Nr. 7
JUGEND
1899
Die Königin der Nacht
von Josef Mllomitzer
„Ja ja, liebe Frau," sagte der neue Niether
des hübschen Zimmers, „tritt der Einrichtung
bin ich jetzt einverftaudent worum es sich han-
delt, wissen Sie. Ich habe dieses Zimmer gc-
miethet, um einer jungen Dame, die einen
Kroaten geheiratet hat, und die ihren Mann zum
Geburtstage mit der Kenntniß seiner Mutter-
sprache überraschen will, kroatischen Unterricht
zu erthcilcn. Heute Abend wird dieser Unter-
richt beginnen..."
Die dicke Frau grinste unverschämt. „Ach,
kroatisch — das macht ich auch gern lernen,"
sagte sic.
Er aber warf ihr einen Blick zu, aus dessen
kühler Strenge deutlich zu erkennen war, daß
er thurmhoch über dem Argwohn dieser kleinen
Seele stand, und daß der augekündigte Sprach-
unterricht, wenn er ein Vorwand war, nichts
weiter zu bemänteln hatte, als einen einwand-
freien Seelenbund.
In-dem schwül duftenden, verwirrend schim-
mernden Maskcngewühle gab cs eine Königin
der Nacht aus Mozart's „Zauberflöte". Linen
silbernen Halbmond trug sie im schwarzen Haare,
in sternbesäete dunkle Schleier war sie gehüllt.
Im hastigen Flllstergespräch mit einem Domino
schritt sie zuckend und bebend einher mit leb-
haftem Halbmond- und Sterngezitter.
„Ls kann nicht sein," sagte sie, „ich hatte
einen gräßlichen Traum: Wir saßen in dem
Zimmer, das Du gemiethet hast. . ."
„Du wirst entzückt fein. Ls ist ein reizendes
Nest, ganz geschaffen für uns Zwei, die nichts
Anderes wollen, als ab und zu fern der heuch-
lerischen Menschenbrut einander in's Auge
blicken, das reine Glück des Alleinseins ge-
nießen ..."
„Aber mein Traum! Denke nur: wir saßen
in jenem Zimmer, wurden überfallen, das
Blut floß in Strömen ..."
„Kindisches Kind! In einer Stunde sind
wir wieder da, und Dein Mann holt Dich sicher
nicht vor Mitternacht. Komm
schnell, Stefanie. Ls gibt ein
heimliches Seitenpförtchen, das
direkt in's Freie führt. Dort wartet
der Wagen."
Die Königin der Nacht war
außer sich. Sie schwur, daß dies
genau dasselbe Zimmer sei, das
sie im Traume gesehen.
Lr aber nahm ihr sanft den
Mond aus dem Haare und sprach
ihr zu mit tröstenden Schmeichel-
wortcn. Und dann setzten sie sich,
blickten einander in's Auge und
wurden nicht müde, einander die
Hände zu drücken. Lin Engel
ging durch's Zimmer. Der Engel
der glücklichen Liebe. Er spannte
seine Fittige über die Beiden aus.
Es war wunderschön.
„D meine Königin!" sagte
Viktor.
„C> Du mein König!" sagte
Stefanie.
Plötzlich aber — was ist das? Man lärmt
auf dem Gange. Der Lärm nähert sich. Man
hört die Stimme der Wohnungsvermietherin:
„Bester Herr, Sie irren sich; cs ist Niemand
da!" Dann wieder eine hallende Männer-
stimme: „Larifari, sie muß da fein. Beffnen
Sie diese Thür!" Darauf wieder Frau Blumen-
feld : „Ich lasse die Polizei holen." — „Ja
wohl," brüllt es zurück, „holen Sie nur die Poli-
zei!" — Und schon wird an die Thür geklopft.
„Zum Henker, er ist es wirklich, Dein
Mann," murmelt Viktor.
Stefanie jagt angstvoll im Zimmer umher.
„Wo ist mein Mond?" flüstert sie. Ihren Halb-
mond sucht sie in wahnsinniger Verwirrung.
Viktor blickt finster vor sich hin. Man wird
cs diesem Alltagsmenschen, der an die Thür
klopft, niemals begreiflich machen können, worum
cs sich handelt. Niemals wird dieser Mensch
ein so subtiles Seelenverhältniß verstehen. Es
wird auch gar keine Zeit sein, ihm zu erklären,
daß er sich durchaus irrt, wenn er etwa glaubt...
Händeringend hastet die Königin der Nacht
umher. „B mein Traum," stöhnt sie, „mein
Traum!"
