastcr."

Nachdem Heini zurückgckehrt war, und
man gemeinsam sich am Igclbratcn güt-
lich gerhan hatte, erfuhr er von der Sache.

„Dcuwcll noch mal! Line, dat Dings
kost mi cn ganzen Dahler. Schalst sehn,
he will us ordentlich koppeleeren. Awcrs
wi mör hcngahn, sonst jagt he us de Po-
lizei up den Hals."

Am folgenden Sonntage fand vor dem
Pastor und dem Rüster als Zeugen die
Trauung statt. Unentgeltlich. •

Als das junge christliche Ehepaar aus
Hörweite von der Rirche entfernt war,
frug Heini seine Line: „Du, scgg mal, is
di als christliche Ehefro nu anners to Sinn?"

„VW

„Mi ok nich!"

Der gesparte Thalcr wurde an ihrem
2. Hochzeitstage in Schnaps angelegt; aber
geprügelt haben sie sich an diesem Tage
doch nicht mehr.

<6

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