1899
JUGEND
Nr. 6
Am Abhang liegen filmte Wolkenschatten,
Der Bergesschatten füllt das weite Thal
Und dämpft zu grauem Grün den Glanz der
Matten:
Der Gipfel glänzt im vollen letzten Strahl.
Wie nah sind meiner Sehnsucht die gerückt,
Die dort auf weiten Halden einsam wohnen
Und denen Güter, mit der Hand gepflückt,
Die gute Mattigkeit der Glieder lohnen.
Der wundervolle, wilde Morgenwind,
Der nackten Fußes läuft int Haidendust,
Der weckt sie aus; die wilden Bienen sind
Um sie und Gottes helle, heiße Luft.
Es gab Natur sich ihnen zum Geschäfte,
In allen ihren Wünschen quillt Natur,
Im Wechselspiel der frisch und müden Kräfte
Wird ihnen jedes warmen Glückes Spur.
Jetzt rückt der gold'ne Ball und er versinkt
In fernster Meere grünlichem Krhstaü:
Das letzte Licht durch ferne Bäume blinkt,
Jetzt athmet rother Rauch, ein Gluthemvall,
Den Strand erfüllend, wo die Städte liegen,
Die mit Najadenarmen, fluthenttaucht
In hohen Schiffen ihre Kinder wiegen,
Ein Volk, verwegen, listig und erlaucht.
Sie gleiten über ferne, wunderschwere,
Verschwieg'ne Fluth, die nie ein Kiel getheilt,
Es regt die Brust der Zorn der wilden Meere,
Da wird sie jedem Wahn und Weh geheilt.
So seh ich Sinn und Segen fern gebreitet
Und starre voller Sehnsucht stets hinüber,
Doch wie mein Blick dem Nahen näher gleitet,
Wird alles öd, verletzender und trüber;
Es scheint mein ganzes, mein versäumtes Leben,
Verlorne Lust und nie geweinte Thronen
Um diese Gaffen, dieses Haus zu weben
Und ewig sinnlos Suchen, wirres Sehnen.
(Am Fenster stehend)
Jetzt zünden sie die Lichter an und haben
In engen Wänden eine dumpfe Welt
Mit allen Rausch- und Thränengaben
Und was noch sonst ein Herz gefangen hält.
Sie sind einander herzlich nah
Und härmen sich um einen, der entfernt;
Und wenn wohl einem Leid geschah,
So trösten sie . . . ich habe Trösten nie gelernt.
Sie köitnen sich mit einfachen Worten,
Was nöthig zunt Weinen und Lachen, sagen,
Müssen nicht an sieben vernagelte Pforten
Mit blutigen Fingern schlagen.
Was weiß ich denn vom Menschenleben?
Bin freilich scheinbar drin gestanden,
Aber ich Hab' es höchstens verstanden,
Konnte mich nie darein verweben,
Hab' mich niemals dran verloren.
Wo andre nehmen, andre geben,
Blieb ich beifett, im Innern stummgeboren.
Ich Hab' von allen lieben Lippen
Den ivahren Trank des Lebens nie gesogen,
Bin nie von wahrem Schmerz durchschüttert,
Die Straße einsam, schluchzend, nie! gezogen.
Wenn ich von guten Gaben der Natur
Je eine Regung, einen Hauch erfuhr,
So nannte ihn mein überwacher Sinn,
Unfähig des BergessenS, grell beim Namen.
Und wie dann tausende Vergleiche knmeit,
War das Vertrauen, war das Glück dahin.
Und auch das Leid! zerfasert und zerfressen
Vom Denken, abgeblaßt und ausgelaugt!
Wie wollte ich an meine Brust es pressen,
Wie hätt' ich Wonne aus dem Schmerz gesaugt;
Sein Flügel streifte mich, ich wurde matt
Und Unbehagen kam an Schmerzes statt . . .
(Ausschrcckcnd)
Es dunkelt schon. Ich fall' in Grübelei.
Ja, ja. Die Zeit hat Kinder mancherlei.
Doch ich bin müd' und soll tvohl schlafen gehen.
(Der Diener bringt eine Lampe, geht dann wieder)
Jetzt läßt der Lampe Glanz mich luieber sehen
Die Rumpelkammer voller todtem Tand,
Wodurch ich doch mich einzuschleichen wähnte,
Wenn ich den groben Weg auch nimmer icmö
In jenes Leben, das ich so ersehnte.
