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Nr. 9

JUGEND

1899

„Literarisch rverthlos"

^Münchner Sommerschwüle im Baumschattcn
Wr>v des Hofgartens; an den Hunderten der
zum intimen Tritschtratsch einladenden Kaffee-
tischchen fast lauter fremde Gesichter. Dort
gerade noch ein Platz bei einem hochzeitsreisen-
den Pärchen, — doch das geringschätzende Di-
minutivum nehme ich sofort zurück. Freilich
sind auch sie auf dieser Reise aller Reiseu, aber
das ist nicht die gewöhnliche Sorte: der Mann
ein hocheleganter Schönling mit den jetzt so
beliebten Allüren von 1830; in seinen müden
Zügen lesen wir der, acht schon allzu langen
Reise wachsend Mißvergnügen; aber sie —
welch' ein sieghaftes Weib von imposanter
Spannkraft I Sic hatte grade sehr lebhaft zu
ihm gesprochen, indem sie, den blonden Nikekopf
hochaufgerichtet und die Hände in den Taschen
des Jackets, ein wenig auf den Hinterbeinen des
Stuhles wippte. Es lag etwas von Kriegslust
in diesem nachlässigen Hinundherwippen, eine
rhythmisch wiederholte Andeutung des Sprunges,
den die Schlange auf das Kaninchen macht.
Aber vor Allem kam dabei die Liniensymphonie
zur Geltung, welche Kopf, Hals, Büste und
Taille als lebendiges Kunstwerk erscheinen ließ.

Als ich um die Erlaubniß bat, den freien
Stuhl zu nehmen, hörten das Wippen und die
Diskussion sofort auf; sie ergriff das neueste
Heft einer Zeitschrift, das vor ihr gelegen, und
that so, als wenn sie eifrig darin studierte.
Aber der Zorn sprühte aus ihren Augen und
in den Winkeln des starken Mundes zuckte es.
Sie wartete nur, bis ich mich scheinbar in eine
Zeitung vertieft hatte, dann begann sie ohne
alle Rücksicht wieder zu wippen und nach dem

Mann-Kaninchen zu züngeln. Ihre Stimme
klang tief, voll, rund, aber mit den Obertönen
der Erregung.

„Also bitte, sage es deutlicher, — warum?"

„Das kann ich doch unmöglich hier ein-
gehend auseiuandersetzen, — überhaupt ist es
schwer zu sagen, es ist eben meine persönliche
Note, oder wie Du das nennen willst, mein
gesammtes Urtheil, mein Recht."

„Gut, dann sage doch einfach: ,es gefällt
mir nicht'; oder ,es interessirt urich nicht', oder
,ich verstehe es nicht'," —

„Oho, Du wirst schon wieder beleidigend.
Wenn Dir meine Ansicht nicht behagt, so setze
ihr einfach die Deine entgegen."

„Das thue ich natürlich und werde es
immer thun" (dabei wippte sie heftiger), —
„aber außerdem kann ich doch von Dir ver-
langen, daß Du Dich korrekt ausdrückst. Das
ist die Voraussetzung jeder gebildeten Unter-
haltung."

„Wieso, — korrekt?"

„Nun, indem Du einfach von Deiner
Ansicht sprichst, nicht aber diese Ansicht als
ein allgemeines Urtheil der Sachverständigen
aller Zeiten hinstellst. Es ist schon ärgerlich,
wenn man von Etwas begeistert ist und es
reizend findet, daß Einem dann so kalt hin-
gesagt wird ,Das finde ich nicht', — schon das
ist doch eigentlich rücksichtslos, herzlos; — in-
dem Du aber ohne jede ernsthafte Begründung
sagst: ,Das, was Dir so sehr gefällt, hat
literarisch keinen Werth', so heißt das nichts
anderes, als: ,Du gehörst nicht zu den literarisch
gebildeten Leuten.'"

„Das habe ich weder gesagt noch gemeint.
Mein Urtheil geht eben dahin, daß es literar-
isch werthlos ist."

