Adolf Münzer (München)
1899
„beute sind die Darren los!"
(Goethe)
Das Märchen vom blauen Lund
Line ganz unergründliche Geschichte von
Paul Schecrbart
Mker Ritter Knut Semcf'c von Bullerstein hat
,>K5 endlich ausgeschlafen, hat gleich sein Pan-
zerhemd angezogen, Stahlhäube auf den Brumm-
schädel gestülpt und sein Schwert in die kjand
genoinmen. Mit dem rechten Fuß stößt er die
Thür zum Altan grimmig auf und saugt die
frische Abendluft in langen Zügen schmun-
zelnd ein.
Da steht er nun auf seinem Altan. Die
Sonne geht drüben überm Birkenwäldchen grade
unter.
„Lange geschlafen!" sagt der Knappe und
setzt den Morgenimbiß auf dcir Tisch — Tier,
Schinken, Butter, Brod, sauren Aal und eine
Kanne Moselwein.
Der Ritter ißt und trinkt und denkt an die
wüste Nacht, die nun auch hinter ihm liegt.
Die Sonne geht unter — der Mond geht auf.
Der Knappe bringt ein gebratenes Buhn
nebst rothcm Wein und verschwindet wieder
— lautlos wie ein stiller Schatten.
Knut beugt sich über die Brüstung des
Altans und schaut in die tiefen bewaldeten
Abgründe; er denkt an was, vergißt es aber
gleich wieder. Die Spitzen der Tannen, Fichten,
Buchen, Erlen und Eichen sind tief tief unter
Knut. Der Mond bescheint die welligen Wald-
berge und auch die stramme Burg.
Der Ritter beißt in's Buhn und läßt die
Wälder das sein, was sie sind. Dock plötzlich
hört er's bellen da unten.
„Wetter!" ruft er, „ist das nicht mein
todter lhund? Der bellte doch grade so."
Er erhebt sich und brüllt: „kjoxsmajor!"
— denn so hieß der kjund bei Lebzeiten.
Der Vollmond leuchtet unheimlich hell, kjops-
major bellt — die Echos umhallen Knutens Ghr.
Der 6und kriecht langsam an der Burg
empor; Knut hört's ganz deutlich. In den
blecken raschclts, alte Ziegelsteine rollen in's
Thal, und dazwischen bellt der dumme Köter.
Deni Ritter Lemcke von Bullerstcin sträuben
sich sämmtliche chaarc, er murmelt mit großen
Augen: „(D Karoline!"
Jetzt ist der chund dicht unter der Brüstung,
das Gebell wird schrecklich laut, Leuicke stößt
vor Schreck auffahrend mit dem linken Ellen-
bogen die Kanne um, und der gute Rothwein
übersprudclt die Fliesen des Altans.
„Knut! Knut!"
So hört der Ritter rufen unter der Brüstung,
und „lhopsmajor!" stößt er heiser hervor. Und
danach sieht der Bcrr von Bullerstein seines
tobten kfundes Antlitz über der Brüstung.
„Das Thier hat sich doch stark verändert,"
denkt sein lherr, „denn es ist ganz blau, ganz
blau — wie Blaubeeren."
„Nu?" brüllt der kjund finster, „wunderst
Du Dich denn gar nicht, mich heute Abend
im Mondenschein wiederzusehen?"
ksopsmajor, eine kräftige Dogge, legt die-
Vorderpfoten auf die Brüstung, der Ritter-
stottert: „Ich — ich turnt — wundrc mich nie!"
„Denn nich!" erwidert lächelnd die blaue-
Dogge, „weißt Du auch, was ich jetzt vorstelle?"
„Nee!" versetzt der Lemcke, „nee!"
Zwei haarfeine Blitze umzucken den Mond-
— wie Eichenäste sehen sie aus.
bjoxsmajor zieht die Hinterbeine nach und-
geht auf der Brüstung des Altans langsam
auf und ab. Der Ritter reicht dem Thier den
Rest des Buhns, doch der Hund winkt mit
der linken Vorderpfote ab.
„Aber!" ruft der gute Knut — Hund mit
Huhn sinkt in den ritterlichen Schooß.
Des Hundes rechtes Hinterbein, das auch
ganz blau ist wie der ganze Bund, wird btef
— und dicker — und dann immer länger —
riesig lang — bis in den Bimmel reicht es-
bald hinein — bis an die Sterne. Die Krallen
kratzen an beit Sternen, und dann wird das-
Bcin wieder so, wie's war. — „Nu?" fragt
der Ejmtb, „weißt Du tttt, was ich vorstelle?"
„Nee!" heißt es wieder.
Itzo wird der Kopf des Hopsmajors immer
größer utid dicker — so groß, daß der Ritter-
gar nicht mehr das ganze Thier sehen kann
— blos die große Riesenschnauze sieht er —
Nichts als Schnauze!
Die Schnguze drückt den Herrn Ritter an
die wand, daß der „Au!" schreit. Und da>
wird der Kopf wieder, wie er war.