(Vor dem Kruzifixe)
Zu deinen wunden, elfenbsinern' Füßen,
Du Herr am Kreuz, sind etliche gelegen,
Die Flammen niederbetend, jene süßen,
Ins eigne Herz, die wundervoll beioegen,
Und wenn statt Gluten öde Kälte kam,
Vergingen sie in Reue, Angst und Scham.
(Bor einem alten Bild)
Gioconda, du, aus wundervollem Grund
Herleuchtend mit dem Glanz durchseelter Glieder,
Dem räthelhaften, süßen, herben Mund,
Dem Prunk der träumescluveren Augenlider:
Grad so viel verriethest dn mir Leben,
Als fragend ich vermocht dir einzuweben!
(Sich abwendend, vor einer Truhe)
Ihr Becher, ihr, an deren kühlem Rand
Wohl etlich Lippen selig hingen,
Ihr alten Lauten, ihr, bei deren Klingen
Sich manches Herz die tiefste Rührung fand,
Was gäb' ich, könnt' mich Euer Bann erfassen,
Wie wollt' ich "tich gelangen finden lassen!
Ihr hölzern, ehern Schtlderwerk',
Verwirrend, formenguellend Bilderwerk',
Ihr Kröten, Engel, Greife, Faunen,
Phantast'sUle Vögel, gold'nes Fnichtgeschlinge,
Berauschende und ängstigende Dinge,
Ihr warst doch all einmal gefühlt,
Gezeugt von zuckenden, lebend'gen Launen,
Vom großen Meer emporgespült,
Und wie den Fisch das Netz, hat euch die Form
gefangen!
Umsonst bin ich, umsonst euch nachgegangen,
Von eurem Reize allzusehr gebunden:
Und wie ich eurer eigensinn'gen Seelen
Jedwede, >vie die Masken, durchempsiindeu,
War mir verschleiert Leben, Herz und Welt,
Ihr hieltet mich, ein Flatterschwarm, umstellt,
Abweidend, unerbittliche Harphen,
An frischen Qttellen jedes frische Blühen . ..
Ich Hab mich so an Künstliches verloren.
Daß ich die Sonne sah. aus tobten Augen
Und nicht mehr,hörte, als durch tobte Ohren:
Stets schleppte ich den rnthselhaften Fluch,
Nie ganz bewußt, nie völlig unbewußt,
Mit kleinem Leid und schaler Lust
Wein Leben zu erleben wie ein Buch,
Das man zur Hälft' noch nicht und halb nicht
mehr begreift,
Und hinter dem der Sinn erst nach Lebend'gem
schweift;
Und was mich quälte und was mich erfreute,
Mir war, als ob es nie sich selbst bedeute,
Nein, künft'gen Lebens vorgelieh'nen Schein
Und hohles Bild von einem bollern Sein.
So Hab' ich mich in Leid und jeder Liebe
Verwirrt mit Schatten nur herumgeschlagen,
Verbraucht, doch nicht genossen alle Triebe,
In dumpfem Traum, es würde endlich tagen.
Ich wandte mich und sah das Leben an;
Darinnen Schnellsein nicht zum Laufen nützt
Und Tnpfersein nicht Hilst zum Streit; darin
Unheil nicht traurig macht und Glück nicht froh:
Auf Frag ohn' Sinn folgt Antwort ohne Sinn;
Verwarnter Traum entsteigt der dunklen Schwelle
Und Glück ist alles. Stunde, Wind und Welle!
So schmerzlich klug und so enttäuschten Sinn
In müdem Hochmuth hegend, in Entsagen
Tief eingesponnen leb' ich ohne Klagen
In diesen Stuben, dieser Stadt dahin.
Die Leute haben sich entwöhnt zu fragen
Und finden, daß ich recht gewöhnlich bin.
(Der Diener kommt und stellt einen Teller Kirschen auf
den Tisch, dann will er die Balkonthüre schließen)
Claudio: Laß noch die Thüren offen . . . Was
erschreckt dich?
Diener: Euer Gnaden glauben mir's wohl nicht.
(Halb für sich, mit Angst)
Jetzt haben sie im Lusthaus sich versteckt.
Claudio: Wer denn?
Diener: Entschuldigen, ich weiß es nicht.
Ein ganzer Schwarm unheimliches Gesindel.
