Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 6

JUGEND

1899


Claudio: Bettler?

Diener: Ich weiß es nicht.

Claudio: Sv sperr'die Thüt,

Die von der Gasse in den Garten, zu,

Und leg' dich schlafen und laß mich in Ruh'.
Diener: Das eben macht mir solches Granu.

Ich Hab'

Die Gartenthür verriegelt. Aber . . .
Claudio: Nun?

Diener: Jetzt sitzen sie im Garten. Auf der

Bank,

Wo der sandsteinerne Apollo steht.

Ein paar im Schatten dort am Bruuuenraud,
Und einer hat sich auf die Sphinx gesetzt.
Man sieht ihn nicht, der Taxus steht davor.
Claudio: Siud's Männer?

Diener: Einige. Allein auch Frauen.

Nicht bettelhaft, altmodisch nur von Tracht,
Wie Kupferstiche angezogen sind.

Mit einer solchen grauenvollen Art
Still dazusitzen und mit todten Augen
Auf einen wie in leere Luft zu schauen.

Das sind nicht Menschen. Euer Gnaden sei'»
Nicht ungehalten, nur um keinen Preis
Der Welt möcht' ich in ihre Nähe gehen.

So Gott will, sind sie morgen früh verschwunden.
Ich will — mit gnädiger Erlaubnis; — jetzt
Die Thür vom Haus verriegeln und das Schloß
Einsprengen mit geweihtem Wasser. Denn
Ich habe solche Menschen nie gesehn,

Und solche Augen haben Menschen nicht.
Claudio: Thu' was Du willst und gute Rächt.
(Er geht eine Weile nachdenklich auf und nieder. Hinter
der Szene erklingt das sehnsüchtige und ergreifende Spiel
einer Geige, zuerst ferner, allmählich näher, endlich warm
und voll, als wenn es aus dem Nebenzimmer dränge.)

Claudio: Musik?

Und seltsam zu der Seele redende!

Hat mich des Menschen Unsinn auch verstört?
Mich dünkt, als hält' ich solche Töne
Von Menschengeigen nie gehört....

(Er bleibt horchend gegen die rechte Seite gewandt!
In tiefen, scheinbar lang ersehnten Schauern
Dringt's allgetvaltig auf mich ein)

Es scheint unendliches Bedauern,

Unendlich Hoffen scheint's zu sein,

Als strömte voll den alten, stillen Mauern
Mein Leben fluthend und verklärt herein.

Wie der Geliebten, wie der Mutter Kommen,
Wie jedes Langverlornen Wiederkehr,

Regt es Gedanken auf, die warmen, frommer,
Und wirft mich in ein jugendliches Meer:

Ein Knabe stand ich so in Frühlingsglänzcn
Und meinte anfzuschweben in das All,
Unendlich Sehnen über alle Grenzen
Durchwehte mich in ahnungsvollem Schwall!
Und Wanderzeiten kamen, rauschumsangen,
Da leuchtete manchmal die ganze Welt
Und Rosen glühten und die Glocken klangen
Von fremdem Lichte jubelnd und erhellt:

Wie lvaren da lebendig alle Dinge
Der« liebenden Erfassen nah' gerückt.

Wie fühlt' ich mich beseelt und tief entzückt
Ein lebend Glied im großen Lebcnsriuge!

Da ahnte ich, durch mein Herz auch geleitet,
Den Liebesstrom, der alle Herzen nährt,

Und ein Genügen hielt mein Ich geiveitet,
Das heute kaum mir noch den Traum verklärt.
Tön' fort, Musik, noch eine Weile so
Und rühr' mein Jun'res also innig auf:
Leicht wähn' ich dann mein Leben warm und froh,
Rücklebend so verzaubert seinen Lauf:

Denn alle süßen Flammen, Loh' an Loh'
Das Starre schmelzend, schlagen jetzt herauf!
Des allzualten, allzuwirreu Wissens
Auf diesen Nacken vielgehäufte Last
Vergeht, von diesen! Laut des Urgetvissens,
Den kindisch-tiefen Tönen ungefaßt.

Weither mit großem Glockenläuten
Ankündigt sich ein kaum geahntes Leben,

In Formen, die unendlich viel bedeuten
Gewaltig-schlicht im Nehmen und im Geben.

(Die Musik verstummt fast plötzlich)

Da, da verstummt, was mich so tief gerührt
Worin ich Göttlich-Menschliches gespürt!

Der diese Wuuderwelt unwissend hergesandt,
Er hebt wohl jetzt nach Kupfergeld die Kappe,
Ein abendlicher Bettclmusikant.

(Am Fenster rechts)

Hier unten steht er nicht. Wie sonderbar!

