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Nr. 8

JUGEND

1899

Jn die TJände der Götter lege pein JCos,

Sie schirmen mit Schilden und üanzen —
poch sind peine pände so stark und gross:
Xass auf den peinen sie tanzen.

Otto Erich Hartleben

Der jSchatten

Von HJALMAR SÖDERBERG

J*7ch weiss nicht, ob ich das Leben liebe oder hasse; aber ich
«J hänge daran fest mit meinem ganzen Willen und all meinem
Begehren. Ich will nicht sterben. Nein, ich will nicht sterben:
v/eder heute, noch morgen, weder heuer, noch nächstes Jahr.

Gleichwohl hatte ich einmal vor vielen Jahren einen Traum,
der mich wünschen Hess, nie geboren zu sein.

— — — Ich ging einsam auf einer stillen, menschen-
leeren Strasse. Es war an einem Vorfrühlingstage, die Dach-
traufe glitzerte in der Sonne, auf der Strasse bildeten sich
blanke Seen, die blau spiegelten, und über den Schorn-
steinen und Dächern der Häuser leuchtete die Bläue eines
blassen Lenzhimmels. Die Frühlingsluft, die ich einathmete,
dünkte mich ein Balsam und ein Heilmittel für den heim-
lichen Kummer, der um diese Zeit meine Seele selbst im
Traum vergiftete. Dennoch fühlte ich eine gewisse Unruhe.
War ich wirklich allein? Ich hatte das Gefühl, dass Jemand
an meiner Seite ging, aber ich sah nicht recht, wer es war,
denn er hielt sich beständig einen halben Schritt hinter mir!
und als ich mich einmal umwendete, um sein Antlitz zu
sehen, war er gerade im Begriff, sich zu schneuzen, und
verbarg hiedurch den grössten Theil seines Gesichtes mit
dem Taschentuch, das vom Winde ausgespannt wurde. Plötz-
lich fiel es mir ein, dass ich auf der Sonnenseite der Strasse

Julius Diez (München)

ging und dass es mein Schatten sein konnte, der mir auf dem
weissen Wege folgte. Ich hatte selbst ein wenig Schnupfen
von der Frühlingsluft bekommen, warum sollte mein Schatten
nicht auch etwas abgekriegt haben?

Ich hatte mich nie zuvor durch meinen Schatten genirt
gefühlt, aber an diesem Tage belästigte er mich ein Bischen.
Ich trug neue Handschuhe und Kleider; aber mein Schatten
war grau und bleich und machte einen ärmlichen Eindruck.
Warum musste er mir gerade an jenem Sonnentage folgen, an
dem ich ausging, sie zu treffen, die ich liebte?

Sie kam mir entgegen, und sie strahlte und lächelte, aber
es schimmerte auch etwas wie eine Thräne in ihrem Auge.
Sie trug zwei Rosen in der Hand. Die eine war rosa, die
andere roth. Sie gab mir die rosa Rose; doch die rothe, deren
Stengel voll Dornen war, barg sie an ihrem eigenen Busen-

„Warum gibst Du mir nicht auch die rothe Rose?“ fragte
ich sie.

„Noch nicht,“ antwortete sie und lächelte. Und es schien
mir im Traume, dass ihr Lächeln dasselbe war, mit dem
Lionardos Frauen lächeln. Ich wollte ihren Arm nehmen, aber
sie ergriff anstatt dessen meine Hand. Und wie zwei Kinder
gingen wir Hand in Hand die Strasse hinab. Ich Hess sie
mit Fleiss auf der Seite gehen, wo mein Schatten war, so
dass sie ihn niedertrat. Und er verschwand.

Doch der Traum wechselt rascher als die Zeit.

Die Gasse, auf der wir gingen, war dieselbe wie eben
erst, mit Holzhäusern und mit Gärten hinter rothen Planken,
aber sie war doch eine andere, denn es war kein Schnee da
und keine blanken Seen, die blau spiegelten, es war wirklich
Frühling geworden. Der Flieder stand in voller Blüthe, und
die Kirschenbäume in unseres Nachbars Gärtchen hatten
grosse Knospen. Und es war mit einem Male dämmerig
geworden ; die Thore der kleinen Häuser schimmerten durch
das unsichere Licht des Traumes wie schwarze Höhlen, und
ein alter Mann mit einer Fackel in der Hand ging umher
und zündete eine Laterne hier und eine Laterne dort an.

Wir blieben in dem Thore meines Hauses stehen. Es
war das Haus, in dem ich als Kind wohnte und das nun
längst verschwunden ist, zugleich mit der Strasse und den
Gärten und den Kirschenbäumen. Wir standen in der Däm-
merung und flüsterten und streichelten uns die Hände, und
die Zeit entschwand in einem Kusse.

„Und die rothe Rose?“ fragte ich sie. „Ist sie vielleicht
verwelkt?“

„Nein,“ antwortete sie. „Noch ist sie nicht verwelkt. Sieh
hier, sie hat meinen Busen blutig gestochen, und ich sehne
mich darnach, sie Dir geben zu dürfen. Aber ich wage es
nicht. Nein, ich wage es nicht.“

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Index
Hjalmar Söderberg: Der Schatten
Julius Diez: Zeichnung zum Gedicht "In die Hände der Götter..."
Otto Erich Hartleben: In die Hände der Götter lege Dein Los
 
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