1899
JUGEND
Nr. 8
(Ein Zimmer, drein sie mir den (Eintritt wehrte,
Ward zum versteck dafür; die Köchin glühte,
Im Linverständniß mit der milden Herrin,
Und warf mir spöttischschlaue Blicke zu.
Ulein Schätzchen war den Tag für mich verloren,
Kaum, daß ich hie und da ein Küßchen fing.
Ich mußte Abends eine Stunde fort:
„Du störst zu Hause; komm zum Essen wieder!"
Ich ging, wie einst, die alte Stadt entlang;
Schneeflocken glitten sanft zur Erde nieder
Und flimmerten im Schein des Straßenlichtcs,
Als wenn des Hiinmels Sternlein niedersänken.
Mir war im Hetzen warm und weihnachtshell,
Und jedes Dichtcrwort von dem Kamin,
Darin die glühend rothen Scheiter knistern,
vom Brodclkessel, der sein Liedchen summt,
von den Pantöffelchen der jungen Frau,
Die durch die wohlig warmen Zimmer klappern,
Klang mir durch's Herz, wie Helle Silber-
glöckchcn.
Ich fing ein Dutzend Lieder an im Schreiten
— Aus einer winterlichen Freudenstimmung —
Und eilte heim, den Hut verwegen schief,
lvie einer, dem das Glück die Thllren öffnet.
„Zu frühl Marsch in dein Zimmer!" —
„Erst ein Küßchen." —
„Huh! kalt und naß l I>" Winter küßt
sich's schlecht."
Als sich die Zeit vollendet, klopft es sacht
An meiner Thür. „Nun komm, nun tritt
herein!"
Die Thüre öffnet sich. „Was ist denn das?"
Ein festlich Heller Tisch; und Lampions,
An Schnüren hängend, durch das ganze Zimmer;
Im grünen Kübel dort ein Palmenbaum;
Auf einem Tisch »m meine liebe Statue
Des „jungen Faun" die Bilder ans Italien,
Die wir von unsrer Reise heimgcbracht.
Und zwischen all der bunten Herrlichkeit
Mein Weibchen mit beglückten Funkelaugen
Im Phantasicklcid einer Lampagnolin.
„Was soll das heißen?" lach' ich. „Was
das soll?
Tin Abend in Italien; römisches Fest!
Ia, staune nur. Die große, graue Spinne
Zieht sich erschrocken in ihr Netz zurück.
Und, keine Rührung jetzt! Marietta, presto!"
Wahrhaftig, kommt die alte Köchin
schmunzelnd,
Mit einer rothen Schärpe um den Kopf,
Und flötet mir, von Lachen fast erstickt,
Ihr „bona sera!“ Auf dem Tische dampfen
Die saftigen Naccaroni um den Braten;
In strohumflocht'nen Flaschen glüht mein
Liebling,
Lbianti vecchio; und bis zum Obst
Und Gorgonzola — Grüße aus Italien.
Ts ist kein lautes, aber freudiges Fest,
Und, wenn mein Blick auf meine Liebste fällt,
~° tanzt mein Herz fürwahr die Tarantella.
Erinnerungen tauchen vor uns auf,
Piazza d’erbe und Scaligcri,
3cr campo santo Pisa's und der Dom,
Die große Palme übcr'm Loloffeum.
Und nach dem Mahle führt mich die Geliebte
I» unser Erkerstübchen an das Fenster.
Da liegt der Park in weißen Schnee gehüllt,
Der Mondschein flimmert drauf, ein Winter-
Märchen.
Bernhard Pankok (Mänchert)
Sie aber zaubert mir den Winter weg;
Die Augen schließt sie mir mit weichen Händchen
Und spricht: „Wenn du die Lider hebst, so staune!
Vas Meer im Nondesscheine glitzert hell,
Hier ist Sorrent, die ganze Lust ist voll
von weißen Strahlen; aus den Wassern
schaukelnd,
Gedenkst du's noch, hebt sich die Nixenschaar
Und sängt mit Silberspiegcln, leise singend,
Die Strahlen auf. Schau, wie die Wellen
glitzern!"
Ich blicke auf, das weite Meer erglänzt,
Wir Zwei steh'n auf der Insel der Glückseligen
Und trinken Glück und Schönheit mit den
Blicken —
Und niemals, niemals wagt sich auf die Insel
Die graue Spinne der Alltäglichkeit!
Sirette
Von Jeanne Marni
Deutsch von Paul Bornstein
An einem Oktobertag, 2 Uhr Nachmittags. —
Place de la Bastille, in einem geschlossenen
Wagen.
