Nr. 10
JUGEND
1899
Die Freunde
Von Rarl Lmil Franzos
„Also Dir geht's gut?!" sagte der Oberlandes-
gerichtsrath nach einer Pause. „Natürlich, ein
solcher Name, solche Aufträge! Gibt's eine euro-
päische Majestät, dieDu noch nicht gemalt hast?! •.
Und Deine Frau?!" r
Der Maler zog einen Augenblick die feinen
Brauen zusammen. „Der — geht's hoffentlich
auch gut," erwiderte er leichthin, doch klang die
Stimme etwas heiser. „Wir haben uns seit
Fahren nicht mehr gesehen. Sie lebt auf ihrem
Gut, oben bei Danzig, mit den beiden Kleinen.."
„Oh!... Pardon!. ." Der Beamte >var ver-
legen, wirklich verlegen; er verbrauchte einige
Wachshölzchen, bis die Frühstückscigarre in Brand
war. „Wenn man in Celle lebt..." Er blickte
wie suchend um sich, offenbar nach einem Ge-
sprächsstoff. Sie saßen im Cafe Gotthard in
Luzern; die Augustsonne brannte auf den Quai
nieder, daß ein Dunsthauch über den Bäumen
und Häusern lag. „Kaum Acht — und schon
so heiß! Das wäre ein Tag für den Rigi."
Und er deutete auf den Dampfer an der Landungs-
brücke, kaum zwanzig Schritte von ihnen. Aus
dem Schornstein stieg eben der erste Rauch.
Der Maler konnte wieder lächeln. „Dann
komm' nüt. Ich fahre um Neun hinauf....
Uebrigens — das vorhin — Du brauchtest nicht
so verlegen zu werden... Mein Gott, wenn
man in Celle lebt... Auch sind's schon drei
Jahre her! Und wenn Du etwa neugierig bist—"
„Nein, Heinrich!" Das steife, magere, etwas
mißfarbene Amtsgcsicht belebte sich. „Neugierig?
Da thust Du mir Unrecht! Wenn man sich so
lange kennt — fast so lang, als wir leben —
und dann: ich kenne sie ja auch... Bor sieben
Jahren, Du hast's vielleicht vergessen..."
Der Künstler schüttelte den Kopf. „Ich seh'
Dich noch an unserem Tische sitzen," sagte er
halblaut, den Blick auf die Tasse vor ihiu ge-
heftet. „Unser erster Gast!... Es muß Ende
März gewesen sein; am Ui. war unsere Trauung.
Du warst von ihr entzückt, natürlich, wer auch
nicht?! Und was Du mir dann im Rauch-
zimmer sagtest, weiß ich noch ganz genau."
„Ich werbe Dir wohl gute Lehren ..."
„Nein, Karl, es war mehr." Und wie er
nun den Kops in den Nacken warf, mußte er
wieder einmal denken, tvie in all den Jahren so
oft: „Welche Prachtleistung der Natur! Welch'
ein schöner Mensch!" Er sah kaum jünger aus,
als er war; das braune dichte Haar an den
Schläfen lvar leicht ergraut. Aber unvertilgbar
lagen Kraft und Anmuth über den scharf geschnit-
tenen Ziigen und die Augen leuchteten unter den
langen Brauen wie dunkle Sterne. Die Gestalt
mittelgroß, elastisch, von jener männlichen Grazie,
der man an den Bildwerken der Alten so oft,
aber heut' im Leben kaum je begegnet.
. „Du sagtest mir damals: ,Du bist der glück-
lichste Mensch, den ich kenne, und ich gönn' es
Dir, obtvohl es mir schwer fällt. Denn Du
weißt, ich halt' es mit dem Recht, nicht blos von
Berufswegen, sondern aus innerster Ucbcrzeug-
ung; ich glaube sogar, daß den meisten Menschen
in letzter Linie so geschieht, wie sie verdienen,
und das wirfst Du mir um, denn Dir geschieht
tausendfach besser. Nicht in Deiner Kunst, Du
stehst genau da, wohin Dich Deine Begabung,
Dein Fleiß gestellt haben. Aber dies herrliche
Geschöpf — wie Verdienst Du, vierzigjähriger
Schwerenöther, eine solche Frau! Verdien' sie
mindestens hinterdrein! Sag' nicht, wie sonst,
die Weiber liefen Dir nach und wir armseligen
Kameele mit angeborenem Höcker könnten
dem Tiger seinen Wuchs, seine Kraft und
seine Krallen nie verzeihen. Etwas ist d'ran,
sogar nicht wenig, genau so viel, als im
Menschen vom Thier steckt. Aber eine Bestie
ist der Mensch nicht — Seele, Gewissen, auch
das ist nicht eitel Dunst. Und dies Gewissen
muß Dir sagen: Verdien' sie Dir nun! Nicht
etwa blos durch Treue, das ist selbstverständ-
lich, nein! durch eine Liebe ohne Grenzen!' ...
