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1899

JUGEND

Nr. 5

■®o*i?“uerte nidjt einmal so lange. Nach drei
<dipf avj, ö >ch nr der Zeitung, daß Sectious-
m Pension gegan
. Wochen begegnete ich

Besicht.

^uwerg in Pension gegangen iei. llkach
x ren drei Wochen begegnete ich dem Verlobten.
Gesicht " aus, aber er machte ein ernstes

irfi ??u ^bhst prächtig aus, alter Junge," redete
a> ihn an.

versetzte er mit leidender Geberde, „es
lnn„ ni,U aber gar nicht gut. Ich werde eine
agere Erholungsreise machen müssen."

»Io?" fragte ich gedehnt und schaute ihn

iiiw an- --Bist Du vielleicht auch — in Pen-
uon gegangen'?"

schien mich nicht zu verstehen. Scheu
ich er meinen Blicken aus.

iman gratuliren?" fragte ich ihn und
Zwinkerte dabei mit den klugen so listig, als es
"Nr möglich war.

n-^-Mau kann," sagte er mit einem halben
sAcheln. Dann sah er um sich, ob Niemand ihn
»scheln gesehen. Und dann sagte er, um sich für
teu.» ",Pensionirungsjcherz zu rächen, leise aber
iumph,re„v: „Ich bin frei..."

begab ich mich zu Reuse. Mama
nft "lich sehr ernst. Ich hatte natürlich
Ahnung, warum.

ich ftöhftck"'"^ unser junges Pärchen?" sragte

xWie?" sagte Mama, „Sie wissen noch nicht?"
Ich hatte keine Ahnung.

^Renee," sprach Mama, „geh' hinaus."
menee streckte mir die weiße Hand entgegen.
"Aus Wiedersehen, alter Freund," hauchte sie,
gali, irarme Zärtlichkeit in der Stimme, von
ÄUMuth leicht umschleiert. Diese umschleierte
ourtlichken hat sie immer nach verlorener Schlacht,
trat ein. Er schien schwere Geschäft-:-
^ haben und machte das strenge Gesicht
„'.Sere,zten Börsianers. Aber als er meiner
ward, ging ein Leuchten über feine
A,,„ ^"Ä^iteten Zuge, illllerdings biß er einen
„„öenblick auf die Unterlippe, aber das war
G eine unterdrückte Liebenswürdigkeit.

--Er weiß von nichts," sagte seine Frau.
Äreün°^bM.'.'," -L "Nun. Sie sind zwar ein

. - vv-yumi CI, ff’JlUüf

eunb des Doktor Dalberg, aber
>^--Ein Freund!" erwiderte ich gekränkt. „Wie
Mnen Sie das Jagen? Ich kenne ihn kaum.
^Uch haben unsere Charaktere niemals harmomrt.
x, 'Aas ist sehr schmeichelhaft für Sie " sagte
^ Pater, „denn Doktor Dalberg ist em Schuft.

»Ein Betrüger," ergänzte Mama.

, »Ein Schuft," wiederholte der Mann, der
"U anderes Wort zu finden vermochte.

Der Verlobte von ehemals ist immer ein
Schuft. Ich schaute das Elternpaar lange und
ernst an.

„Sehen Sie," sprach ich, „das Hab' ich mir
immer gedacht."

„Nicht wahr?" rief die Hausfrau, „er hatte
so etwas Tückisches im Blick."

Das hat der von ehemals immer.

„Er hat uns hintergangeu," grollte Papa, „er
hat sich m's Hans gedrängt. Er hat dem armen
Mädel den Kopf verdreht."

Alle haben sie Reuse den Kops verdreht.

„Ja," sagte ich, ,,eigentlich wunderte es mich
immer, wie Sie an ihm Gefallen finden konnten,
weder seine Erscheinung ..."

„Erscheinung!" Renses Mutter lachte schnei-
dend auf. „Er war klein und mager."

Beobachten Sie: Vor sechs Wochen noch war
er zierlich und schlank.

„Noch seine Bildung!" entwickelte ich weiter.

„Vom Jus versteh' ich mehr, wie er," ver-
sicherte Papa, „und das war daS einzige, was
er verstanden hat."