„Ja, das sagst Du; das sagst Du oft, fast
immer, so oft, daß es mich fast nervös macht.
Das sagt Ihr Alle, Ihr gescheidten Männer,
wenn Euch nichts Rechtes einfällt, geradeso
wie Ihr durch ein perfides Achselzucken den
Ruf einer Frail antastet, die Euch hat abfahren
lassen. Was heißt das: .literarisch werthlos?'
Ist es etwa das ehrwürdige Alter, die ununter-
brochene Werthschätzung eines Jahrhunderts,
die Euch literarischen Respekt einflößt? Ist es
die klassische Form, der bleibende Ausdruck für
große Ideen? Das Alles scheint Euch nicht
zu genügen, sonst würdet Ihr nicht auch den
alten Schiller (Du sagst dann immer boshaft
Friedrich von Schiller) zu den literarisch Werth-
losen zählen. Noch habe ich nicht ergründen
können, nach welchem Maßstab Ihr urtheilt;
aber ich glaube, cs ist viel Egoismus, Neid und
Scheinheiligkeit dabei: namentlich auch viel
Herzlosigkeit. Durch tuen ist das Muckcrthuin
in die Welt gekommen, durch die Frauen oder
durch die Männer? Und die Denunziation, und
die Gaunersprache? Aber Ihr imponirt uns
dummen Frauen mit solchen Phrasen ganz und
gar nicht. Ihr macht uns läppische Elogen, Ihr
überbietet Euch in faden Galanterien, aber Ihr
merkt nicht, wie unhöflich es ist, eine gebildete Frau
wie ein einfältiges Schulmädchen zu behandeln.
Zwar mit Deiner Lieblingsphrase würdest Du
auch in der höheren Töchterschule Fiasko machen,
— aber mir verbitte ich diesen schulmeister-
lichen Ton. Wir Frauen, auch wir jungen,
sehen in manchen Dingen doch viel schärfer,
als Ihr Männer, und was die Empfindung

für lebensvolle Wahrheit und ihre künstlerische
Gestaltung anbelangt, so urtheilen wir meistens
oder doch in vielen Fällen ganz instinktiv viel
richtiger, als Ihr mit Eurer theuer erkauften
Erfahrung; und auch weniger eifersüchtig und
neidisch als Ihr!"

„Daran zweifle ich ja gar nicht," sagte er
etwas verlegen, um das Gespräch abzubrechen,
denn er merkte ebenso gut wie sie, daß ich hinter
meiner Zeitung aufpaßke wie ein Heftelmacher.

„Aber das genügt mir nicht. Du mußt
mir versprechen, daß Du in meiner Gegenwart
nicht mehr von literarischer Werthlosigkeit an-
fängst, wenn ich von den Reizen einer Lektüre
oder eines Schauspiels ergriffen bin."

„In Gottes Namen, ich verspreche es. Aber
in einer halben Stunde geht der direkte Zug
nach Starnberg — willst Du noch?"

„Mit VergnügenI Doch besehen wir uns
zuvor nochmals meinen Liebling dort auf dein
Pavillon. Bitte, stecke das Heft da ein und
trage meinen Schirm."

Er grüßte mich flüchtig, und da ich in meiner
Bewunderung mich vor ihr etwas erhob, ver-
neigte sie sich hoheitsvoll mit einem anmuthigen
Lächeln, als wollte sie mir danken, daß ich
Zeuge ihres Sieges gewesen. Venus viotrixl
Da schritt sie nun neben ihrem eleganten, etwas-
gebeugten Gatterich durch die schattige Hitze,
oder sie schwebte vielmehr, denn ihr Gang war
nur eine Fortsetzung des Wivpens auf dem
Stuhle, ein köstliches Wiegen und Wogen; die
Hände hatte sie in den Jackettaschen auf die
Hüften gestemmt (darum mußte Er den Sonnen-
schirm tragen), und an den graziösen Biegungen
ihres schlanken Rückens konnte man erkennen,
daß sie kein Korsett anhatte. War es eine feine
Absicht, daß sie ihren Begleiter nun anch noch
zwang, jenem kraftvoll-anmuthigsten Symbol
des Ewig-Weiblichen mit den Attributen der
Herrschaft seine Huldigung darzubringen'?
Wollte sie damit sagen: Verneige Dich vor
meinem Ebenbilde? Lange niußte ich ihnen
nachschauen. Zum Tausendstenmal überkam
eine Anwandlung jener unermeßlichen Sehn-
sucht nach dem Unbegrenzten mein altes großes
Herz. Wer waren sie? Woher, wohin, — und
wie lange würde er sich das, und sie sich ihn
gefallen lassen? Als sie entschwanden, hatte
ich den glücklichen Einfall aus der Metaphysik
des Unzureichlichen: „Huppe hin, — daß dichb
das Mäusle beiß'I"

Georg Hirth,

Singe!-

Singe, die Giraten der Tage m stillen,
Einzig Dir selbst nur zu Lust und zu Willen —
Singe, die Erraten der Stunde zu stillen,

Sprach ich zu mir.

Leise erhob sich mein Lied und regte
Schüchtern die Flügel... so leise beioegte
Sich sein Flug, daß kein Laut sich rings regte»
Saum rings ein Laut.

Einer nrrr, jener Seufzer, der sagte:

„Liehe, jetzt singst Du, der eben noch klagte—'"
Einer nur, dieses Athmen, das sagte:

„Siehe, Du lebst!'"

John Hcnrr SXlaäat
Register
Georg Hirth: "Literarisch werthlos"
John Henry Mackay: Singe!
[nicht signierter Beitrag]: Bavaria im Münchner Hofgarten
 
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