So etiva hast Du damals gesprochen, Karl„
kein Wunder, daß ich's noch weiß .. ."
Der Beamte schwieg; nur seine Augen fragten.
„Nun — und ich habe sie eben nicht ver-
dient ... Aber noch schlimmer... Sag' nichts,"
fuhr er hastig fort, als der Freund zum Sprechen
ansctzte, „kräftigere Reden, als ich mir selber zu-
weilen halte, bringst auch Du nicht fertig!"
Darauf war es eine Weile still. Am Neben-
tisch nahmen neue Gäste Platz; der Rath blickte
auf und zog grüßend den Hut. Ein Herr und-
eine Dame; er unförmlich, mit dunklem Gesicht
und weißem Haar, sie eine schöne, brünette Person,
mit schwarzen Gluthaugen und beweglichen
Nüstern. Nur die Formen etwas zu voll und>
die Toilette etwas zu grell.
„Tischgenossen vom ,Luzerner Hof,'" flüsterte
der Rath dem Maler zu, der flüchtig hinüber-
snh. „Ein ehemaliger rumänischer Justizminister
und seine Tochter."
Heinrich nickte. „Aus dem wilden Winkel.
Man merkt's auch an der Toilette. Roth-gelb-
blau." Dann starrte er wieder dem Rauch seiner
Cigarette nach.
Der Rath räusperte sich. „Also" — begann,
er und verstummte wieder. „Also vor drei
Jahren schon?" fragte er endlich.
„Ja. Kurz hat das Glück gedauert, kaum
vier Jahre. Wirklich ein Glück, Karl, ein volles
Glück, für sie und mich. Ich halte keinen an-
deren Wunsch, als sie, kein Wunder! Daß sie
jung, schön, anmuthig war, weißt Du ja —
aber wie gut war sie auch, wie klug, welcher
prächtige Kamerad! Dazu unsere beiden süßen.
Mädels-wer mir damals gesagt hätte:
,Jn einigen Wochen verdienst Du das Alles
nicht mehr' — erwürgt hätt' ich den Menschen..
Und doch..."
Der Andere rückte näher. „Die Versuchung
war wohl sehr stark?"
„Das schon... Ein schönes Weib, schlang
blond, Mitte der Zwanzig, anscheinend kalt.
Obampaxue trappe — die Gattung war mir
immer die gefährlichste. Wenn das so zu thauen,
zu schäumen beginnt... Schon bei der zweiten
Sitzung wurde mir's schwül."
„Ein Modell?"
„Bewahre — das thut selbst ein junger Maler
nur, tvenn er ein gemeiner Kerl ist... Blaues
Blut, sehr raffinirt, so halb und halb Pariserin.
Auch waren Ivir auf ihrem Schloß allein, während-
der Mann, ein plumper, häßlicher Pferdemensch,
nnt seiner Cocotte in Monte Carlo saß. Zudem,
machte sie's mir leicht; sie hat mich, glaub' ich,
in ihrer Art tvirklich geliebt. Du siehst, es kanr
etwas viel zusammen, aber ich will mich nicht
entschuldigen.. Genug, es geschah, wurde ruch-
bar, ein richtiger Skandal — wie, ist ja gleich-
giltig. Natürlich ersuhr's auch meine Frau."
„Und was sagte sie dazu?"
„Zunächst nichts. Sie war betäubt, ihr Him-
mel war eingestürzt und hatte sie unter seinen
Trümmern begraben. Dann schien sie entschlossen,
für immer mit mir ferttg, reiste mit den Kindern
auf ihr Gut. Ich wehrte ihr nicht, hielt auch
die Freunde ab zu vermitteln, bat nur selber
und — hoffte. Sie war ja so gut und klug,
liebte mich so sehr, dazu die Rücksicht auf die
Kinder. In der That schrieb sie mir nach einigen
Wochen, ich möge kommen, mich mit ihr aus-
sprechen."