„O bitte!" lachte die Hausfrau, „er hat auch
gesungen. So oft er gesungen hat, Hab' ich
meinen Mann gefragt: Ich bitte Dich, muß man
sich das gefallen laßen, ivenn man eine Tochter
hat? Ist es nicht ivahr, Gabriel?" wandte sie
sich an ihren Mann.

„Kurz und gut," schloß ich, „er hatte hübsche
Zähne und kaufte Bonbonnieren."

„Die Zähne ivaren allerdings sehr hübsch,
verdächtig hübsch," sagte Mama mit einem
'-mflischen Lächeln, und wies mir grinsend ihr
t ldelloses falsches Gebiß.

„Ist es möglich? Ein so junger Mann."

„Na, nicht alle!" beruhigte mich die Haus-
frau.

Das ist die traurige Geschichte jeder unter-
drückten Verlobung: Er hatte Zähne wie eine
Maus, und dann kommt heraus, daß sie aus
Porzellan waren.

„Und was die Bonbonuiörcn anbelangt," er-
gänzte der Hausherr, „so kann man mit 60 fl.
inonatlich nicht viel Bonbonnieren kaufen, ivenn
man davon leben muß."

Ich dachte zurück an die 150 fl., die der Aermste
noch vor 0 Wochen hatte. Es ist merkwürdig,
aber der Verlobte hat immerbeinahe den doppelten
Gehalt, als der von ehemals. Auch hat der
von ehemals niemals Bonbonnieren gekauft,
me. Kein Mensch kann sich daran erinnern.

„Na, und der Onkel im Ministerium, der
ivird auch nicht viel iverth gewesen sein!" muth-
maßte ich so in's Blaue hinein.

„Der Onkel!" lachte der Herr des Hauses
grell, „der Sectionschef!"

„Hi!" sagte Mama, „der Sectionschef!"

„Erstens," fuhr der Gemahl fort, „war das
ein alter Esel."

Ich nickte nur. Gewöhnlich hat der Verlobte
von ehemals einen Onkel, der ein alter Esel ist.

„Und zweitens," ergänzte Papa, und aus
der Art, wie er die Augen rollte, konnte man
entnehmen, daß jetzt etwas Großes, kam.

„Und zweitens?"

„Und zweitens," fuhr er auf, „war er nicht
einmal sein Onkel. Ein Schwager von einem
Cousin war er, dieser Lump."

„Wer war der Lump?" erkundigte ich mich,
„der Doktor, der Cousin oder der Schwager?"

„Alle waren sie Lumpen!" schrie der alt«
Herr, heiser vor Äuth.

Ich stand auf. „Unter diesen Umständen,"
sagte ich, „ist es ein ivahres Glück, daß Sie die
Verlobung zurückgehen ließen."

„Verlobung?!" wiederholte Papa, ganz ver-
blüfft.

„Verlobung?!" rief Mama und staunte mit
offenem Mund.

„Verlobung mit ivem?" fragte der Vater
nochmals mit einer eisernen Stirn.

„Nun," sagte ich schüchtern, „mit Doktor Dal-
berg."

„Mit Doktor Dalberg?" erkundigte sich die
Mutter.

„Sie meinen," sagte der Vater, der langsam
aufzufassen schien, „Sie meinen, Renoe war mit
Doktor Dalberg verlobt?"

„Allerdings," versetzte ich zögernd, „ich
meinte so."

„Nein," sprach Papa mit Stolz und Würde,
„nein, nein, mein Lieber. So rasch verlobe ich
meine Tochter nicht mit dem ersten Besten. Er
ist in's Haus gekommen — eine Zeit lang, und
dann Hab' ich ihn hinausgeworfen."

„Er war also überhaupt gar nicht mit Rens«
verlobt?"

„Nie."

Das ist das Interessante: Der von ehemals
war überhaupt gar nicht mit Renöe verlobt.
Er ist in's Haus gekommen — eine Zeit lang.
Und dann hat man ihn hinausgeworfen.

Jlaoul Auernheimer.

Oer jSchlaf des Gerechten

Walther Georgi (München).

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Walter Georgi: Der Schlaf des Gerechten
 
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