Desiree: Dreizehn Jahr alt, dünn und zu
gross für ihr Alter. — Blasses, feines, träume-
risches Gesicht, das eines Tages hübsch sein
wird. Schwarzwollenes Kleid mit Crepebesatz,
schwarzer Crepehut, schwarze Handschuhe.
Herr Loussy: sechzig Jahr. Sehr gebeugt.
Im Blick ein müder und schmerzlicher Aus-
druck. Kurzer, wohlgepflegter, weisser Bart.
Auch er in tiefer Trauer.
Der Kutscher: zwanzig Jahr. Ein dicker
Bauernbursch, erst seit kurzem Kutscher. Neue
Livrde. Den Hut aus gelbem Wachstuch trägt
er tief in die Augen gedrückt. Mächtige Schul-
tern. Zu seinen Füssen ein Hutkarton. Unter
seinem Arm und gegen den Bock gelehnt ein
verschnürter Reisekorb. Der Wagen befindet
sich am Omnibusbureau der Place de la Ba-
stille. Der Kutscher hält unschlüssig an.
Herr Loussy (den Kopf zum Wagenfenster
heraussteckend): Nun, Kutscher, worauf
warten Sie?
Der Kutscher: Faubourg Saint-Antoine,
ist das rechter Hand?
Herr Loussy: Aber nein! Links — links
von Ihnen! Nicht da herunter! Sie fahren
ja gerade verkehrt! Links! Links sage
ich! — Nun immer geradeaus! So! Kennen
Sie denn Paris nicht?
Der Kutscher: Ich weiss hier nicht so
recht Bescheid; ich bin aus Auteuil.,
(Der Wagen erreicht Faubourg Saint-Antoine.)
Herr Loussy, zu Desirde: Er ist aus Au-
teuil! Ein netter Esel! Wenn man bedenkt,
dass man solchen Dummköpfen sein Leben
an vertraut! Ich wette, der Bursch fährt
heut zum ersten Male. Ersieht ganz ver-
dutzt aus.
Desiree: Er war doch sehr höflich;
meinen Hutkarton hat er gleich auf den
Bock genommen.
Herr Loussy: Nimmst Du denn nur
Einen Hut mit?
Desiree: Ja, Grosspapa. Meinen An-
staltshut.
Herr Loussy: Und für die Tage, wo
Du ausgehen darfst?
Desiree (sie zeigt aüf den Hut, den sie
trägt): Da setz! ich den hier auf.
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(Ein Zimmer, drein sie mir den (Eintritt wehrte,
Ward zum versteck dafür; die Köchin glühte,
Im Linverständniß mit der milden Herrin,
Und warf mir spöttischschlaue Blicke zu.
Ulein Schätzchen war den Tag für mich verloren,
Kaum, daß ich hie und da ein Küßchen fing.
Ich mußte Abends eine Stunde fort:
„Du störst zu Hause; komm zum Essen wieder!"
Ich ging, wie einst, die alte Stadt entlang;
Schneeflocken glitten sanft zur Erde nieder
Und flimmerten im Schein des Straßenlichtcs,
Als wenn des Hiinmels Sternlein niedersänken.
Mir war im Hetzen warm und weihnachtshell,
Und jedes Dichtcrwort von dem Kamin,
Darin die glühend rothen Scheiter knistern,
vom Brodclkessel, der sein Liedchen summt,
von den Pantöffelchen der jungen Frau,
Die durch die wohlig warmen Zimmer klappern,
Klang mir durch's Herz, wie Helle Silber-
glöckchcn.
Ich fing ein Dutzend Lieder an im Schreiten
— Aus einer winterlichen Freudenstimmung —
Und eilte heim, den Hut verwegen schief,
lvie einer, dem das Glück die Thllren öffnet.
„Zu frühl Marsch in dein Zimmer!" —
„Erst ein Küßchen." —
„Huh! kalt und naß l I>" Winter küßt
sich's schlecht."
Als sich die Zeit vollendet, klopft es sacht
An meiner Thür. „Nun komm, nun tritt
herein!"
Die Thüre öffnet sich. „Was ist denn das?"
Ein festlich Heller Tisch; und Lampions,
An Schnüren hängend, durch das ganze Zimmer;
Im grünen Kübel dort ein Palmenbaum;
Auf einem Tisch »m meine liebe Statue
Des „jungen Faun" die Bilder ans Italien,
Die wir von unsrer Reise heimgcbracht.
Und zwischen all der bunten Herrlichkeit
Mein Weibchen mit beglückten Funkelaugen
Im Phantasicklcid einer Lampagnolin.
„Was soll das heißen?" lach' ich. „Was
das soll?
Tin Abend in Italien; römisches Fest!
Ia, staune nur. Die große, graue Spinne
Zieht sich erschrocken in ihr Netz zurück.