„Steffel, hat er einen Revolver?" fragt
Viktor.
„Ja — ja — ja!" stöhnt sie leise.
Und das Klopfen verstärkt sich zum Pochen,
zum Poltern, zum wüthenden Stampfen. Die
Thür zittert, das Zimmer zittert, Stefanie
zittert.
„Armer Steffel!" seufzt Viktor und blickt
sie traurig an. Dann — mit einem großen
Entschluß öffnet er die Thür und springt zurück,
mit geballter Faust zum Stoß ausholend.
Im nächsten Augenblicke sitzt dem herein-
stürmenden Manne Viktors Faust mitten im
Gesicht. Zugleich hascht Viktor hastig nach
dem Handgelenk des Eindringlings, um ihn
wehrlos zu machen. Da hält er inne und sagt
zu Stefanie, die sich wie zerschmettert an die
Wand geschmiegt hat:
„Aber das ist ja gar nicht Dein Mann!"
Fast gleichzeitig ruft der Fremde, dem das
Blut aus der Nase strömt:
„Das ist ja gar nicht meine Frau!"
Jetzt fängt der Unbekannte, ein stämmiger
kleiner Kerl, den Blutstrom mit einem Taschen-
tuche auf, das sofort zu einer rothcn Fahne
wird. Er fällt über das Waschbecken her und
läßt das Blut hineinfließen. Blut rinnt in
den Krug, Blut rinnt in's Wasserglas, Blut
rinnt über die Handtücher hin. Das ganze
Zimmer scheint dieser Unglücksmensch mit Blut
überschweuimen zu wollen.
„Da hast Du Deinen Traum," sagt Viktor
lächelnd zur Königin der Nacht.
Der Blutige beginnt zu fluchen: „Schock-
schwcrcuoth, das ist eine verdammte Eselei!"
„Mein lieber Freund," entgegnete Viktor, „ich
hoffe, Sie beschränken sich hier auf Selbstkritik.
Gder wünschen Sie vielleicht eine Genugthuung?"
„Gott bewahre," betheuert der Fremde, in-
dem er ruhig fortfuhr, sein Blut zu vergießen.
„Ich denke," fügte er hinzu, „unsere Sache
ist ja bereits auf ritterlichem Wege erledigt.
Oder blute ich Ihnen vielleicht noch immer
nicht genug?"
„Im Gegenthcil, cs wäre mir sogar sehr
lieb, wenn Sie so freundlich sein würden,
anderswo weiter zu bluten."
„Mir selbst," sagte der Fremde, ohne diesen
Wunsch zu beachten, „ist die Sache eigentlich
sehr angenehm. Ich kann jetzt vollständig
darüber ruhig sein, was meine Frau betrifft.
Irgend ein dummer Junge hat mich soeben
aus einem Lafchause antelophonirt, ich möge
sofort hiehereilen Salmgasse 55 zur Wittwe
Blumenfeld, meine Frau sei da mit einem
gewissen Gobinger!"
Als der Blutmensch sich endlich entfernt
hatte, ersuchte Viktor die vermietherin, wenig-
stens die ärgsten Spuren der überstandenen
Schrecknisse zu beseitigen.
Während Frau Blumcnfeld das blutgefüllte
Waschbecken hinaustrug, flüsterte sie dem jungen
Manne zu:
„Das ist noch glücklich abgelaufen. Seine
Frau ist im Zimmer nebenan. Ich glaube:
sie lernt ebenfalls kroatisch ..."
Spruchweisheit
Griechisch-Römisch
„Trinken,“ sang Anakreon,
„Trinken,“ sang Horaz.
Darum zecht ihr mit Passion,
Söhne unsres Staats.
Nur dass, wenn Ihr intus habt
Stoff, der Euch belebt,
Ihr ihn nicht so hoch-
begabt
Wieder von Euch gebt.
Chinesisch
(frei nach Confucius)
Dreifach ist der Zeiten Spur:
Zögernd tönt des Regulators
Ticken,
Pfeilschnell geht des Weckers
Zeigerrücken,
Ewig still steht meine
Taschenuhr.
