DOI issue:
Nr. 7 (11. Februar 1899)
DOI Page / Citation link:https://doi.org/10.11588/diglit.3778#0123
Nr. 7
JUGEND
1899
neuen Jahre schickr ein edler Spender
Sei Mir einen buntbemalten Wandkalender,
Auf welchem als gelungenes Tableau
Einander Gestreich-Ungärns Völker froh
Die Hände schütteln brüderlich und innig.
Das find' ich wirklich ungeheuer finnig!
Da sieht man erstens einen Wenzeslaus,
Der nimmt — gemalt — sich sehr gemuthlich aus,
Thut Reinem was zu Leid — auf dem Papier —
Gereicht vielmehr dem Gruppenbild zur Zier.
Dem Wenzel reicht — das stimmt beiläufig wohl —
Ein Biedermann, gebürtig atis Tirol,
Die Hand. Daneben spreizt sich ein Rumäne,
Und weiterhin vertragt sich der Ruthene —
Auf dem Papiere — mit dem Polen gar,
Und an den Sachsen schmiegt sich der Magyar,
Der Italiener spürt ein starkes Sehnen,
An's Her; zu drücken freudig den Slowenen,
Und den Rroaten sieht man einen Serben
(Was selten vorkommt) minniglich umwerben.
Als Lückenbüßer zeigt sich ein Slowak
Und ein noch unverdauter Bosniak.
Rurz: Völker, die einander „gänzlich Schnuppe" —
Hier sieht man sie als trautvereinte Gruppe
In wirkungsvollen Vlationalkostümen,
Die, wo cs Vkoth thnt, selbst den Gchmtuz verblümen,
In Röcken reich beknöpft und reich verschnürt.
Das Beinkleid aber, welches Jeden ziert,
Ist viel ;u enge oder viel zu weit,
Je nach der edlen Volksbesonderheit.-
Von Gestrcich Ungarns Völkerstreit nmfiuthct,
Kihl' ich mich eigenthümlich angcmnthet
Von dieser wirklich kolossalen Aend'rung,
Hervorgebracht blos durch Verwandkalend'rung
Der sonst einander feindlichen Nationen,
Die auf dem Bild versöhnt beisammen wohnen,
wenn meine Blicke prüfend überschauen
Das Rampfgewühl der Wirklichkeit, der rauhen,
Und dann zurück zum Wandkalender kehren,
Rann ich mich des Gedankens nicht erwehren,
Daß diese kostümirte Rtimpanci —
Ein ziemlich fauler Faschings-Zauber fei.
Ijolii
Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OSTINI; G. HIRTH’s Kunstverlag, verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, sämtntlich in München,
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. bcschr. Haftung in München.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
JUGEND
1899
neuen Jahre schickr ein edler Spender
Sei Mir einen buntbemalten Wandkalender,
Auf welchem als gelungenes Tableau
Einander Gestreich-Ungärns Völker froh
Die Hände schütteln brüderlich und innig.
Das find' ich wirklich ungeheuer finnig!
Da sieht man erstens einen Wenzeslaus,
Der nimmt — gemalt — sich sehr gemuthlich aus,
Thut Reinem was zu Leid — auf dem Papier —
Gereicht vielmehr dem Gruppenbild zur Zier.
Dem Wenzel reicht — das stimmt beiläufig wohl —
Ein Biedermann, gebürtig atis Tirol,
Die Hand. Daneben spreizt sich ein Rumäne,
Und weiterhin vertragt sich der Ruthene —
Auf dem Papiere — mit dem Polen gar,
Und an den Sachsen schmiegt sich der Magyar,
Der Italiener spürt ein starkes Sehnen,
An's Her; zu drücken freudig den Slowenen,
Und den Rroaten sieht man einen Serben
(Was selten vorkommt) minniglich umwerben.
Als Lückenbüßer zeigt sich ein Slowak
Und ein noch unverdauter Bosniak.
Rurz: Völker, die einander „gänzlich Schnuppe" —
Hier sieht man sie als trautvereinte Gruppe
In wirkungsvollen Vlationalkostümen,
Die, wo cs Vkoth thnt, selbst den Gchmtuz verblümen,
In Röcken reich beknöpft und reich verschnürt.
Das Beinkleid aber, welches Jeden ziert,
Ist viel ;u enge oder viel zu weit,
Je nach der edlen Volksbesonderheit.-
Von Gestrcich Ungarns Völkerstreit nmfiuthct,
Kihl' ich mich eigenthümlich angcmnthet
Von dieser wirklich kolossalen Aend'rung,
Hervorgebracht blos durch Verwandkalend'rung
Der sonst einander feindlichen Nationen,
Die auf dem Bild versöhnt beisammen wohnen,
wenn meine Blicke prüfend überschauen
Das Rampfgewühl der Wirklichkeit, der rauhen,
Und dann zurück zum Wandkalender kehren,
Rann ich mich des Gedankens nicht erwehren,
Daß diese kostümirte Rtimpanci —
Ein ziemlich fauler Faschings-Zauber fei.
Ijolii
Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OSTINI; G. HIRTH’s Kunstverlag, verantwortlich für den Inseratentheil: G. EICHMANN, sämtntlich in München,
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