Und, keine Rührung jetzt! Marietta, presto!"
Wahrhaftig, kommt die alte Köchin
schmunzelnd,
Mit einer rothen Schärpe um den Kopf,
Und flötet mir, von Lachen fast erstickt,
Ihr „bona sera!“ Auf dem Tische dampfen
Die saftigen Naccaroni um den Braten;
In strohumflocht'nen Flaschen glüht mein
Liebling,
Lbianti vecchio; und bis zum Obst
Und Gorgonzola — Grüße aus Italien.
Ts ist kein lautes, aber freudiges Fest,
Und, wenn mein Blick auf meine Liebste fällt,
~° tanzt mein Herz fürwahr die Tarantella.
Erinnerungen tauchen vor uns auf,
Piazza d’erbe und Scaligcri,
3cr campo santo Pisa's und der Dom,
Die große Palme übcr'm Loloffeum.
Und nach dem Mahle führt mich die Geliebte
I» unser Erkerstübchen an das Fenster.
Da liegt der Park in weißen Schnee gehüllt,
Der Mondschein flimmert drauf, ein Winter-
Märchen.
Bernhard Pankok (Mänchert)
Sie aber zaubert mir den Winter weg;
Die Augen schließt sie mir mit weichen Händchen
Und spricht: „Wenn du die Lider hebst, so staune!
Vas Meer im Nondesscheine glitzert hell,
Hier ist Sorrent, die ganze Lust ist voll
von weißen Strahlen; aus den Wassern
schaukelnd,
Gedenkst du's noch, hebt sich die Nixenschaar
Und sängt mit Silberspiegcln, leise singend,
Die Strahlen auf. Schau, wie die Wellen
glitzern!"
Ich blicke auf, das weite Meer erglänzt,
Wir Zwei steh'n auf der Insel der Glückseligen
Und trinken Glück und Schönheit mit den
Blicken —
Und niemals, niemals wagt sich auf die Insel
Die graue Spinne der Alltäglichkeit!
Sirette
Von Jeanne Marni
Deutsch von Paul Bornstein
An einem Oktobertag, 2 Uhr Nachmittags. —
Place de la Bastille, in einem geschlossenen
Wagen.
Desiree: Dreizehn Jahr alt, dünn und zu
gross für ihr Alter. — Blasses, feines, träume-
risches Gesicht, das eines Tages hübsch sein
wird. Schwarzwollenes Kleid mit Crepebesatz,
schwarzer Crepehut, schwarze Handschuhe.
Herr Loussy: sechzig Jahr. Sehr gebeugt.
Im Blick ein müder und schmerzlicher Aus-
druck. Kurzer, wohlgepflegter, weisser Bart.
Auch er in tiefer Trauer.
Der Kutscher: zwanzig Jahr. Ein dicker
Bauernbursch, erst seit kurzem Kutscher. Neue
Livrde. Den Hut aus gelbem Wachstuch trägt
er tief in die Augen gedrückt. Mächtige Schul-
tern. Zu seinen Füssen ein Hutkarton. Unter
seinem Arm und gegen den Bock gelehnt ein
verschnürter Reisekorb. Der Wagen befindet
sich am Omnibusbureau der Place de la Ba-
stille. Der Kutscher hält unschlüssig an.
Herr Loussy (den Kopf zum Wagenfenster
heraussteckend): Nun, Kutscher, worauf
warten Sie?
Der Kutscher: Faubourg Saint-Antoine,
ist das rechter Hand?
Herr Loussy: Aber nein! Links — links
von Ihnen! Nicht da herunter! Sie fahren
ja gerade verkehrt! Links! Links sage
ich! — Nun immer geradeaus! So! Kennen
Sie denn Paris nicht?
Der Kutscher: Ich weiss hier nicht so
recht Bescheid; ich bin aus Auteuil.,
(Der Wagen erreicht Faubourg Saint-Antoine.)
Herr Loussy, zu Desirde: Er ist aus Au-
teuil! Ein netter Esel! Wenn man bedenkt,
dass man solchen Dummköpfen sein Leben
an vertraut! Ich wette, der Bursch fährt
heut zum ersten Male. Ersieht ganz ver-
dutzt aus.
Desiree: Er war doch sehr höflich;
meinen Hutkarton hat er gleich auf den
Bock genommen.
Herr Loussy: Nimmst Du denn nur
Einen Hut mit?
Desiree: Ja, Grosspapa. Meinen An-
staltshut.
Herr Loussy: Und für die Tage, wo
Du ausgehen darfst?
Desiree (sie zeigt aüf den Hut, den sie
trägt): Da setz! ich den hier auf.
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