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JUGEND
Nr. 6
Am Abhang liegen filmte Wolkenschatten,
Der Bergesschatten füllt das weite Thal
Und dämpft zu grauem Grün den Glanz der
Matten:
Der Gipfel glänzt im vollen letzten Strahl.
Wie nah sind meiner Sehnsucht die gerückt,
Die dort auf weiten Halden einsam wohnen
Und denen Güter, mit der Hand gepflückt,
Die gute Mattigkeit der Glieder lohnen.
Der wundervolle, wilde Morgenwind,
Der nackten Fußes läuft int Haidendust,
Der weckt sie aus; die wilden Bienen sind
Um sie und Gottes helle, heiße Luft.
Es gab Natur sich ihnen zum Geschäfte,
In allen ihren Wünschen quillt Natur,
Im Wechselspiel der frisch und müden Kräfte
Wird ihnen jedes warmen Glückes Spur.
Jetzt rückt der gold'ne Ball und er versinkt
In fernster Meere grünlichem Krhstaü:
Das letzte Licht durch ferne Bäume blinkt,
Jetzt athmet rother Rauch, ein Gluthemvall,
Den Strand erfüllend, wo die Städte liegen,
Die mit Najadenarmen, fluthenttaucht
In hohen Schiffen ihre Kinder wiegen,
Ein Volk, verwegen, listig und erlaucht.
Sie gleiten über ferne, wunderschwere,
Verschwieg'ne Fluth, die nie ein Kiel getheilt,
Es regt die Brust der Zorn der wilden Meere,
Da wird sie jedem Wahn und Weh geheilt.
So seh ich Sinn und Segen fern gebreitet
Und starre voller Sehnsucht stets hinüber,
Doch wie mein Blick dem Nahen näher gleitet,
Wird alles öd, verletzender und trüber;
Es scheint mein ganzes, mein versäumtes Leben,
Verlorne Lust und nie geweinte Thronen
Um diese Gaffen, dieses Haus zu weben
Und ewig sinnlos Suchen, wirres Sehnen.
(Am Fenster stehend)
Jetzt zünden sie die Lichter an und haben
In engen Wänden eine dumpfe Welt
Mit allen Rausch- und Thränengaben
Und was noch sonst ein Herz gefangen hält.
Sie sind einander herzlich nah
Und härmen sich um einen, der entfernt;
Und wenn wohl einem Leid geschah,
So trösten sie . . . ich habe Trösten nie gelernt.
Sie köitnen sich mit einfachen Worten,
Was nöthig zunt Weinen und Lachen, sagen,
Müssen nicht an sieben vernagelte Pforten
Mit blutigen Fingern schlagen.
Was weiß ich denn vom Menschenleben?
Bin freilich scheinbar drin gestanden,
Aber ich Hab' es höchstens verstanden,
Konnte mich nie darein verweben,
Hab' mich niemals dran verloren.
Wo andre nehmen, andre geben,
Blieb ich beifett, im Innern stummgeboren.
Ich Hab' von allen lieben Lippen
Den ivahren Trank des Lebens nie gesogen,
Bin nie von wahrem Schmerz durchschüttert,
Die Straße einsam, schluchzend, nie! gezogen.
Wenn ich von guten Gaben der Natur
Je eine Regung, einen Hauch erfuhr,
So nannte ihn mein überwacher Sinn,
Unfähig des BergessenS, grell beim Namen.
Und wie dann tausende Vergleiche knmeit,
War das Vertrauen, war das Glück dahin.
Und auch das Leid! zerfasert und zerfressen
Vom Denken, abgeblaßt und ausgelaugt!
Wie wollte ich an meine Brust es pressen,
Wie hätt' ich Wonne aus dem Schmerz gesaugt;
Sein Flügel streifte mich, ich wurde matt
Und Unbehagen kam an Schmerzes statt . . .
(Ausschrcckcnd)
Es dunkelt schon. Ich fall' in Grübelei.
Ja, ja. Die Zeit hat Kinder mancherlei.
Doch ich bin müd' und soll tvohl schlafen gehen.
(Der Diener bringt eine Lampe, geht dann wieder)
Jetzt läßt der Lampe Glanz mich luieber sehen
Die Rumpelkammer voller todtem Tand,
Wodurch ich doch mich einzuschleichen wähnte,
Wenn ich den groben Weg auch nimmer icmö
In jenes Leben, das ich so ersehnte.