Wo denn? Ich will durchs andere Fenster

schauen. —

(Wie er nach der Thüre rechts geht, wird der Vorhang
leise zurückgeschlagen und in der Thür steht der Tod, den
Fidclbogen in der Hand, die Geige am Gürtel hängend.
Er sicht Claudio, der entsetzt zurückfährt, ruhig au.)

Claudio: Wie packt mich sinnlos namenloses

Grnu'n!

Wenn deiner Fidel Klang so lieblich war,
Was bringt es solchen Kampf, dich anzuschauen?
Und schnürt die Kehle so und sträubt das Haar?
Geh weg! Du bist der Tod. Was willst du hier?
Ich fürchte mich. Geh lveg! Ich kann nicht

schrei'»,

(fluk.nd)

Der Halt, die Lust des Lebens schwindet mir!
Geh' ivcg! Werries dich? Geh! Wer ließ dich ein?
Der Tod: Steh'auf! Wirf dies ererbte Grau'n

von dir!

Ich bin nicht schauerlich, bin kein Gerippe!
Aus des Dionysos, der Venus Sippe,

Ein großer Gott der Seele steht vor dir.
Wenn in der lauen Sommerabendfeier
Durch goldne Luft ein Blatt herabgeschwebt,
Hat dich mein Wehcil angeschauert,

Das traumhaft um die reifen Dinge webt,
Wenn Ueberschwellen der Gefühle
Mit warmer Fluth die Seele zitternd füllte,
Wenn sich im plötzlichen Durchzucken
Das Ungeheure als verwandt enthüllte,

Und du, hingehend dich im großen Reigen,
Die Welt empfingest als dein eigen:

In jeder wahrhaft großen Stunde,

Die schauern deine Erdenfvrm gemacht,

H>nb' ich dich angerührt im Seelengrunde
Mit heiliger, geheimnißvoller Macht.
Claudio: Genug. Ich grüße dich, wenngleich

beklommen.

(kleine Pause)

Doch wozu bist du eigentlich gekommen?

Der Tod: Mein Kommen, Freund, hat stets
nur einen Sinn!
Claudio: Bei mirhat'S eineWeilenoch dahin!
Merk': eh' das Blatt zu Boden schwebt,

Hat es zur Neige seinen Saft gesogen:

Dazu fehlt viel: Ich habe nicht gelebt!

Der Tod: Bist doch, wie alle, deinen Weg

gezogen!

Claudio: Wie abgeriss'ne Wiesenblumen
Ein dunkles Wasser mit sich reißt,

So glitten mir die jungen Tage,

Und ich Hab' nie gewußt, daß das schon Leben

heißt.

Dann — stand ich an den Lebensgittern,

Der Wunder bang, von Sehnsucht süß bedrängt.
Daß sie in majestätischen Gewittern
Aufstiegen sollten, wundervoll gesprengt.

Es kam nicht so — und einmal stand ich drinnen
Der Weihe bar und konnte mich auf mich
Und alle tiefsten Wünsche nicht besinnen,

Von einem Bann befangen, der nicht wich.
Von Dämmerung vertvirrt und ivie verschüttet,
Verdrießlich und im Innersten zerrüttet,

In jedem Ganzen räthselhast gehemmt,

Mit halbem Herzen, unterbund'nen Sinnen
Fühlt' ich mich niemals recht durchgluthet innen.
Von großen Wellen nie so recht geschwemmt,
Bin nie auf meinem Weg dem Gott begegnet.
Mit dem man ringt, bis daß er einen segnet.
Der Tod: Was Allen, ward auch Dir gegeben.
Ein Erdenleben, irdisch es zu leben.

Im Innern quillt euch Allen treu ein Geist,
Der diesem Chaos tvdter Sachen
Beziehung eiuzuhauchen heißt,

Und euren Garten draus zu machen
Für Wirksamkeit, Beglückung und Verdruß;
Weh dir, wenn ich dir das erst sagen muß!
Man bindet und man wird gebunden,
Entfaltung wirken schwül' und wilde Stunden:
In Schlaf geweint und mlld geplagt
Noch wollend, schwer von Sehnsucht, halbverzagt
Tiefathmend und vom Drang des Lebens warm..
Doch alle reif, fallt ihr in meinen Arm.
Claudio: Ich aber bin nicht reis, drum laß

mich hier.

Ich will nicht länger thöricht jammern,

Ich will mich an die Erdenscholle klammern,
Die tiefste Lebenssehnsucht schreit in mir.

Die höchste Angst zerreißt den alten Bann;
Jetzt.fühl' ich — laß mich — daß ich leben kann!
Register
Angelo Jank: Zeichnung zum Text "Der Thor und der Tod"
 
Annotationen