Kulturhistorische Entdeckungen der „Jugend“
M. Feldbauer
Schon die alten Juden machten Frühschoppen
Beweis: Jesaias Y, 11: „Wehe denen, die des Morgens frühe auf
sind, des Saufens sich zu befleissigen, und sitzen .bis in die
Nacht, dass sie der Wein erhitzet!“
toS
K. T.
JUGEND
1899
Die Königin der Nacht
von Josef Mllomitzer
„Ja ja, liebe Frau," sagte der neue Niether
des hübschen Zimmers, „tritt der Einrichtung
bin ich jetzt einverftaudent worum es sich han-
delt, wissen Sie. Ich habe dieses Zimmer gc-
miethet, um einer jungen Dame, die einen
Kroaten geheiratet hat, und die ihren Mann zum
Geburtstage mit der Kenntniß seiner Mutter-
sprache überraschen will, kroatischen Unterricht
zu erthcilcn. Heute Abend wird dieser Unter-
richt beginnen..."
Die dicke Frau grinste unverschämt. „Ach,
kroatisch — das macht ich auch gern lernen,"
sagte sic.
Er aber warf ihr einen Blick zu, aus dessen
kühler Strenge deutlich zu erkennen war, daß
er thurmhoch über dem Argwohn dieser kleinen
Seele stand, und daß der augekündigte Sprach-
unterricht, wenn er ein Vorwand war, nichts
weiter zu bemänteln hatte, als einen einwand-
freien Seelenbund.
In-dem schwül duftenden, verwirrend schim-
mernden Maskcngewühle gab cs eine Königin
der Nacht aus Mozart's „Zauberflöte". Linen
silbernen Halbmond trug sie im schwarzen Haare,
in sternbesäete dunkle Schleier war sie gehüllt.
Im hastigen Flllstergespräch mit einem Domino
schritt sie zuckend und bebend einher mit leb-
haftem Halbmond- und Sterngezitter.
„Ls kann nicht sein," sagte sie, „ich hatte
einen gräßlichen Traum: Wir saßen in dem
Zimmer, das Du gemiethet hast. . ."
„Du wirst entzückt fein. Ls ist ein reizendes
Nest, ganz geschaffen für uns Zwei, die nichts
Anderes wollen, als ab und zu fern der heuch-
lerischen Menschenbrut einander in's Auge
blicken, das reine Glück des Alleinseins ge-
nießen ..."
„Aber mein Traum! Denke nur: wir saßen
in jenem Zimmer, wurden überfallen, das
Blut floß in Strömen ..."
„Kindisches Kind! In einer Stunde sind
wir wieder da, und Dein Mann holt Dich sicher
nicht vor Mitternacht. Komm
schnell, Stefanie. Ls gibt ein
heimliches Seitenpförtchen, das
direkt in's Freie führt. Dort wartet
der Wagen."
Die Königin der Nacht war
außer sich. Sie schwur, daß dies
genau dasselbe Zimmer sei, das
sie im Traume gesehen.
Lr aber nahm ihr sanft den
Mond aus dem Haare und sprach
ihr zu mit tröstenden Schmeichel-
wortcn. Und dann setzten sie sich,
blickten einander in's Auge und
wurden nicht müde, einander die
Hände zu drücken. Lin Engel
ging durch's Zimmer. Der Engel
der glücklichen Liebe. Er spannte
seine Fittige über die Beiden aus.
Es war wunderschön.
„D meine Königin!" sagte
Viktor.
„C> Du mein König!" sagte
Stefanie.
Plötzlich aber — was ist das? Man lärmt
auf dem Gange. Der Lärm nähert sich. Man
hört die Stimme der Wohnungsvermietherin:
„Bester Herr, Sie irren sich; cs ist Niemand
da!" Dann wieder eine hallende Männer-
stimme: „Larifari, sie muß da fein. Beffnen
Sie diese Thür!" Darauf wieder Frau Blumen-
feld : „Ich lasse die Polizei holen." — „Ja
wohl," brüllt es zurück, „holen Sie nur die Poli-
zei!" — Und schon wird an die Thür geklopft.
„Zum Henker, er ist es wirklich, Dein
Mann," murmelt Viktor.
Stefanie jagt angstvoll im Zimmer umher.
„Wo ist mein Mond?" flüstert sie. Ihren Halb-
mond sucht sie in wahnsinniger Verwirrung.
Viktor blickt finster vor sich hin. Man wird
cs diesem Alltagsmenschen, der an die Thür
klopft, niemals begreiflich machen können, worum
cs sich handelt. Niemals wird dieser Mensch
ein so subtiles Seelenverhältniß verstehen. Es
wird auch gar keine Zeit sein, ihm zu erklären,
daß er sich durchaus irrt, wenn er etwa glaubt...
Händeringend hastet die Königin der Nacht
umher. „B mein Traum," stöhnt sie, „mein
Traum!"
