Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1899

JUGEND

Nr. 8

Herr Loussy: Und nun ist es so weit,
dass Du, ein dreizehnjähriges Kind, um
seiner Versündigung wüten -Dich in einem
Kloster verstecken musst... unter falschem
Namen.

Desiree: O, Dein Name, Mamas Name
... das ist kein falscher Name! Gross-
papa — bitte! Sei nicht so heftig! Es thut
mir weh, Dich so bös zu sehen! (Sie wendet
ihr Gesicht zur Seite und sieht traurig zum
Wagenfenster hinaus in den feinen Regen, der
herniederrieselt.) Es regnet! — Wo sind wir?

Herr Loussy: Nicht sehr weit von Bel-
Air. Das Pferd ist gut; wir fahren schnell.

Desiree: Siehst Du? -— Der Kutscher
fährt sehr gut; und er hat auch den rich-
tigen Weg gewählt.

Herr Loussy: Er brauchte ja immer
nur geradeaus zu fahren.

Desiree: Sag’ mal, Grosspapa, ist die
Oberin meines Klosters freundlich?

Herr Loussy: Sie sieht gütig aus; ich
denke, sie wird Dir gefallen.

Desiree: Hast Du ihr auch gesagt, dass
ich in der Geographie und im Rechnen
zurück bin? Ach, das Rechnen! Hast Du
ihr gesagt, dass es damit gar nicht recht
gehen wollte?

Herr Loussy: Ich habe ihr gesagt, dass
Du sehr verwöhnt worden bist — erst
durch Deine Mutter und dann durch Deinen
Vater.

Desiree: Und auch von meinem Gross-
Papa . . .

Herr Loussy: Ich — das ist doch etwas
Anderes. Ich! — Aber wenn ich an Deines
Vaters Stelle gewesen wäre, so hätte
ich Sorge getragen, dass Du ein
'venig mehr arbeitetest, als Du ge-
than hast. . . dafür stehe ich Dir.

Desiree: Papa war stets
ängstlich, ich möchte krank
werden. Er fürchtete, ich
könne vor seinen Augen
b insterben, wie Mama,
wann ich einmal hustete,
wurde er ganz blass und
sagte gleich: „Hör’ auf,
sirette; ich will nicht, dass
Du Dich anstrengst!“ Dann
uess ich natürlich mit Ver-
gnügen meine Stilübung
^der meine Grammatikar-
peit liegen. Darum weiss
lch jetzt auch nichts. Sie
werden mich auslachen;
pber ich werde arbeiten...

Du wirst sehen, Grosspapa!

Herr Loussy: Ach, arbei-
te mir nur nicht zu viel,

’pein Kind! Nur nicht zu
yiel! Du bist schwächlich.

Ich habe übrigens die Ober-
,n darauf aufmerksam ge-
macht, dass Du Rücksicht
und Schonung brauchst.

Morgens vor dem Früh-
stück wird man Dir Deinen
Ghinarindenthee reichen.

Auch die Fastentage wirst
Du nicht innehalten; nie-
mals. Immer Dein frisches,
gut bereitetes Cotelettchen.

Das hab ich ausbedungen,

•dafür zahl’ ich besonders.

Du wirst nie fasten. Ein
gutes Gotelette — so ist’s
nusgemacht. Um vier Uhr
zum Vesperbrot.. .

Desiree: Aber ich ves-
Pere nie, Grosspapa.

Herr Loussy: Du wirst vespern; Du
wirst das halten, wie die anderen Pen-
sionärinnen. Um vier Uhr zum Vesper-
brot wird man Dir ein Töpfchen Einge-
machtes geben; ich habe schon eine Kiste
hingeschickt und ... (Er unterbricht sich, um
zu sehen, wo sich der Wagen befindet.) Wir
sind schon am Thore von Saint-Mande.

Desiree: Schon! Grosspapa — schon!

Herr Lous y: Ja. — In zehn Minuten
werden wir im Kloster sein.

Desiree (plötzlich bleich und erregt): In
zehn Minuten! Nur noch zehn Minuten!
O mein~Gott, mein Gott! Nur noch zehn
Minuten mit Dir zusammen. Mein lieber,
guter, geliebter Grosspapa!

(Sie drängt sich an ihn; grosse Thränen rollen
ihr langsam über die Backen.)