(Vor dem Kruzifixe)
Zu deinen wunden, elfenbsinern' Füßen,
Du Herr am Kreuz, sind etliche gelegen,
Die Flammen niederbetend, jene süßen,
Ins eigne Herz, die wundervoll beioegen,
Und wenn statt Gluten öde Kälte kam,
Vergingen sie in Reue, Angst und Scham.
(Bor einem alten Bild)
Gioconda, du, aus wundervollem Grund
Herleuchtend mit dem Glanz durchseelter Glieder,
Dem räthelhaften, süßen, herben Mund,
Dem Prunk der träumescluveren Augenlider:
Grad so viel verriethest dn mir Leben,
Als fragend ich vermocht dir einzuweben!
(Sich abwendend, vor einer Truhe)
Ihr Becher, ihr, an deren kühlem Rand
Wohl etlich Lippen selig hingen,
Ihr alten Lauten, ihr, bei deren Klingen
Sich manches Herz die tiefste Rührung fand,
Was gäb' ich, könnt' mich Euer Bann erfassen,
Wie wollt' ich "tich gelangen finden lassen!
Ihr hölzern, ehern Schtlderwerk',
Verwirrend, formenguellend Bilderwerk',
Ihr Kröten, Engel, Greife, Faunen,
Phantast'sUle Vögel, gold'nes Fnichtgeschlinge,
Berauschende und ängstigende Dinge,
Ihr warst doch all einmal gefühlt,
Gezeugt von zuckenden, lebend'gen Launen,
Vom großen Meer emporgespült,
Und wie den Fisch das Netz, hat euch die Form
gefangen!
Umsonst bin ich, umsonst euch nachgegangen,
Von eurem Reize allzusehr gebunden:
Und wie ich eurer eigensinn'gen Seelen
Jedwede, >vie die Masken, durchempsiindeu,
War mir verschleiert Leben, Herz und Welt,
Ihr hieltet mich, ein Flatterschwarm, umstellt,
Abweidend, unerbittliche Harphen,
An frischen Qttellen jedes frische Blühen . ..
Ich Hab mich so an Künstliches verloren.
Daß ich die Sonne sah. aus tobten Augen
Und nicht mehr,hörte, als durch tobte Ohren:
Stets schleppte ich den rnthselhaften Fluch,
Nie ganz bewußt, nie völlig unbewußt,
Mit kleinem Leid und schaler Lust
Wein Leben zu erleben wie ein Buch,
Das man zur Hälft' noch nicht und halb nicht
mehr begreift,
Und hinter dem der Sinn erst nach Lebend'gem
schweift;
Und was mich quälte und was mich erfreute,
Mir war, als ob es nie sich selbst bedeute,
Nein, künft'gen Lebens vorgelieh'nen Schein
Und hohles Bild von einem bollern Sein.
So Hab' ich mich in Leid und jeder Liebe
Verwirrt mit Schatten nur herumgeschlagen,
Verbraucht, doch nicht genossen alle Triebe,
In dumpfem Traum, es würde endlich tagen.
Ich wandte mich und sah das Leben an;
Darinnen Schnellsein nicht zum Laufen nützt
Und Tnpfersein nicht Hilst zum Streit; darin
Unheil nicht traurig macht und Glück nicht froh:
Auf Frag ohn' Sinn folgt Antwort ohne Sinn;
Verwarnter Traum entsteigt der dunklen Schwelle
Und Glück ist alles. Stunde, Wind und Welle!
So schmerzlich klug und so enttäuschten Sinn
In müdem Hochmuth hegend, in Entsagen
Tief eingesponnen leb' ich ohne Klagen
In diesen Stuben, dieser Stadt dahin.
Die Leute haben sich entwöhnt zu fragen
Und finden, daß ich recht gewöhnlich bin.
(Der Diener kommt und stellt einen Teller Kirschen auf
den Tisch, dann will er die Balkonthüre schließen)
Claudio: Laß noch die Thüren offen . . . Was
erschreckt dich?
Diener: Euer Gnaden glauben mir's wohl nicht.
(Halb für sich, mit Angst)
Jetzt haben sie im Lusthaus sich versteckt.
Claudio: Wer denn?
Diener: Entschuldigen, ich weiß es nicht.
Ein ganzer Schwarm unheimliches Gesindel.
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