„Steffel, hat er einen Revolver?" fragt
Viktor.
„Ja — ja — ja!" stöhnt sie leise.
Und das Klopfen verstärkt sich zum Pochen,
zum Poltern, zum wüthenden Stampfen. Die
Thür zittert, das Zimmer zittert, Stefanie
zittert.
„Armer Steffel!" seufzt Viktor und blickt
sie traurig an. Dann — mit einem großen
Entschluß öffnet er die Thür und springt zurück,
mit geballter Faust zum Stoß ausholend.
Im nächsten Augenblicke sitzt dem herein-
stürmenden Manne Viktors Faust mitten im
Gesicht. Zugleich hascht Viktor hastig nach
dem Handgelenk des Eindringlings, um ihn
wehrlos zu machen. Da hält er inne und sagt
zu Stefanie, die sich wie zerschmettert an die
Wand geschmiegt hat:
„Aber das ist ja gar nicht Dein Mann!"
Fast gleichzeitig ruft der Fremde, dem das
Blut aus der Nase strömt:
„Das ist ja gar nicht meine Frau!"
Jetzt fängt der Unbekannte, ein stämmiger
kleiner Kerl, den Blutstrom mit einem Taschen-
tuche auf, das sofort zu einer rothcn Fahne
wird. Er fällt über das Waschbecken her und
läßt das Blut hineinfließen. Blut rinnt in
den Krug, Blut rinnt in's Wasserglas, Blut
rinnt über die Handtücher hin. Das ganze
Zimmer scheint dieser Unglücksmensch mit Blut
überschweuimen zu wollen.
„Da hast Du Deinen Traum," sagt Viktor
lächelnd zur Königin der Nacht.
Der Blutige beginnt zu fluchen: „Schock-
schwcrcuoth, das ist eine verdammte Eselei!"
„Mein lieber Freund," entgegnete Viktor, „ich
hoffe, Sie beschränken sich hier auf Selbstkritik.
Gder wünschen Sie vielleicht eine Genugthuung?"
„Gott bewahre," betheuert der Fremde, in-
dem er ruhig fortfuhr, sein Blut zu vergießen.
„Ich denke," fügte er hinzu, „unsere Sache
ist ja bereits auf ritterlichem Wege erledigt.
Oder blute ich Ihnen vielleicht noch immer
nicht genug?"
„Im Gegenthcil, cs wäre mir sogar sehr
lieb, wenn Sie so freundlich sein würden,
anderswo weiter zu bluten."
„Mir selbst," sagte der Fremde, ohne diesen
Wunsch zu beachten, „ist die Sache eigentlich
sehr angenehm. Ich kann jetzt vollständig
darüber ruhig sein, was meine Frau betrifft.
Irgend ein dummer Junge hat mich soeben
aus einem Lafchause antelophonirt, ich möge
sofort hiehereilen Salmgasse 55 zur Wittwe
Blumenfeld, meine Frau sei da mit einem
gewissen Gobinger!"
Als der Blutmensch sich endlich entfernt
hatte, ersuchte Viktor die vermietherin, wenig-
stens die ärgsten Spuren der überstandenen
Schrecknisse zu beseitigen.
Während Frau Blumcnfeld das blutgefüllte
Waschbecken hinaustrug, flüsterte sie dem jungen
Manne zu:
„Das ist noch glücklich abgelaufen. Seine
Frau ist im Zimmer nebenan. Ich glaube:
sie lernt ebenfalls kroatisch ..."
Spruchweisheit
Griechisch-Römisch
„Trinken,“ sang Anakreon,
„Trinken,“ sang Horaz.
Darum zecht ihr mit Passion,
Söhne unsres Staats.
Nur dass, wenn Ihr intus habt
Stoff, der Euch belebt,
Ihr ihn nicht so hoch-
begabt
Wieder von Euch gebt.
Chinesisch
(frei nach Confucius)
Dreifach ist der Zeiten Spur:
Zögernd tönt des Regulators
Ticken,
Pfeilschnell geht des Weckers
Zeigerrücken,
Ewig still steht meine
Taschenuhr.
Kulturhistorische Entdeckungen der „Jugend“
M. Feldbauer
Schon die alten Juden machten Frühschoppen
Beweis: Jesaias Y, 11: „Wehe denen, die des Morgens frühe auf
sind, des Saufens sich zu befleissigen, und sitzen .bis in die
Nacht, dass sie der Wein erhitzet!“
toS
K. T.