102
1899
„beute sind die Darren los!"
(Goethe)
Das Märchen vom blauen Lund
Line ganz unergründliche Geschichte von
Paul Schecrbart
Mker Ritter Knut Semcf'c von Bullerstein hat
,>K5 endlich ausgeschlafen, hat gleich sein Pan-
zerhemd angezogen, Stahlhäube auf den Brumm-
schädel gestülpt und sein Schwert in die kjand
genoinmen. Mit dem rechten Fuß stößt er die
Thür zum Altan grimmig auf und saugt die
frische Abendluft in langen Zügen schmun-
zelnd ein.
Da steht er nun auf seinem Altan. Die
Sonne geht drüben überm Birkenwäldchen grade
unter.
„Lange geschlafen!" sagt der Knappe und
setzt den Morgenimbiß auf dcir Tisch — Tier,
Schinken, Butter, Brod, sauren Aal und eine
Kanne Moselwein.
Der Ritter ißt und trinkt und denkt an die
wüste Nacht, die nun auch hinter ihm liegt.
Die Sonne geht unter — der Mond geht auf.
Der Knappe bringt ein gebratenes Buhn
nebst rothcm Wein und verschwindet wieder
— lautlos wie ein stiller Schatten.
Knut beugt sich über die Brüstung des
Altans und schaut in die tiefen bewaldeten
Abgründe; er denkt an was, vergißt es aber
gleich wieder. Die Spitzen der Tannen, Fichten,
Buchen, Erlen und Eichen sind tief tief unter
Knut. Der Mond bescheint die welligen Wald-
berge und auch die stramme Burg.
Der Ritter beißt in's Buhn und läßt die
Wälder das sein, was sie sind. Dock plötzlich
hört er's bellen da unten.
„Wetter!" ruft er, „ist das nicht mein
todter lhund? Der bellte doch grade so."
Er erhebt sich und brüllt: „kjoxsmajor!"
— denn so hieß der kjund bei Lebzeiten.
Der Vollmond leuchtet unheimlich hell, kjops-
major bellt — die Echos umhallen Knutens Ghr.
Der 6und kriecht langsam an der Burg
empor; Knut hört's ganz deutlich. In den
blecken raschclts, alte Ziegelsteine rollen in's
Thal, und dazwischen bellt der dumme Köter.
Deni Ritter Lemcke von Bullerstcin sträuben
sich sämmtliche chaarc, er murmelt mit großen
Augen: „(D Karoline!"
Jetzt ist der chund dicht unter der Brüstung,
das Gebell wird schrecklich laut, Leuicke stößt
vor Schreck auffahrend mit dem linken Ellen-
bogen die Kanne um, und der gute Rothwein
übersprudclt die Fliesen des Altans.
„Knut! Knut!"
So hört der Ritter rufen unter der Brüstung,
und „lhopsmajor!" stößt er heiser hervor. Und
danach sieht der Bcrr von Bullerstein seines
tobten kfundes Antlitz über der Brüstung.
„Das Thier hat sich doch stark verändert,"
denkt sein lherr, „denn es ist ganz blau, ganz
blau — wie Blaubeeren."
„Nu?" brüllt der kjund finster, „wunderst
Du Dich denn gar nicht, mich heute Abend
im Mondenschein wiederzusehen?"
ksopsmajor, eine kräftige Dogge, legt die-
Vorderpfoten auf die Brüstung, der Ritter-
stottert: „Ich — ich turnt — wundrc mich nie!"
„Denn nich!" erwidert lächelnd die blaue-
Dogge, „weißt Du auch, was ich jetzt vorstelle?"
„Nee!" versetzt der Lemcke, „nee!"
Zwei haarfeine Blitze umzucken den Mond-
— wie Eichenäste sehen sie aus.
bjoxsmajor zieht die Hinterbeine nach und-
geht auf der Brüstung des Altans langsam
auf und ab. Der Ritter reicht dem Thier den
Rest des Buhns, doch der Hund winkt mit
der linken Vorderpfote ab.
„Aber!" ruft der gute Knut — Hund mit
Huhn sinkt in den ritterlichen Schooß.
Des Hundes rechtes Hinterbein, das auch
ganz blau ist wie der ganze Bund, wird btef
— und dicker — und dann immer länger —
riesig lang — bis in den Bimmel reicht es-
bald hinein — bis an die Sterne. Die Krallen
kratzen an beit Sternen, und dann wird das-
Bcin wieder so, wie's war. — „Nu?" fragt
der Ejmtb, „weißt Du tttt, was ich vorstelle?"
„Nee!" heißt es wieder.
Itzo wird der Kopf des Hopsmajors immer
größer utid dicker — so groß, daß der Ritter-
gar nicht mehr das ganze Thier sehen kann
— blos die große Riesenschnauze sieht er —
Nichts als Schnauze!
Die Schnguze drückt den Herrn Ritter an
die wand, daß der „Au!" schreit. Und da>
wird der Kopf wieder, wie er war.
102