Herr Loussy: Beruhige Dich, beruhige
Dich, Sirette, mein geliebtes Kind! Ich
werde ja nicht gleich Fortgehen; ich werde
bei Dir im Sprechzimmer bleiben, so lang
Du willst. Nur weine nicht, mein Lieb-
chen !

Desiree (mit vorThränen erstickter Stimme):
Lieber... lieber Grosspapa! Ich habe...
ich habe eine Bitte an Dich . . . aber . . .
Du wirst Ja sagen!... Sag?... Du wirst
■ Ja sagen zu Deinem Enkelkind, zu Deiner
armen, kleinen Sirette?

Herr Loussy: Ja . . . ja . . . was willst
Du? Was willst Du? Sag’ es Deinem
alten, guten Grosspapa! Sprich! —

Desiree: Ich möchte... Wenn man er-
fährt . . . wenn Du erfahren wirst ... wo
mein Vater ist... so möchte ich, dass

Siax Feldbauer (München)

Der Bursche des

unverheirat eten und des verheiratheten (Offiziers.

Du ihm sagst . . . (Eine jähe Bewegung des
Herrn Loussy) nein, nein, dass Du ihm
schreibst... dass-ich an Ihn denke ...
dass ich ihn lieb habe ... Du hörst doch,
Grosspapa?... Was auch geschehe! Dass

ich an ihn denke und ihn lieb habe!_

Und, wenn er kann . . . wenn er es ohne
Gefahr ... für sich kann ... so möchte
er mir doch ein Wörtchen schreiben . . .
Ach, nur eine Zeile! . . . nicht mal eine
Zeile . . . Siehst Du, nur meinen Namen!
Sirette . . . auf einem Stückchen Papier ...
und ich will zufrieden ... ich will glücke
lieh sein, weil ich ... so ... wissen werde
dass er nicht todt ist... mein armer Papa!
(Sie schluchzt verzweifelt.)

Herr Loussy (weinend): Um Gott, ich
bitte Dich! Mein Kind, schweig’ — sei
still! Du machst mich elend ... Du brichst
mir das Herz. .j

Desiree: Nicht wahr?.. Grosspapa!...
Du wirst es thun? . . . Sag! ... Du wirst?

Herr Loussy: Ja, ich verspreche Dir’s
... da, meine Hand! . . . ich verspreche
Dir’s!... Aber nun weine auch nicht mehr!

. . . Beruhige Dich ein wenig . . . Komm,
Kopf hoch! Deine armen Augen sind
schon ganz roth . . . Schau mich an! Du
hast mich doch auch lieb, nicht wahr?

Desiree: Ach ja!

Herr Loussy: Nun also, um meinet-
willen . . . für mich ... für Deinen Gross-
papa .. . trockne Dir die Augen, Deine
armen, rothen Augen ... die werden gleich
ganz hässlich sein . . . Was soll man von
meiner Enkelin denken? Was wird man
von ihr sagen? Soll man vielleicht
sagen, dass sie hässlich ist, dass ich
eine hässliche, abscheuliche Enkel-
tochter habe?— Nein, nie! Ich bin
ja so stolz auf Dich... und
ich habe ja auch keinen
Menschen mehr, als Dich.
(Er hält inne, weil er, von
heftigster Gemüthsbewegung
übermannt, nicht weiter spre-
chen kann.) »
Desiree (versuchend, sich
zu beruhigen): Lieber, lie-
ber Grosspapa! Du hast
Recht ... Du hast Recht.
Ich bin nicht gut ... ich
denke nur an mich . . .
Aber es ist schon vorüber
... Ich weine nicht mehr...
Gib mir einen Kuss! (Sie
umarmen sich schluchzend.)

Der Kutscher (an’s Wagen-
fenster klopfend): Welche

Strasse wollen die Herr-
schaften?

(Man antwortet nicht. Er klopft
stärker und wiederholt seine
Frage.)

Herr Loussy: Am Bois
vorüber, Eugenienstrasse..
linker Hand! Ein grosses,
weisses Haus ... Sie wer-
den schon sehen, es trägt
ein Kreuz!

Splitter

Ein richtiger Witzbold,
sagt man, dürfe bei seinen
Witzen keine Miene ver-
ziehen. Ich liebe aber die
Leute, die von Herzen über
einen eigenen Einfall lachen
können. Denn ein Mensch,
finde ich, ist mehr wert!) als
ein Witz. Dito Lrnst

129
Register
Otto Ernst: Splitter
Max Feldbauer: Offiziers-Burschen
 
Annotationen