„Und trotzdem versöhntet Ihr Euch nicht?"
fragte der Rath und rückte noch näher. Sein
Blick streifte dabei den Nachbartisch und die
kleinen Augen wurden groß. Da saß die
üppige Bojarin und starrte den Künstler wie
Max Feldbauer (München)
JUGEND
1899
Die Freunde
Von Rarl Lmil Franzos
„Also Dir geht's gut?!" sagte der Oberlandes-
gerichtsrath nach einer Pause. „Natürlich, ein
solcher Name, solche Aufträge! Gibt's eine euro-
päische Majestät, dieDu noch nicht gemalt hast?! •.
Und Deine Frau?!" r
Der Maler zog einen Augenblick die feinen
Brauen zusammen. „Der — geht's hoffentlich
auch gut," erwiderte er leichthin, doch klang die
Stimme etwas heiser. „Wir haben uns seit
Fahren nicht mehr gesehen. Sie lebt auf ihrem
Gut, oben bei Danzig, mit den beiden Kleinen.."
„Oh!... Pardon!. ." Der Beamte >var ver-
legen, wirklich verlegen; er verbrauchte einige
Wachshölzchen, bis die Frühstückscigarre in Brand
war. „Wenn man in Celle lebt..." Er blickte
wie suchend um sich, offenbar nach einem Ge-
sprächsstoff. Sie saßen im Cafe Gotthard in
Luzern; die Augustsonne brannte auf den Quai
nieder, daß ein Dunsthauch über den Bäumen
und Häusern lag. „Kaum Acht — und schon
so heiß! Das wäre ein Tag für den Rigi."
Und er deutete auf den Dampfer an der Landungs-
brücke, kaum zwanzig Schritte von ihnen. Aus
dem Schornstein stieg eben der erste Rauch.
Der Maler konnte wieder lächeln. „Dann
komm' nüt. Ich fahre um Neun hinauf....
Uebrigens — das vorhin — Du brauchtest nicht
so verlegen zu werden... Mein Gott, wenn
man in Celle lebt... Auch sind's schon drei
Jahre her! Und wenn Du etwa neugierig bist—"
„Nein, Heinrich!" Das steife, magere, etwas
mißfarbene Amtsgcsicht belebte sich. „Neugierig?
Da thust Du mir Unrecht! Wenn man sich so
lange kennt — fast so lang, als wir leben —
und dann: ich kenne sie ja auch... Bor sieben
Jahren, Du hast's vielleicht vergessen..."
Der Künstler schüttelte den Kopf. „Ich seh'
Dich noch an unserem Tische sitzen," sagte er
halblaut, den Blick auf die Tasse vor ihiu ge-
heftet. „Unser erster Gast!... Es muß Ende
März gewesen sein; am Ui. war unsere Trauung.
Du warst von ihr entzückt, natürlich, wer auch
nicht?! Und was Du mir dann im Rauch-
zimmer sagtest, weiß ich noch ganz genau."
„Ich werbe Dir wohl gute Lehren ..."
„Nein, Karl, es war mehr." Und wie er
nun den Kops in den Nacken warf, mußte er
wieder einmal denken, tvie in all den Jahren so
oft: „Welche Prachtleistung der Natur! Welch'
ein schöner Mensch!" Er sah kaum jünger aus,
als er war; das braune dichte Haar an den
Schläfen lvar leicht ergraut. Aber unvertilgbar
lagen Kraft und Anmuth über den scharf geschnit-
tenen Ziigen und die Augen leuchteten unter den
langen Brauen wie dunkle Sterne. Die Gestalt
mittelgroß, elastisch, von jener männlichen Grazie,
der man an den Bildwerken der Alten so oft,
aber heut' im Leben kaum je begegnet.
. „Du sagtest mir damals: ,Du bist der glück-
lichste Mensch, den ich kenne, und ich gönn' es
Dir, obtvohl es mir schwer fällt. Denn Du
weißt, ich halt' es mit dem Recht, nicht blos von
Berufswegen, sondern aus innerster Ucbcrzeug-
ung; ich glaube sogar, daß den meisten Menschen
in letzter Linie so geschieht, wie sie verdienen,
und das wirfst Du mir um, denn Dir geschieht
tausendfach besser. Nicht in Deiner Kunst, Du
stehst genau da, wohin Dich Deine Begabung,
Dein Fleiß gestellt haben. Aber dies herrliche
Geschöpf — wie Verdienst Du, vierzigjähriger
Schwerenöther, eine solche Frau! Verdien' sie
mindestens hinterdrein! Sag' nicht, wie sonst,
die Weiber liefen Dir nach und wir armseligen
Kameele mit angeborenem Höcker könnten
dem Tiger seinen Wuchs, seine Kraft und
seine Krallen nie verzeihen. Etwas ist d'ran,
sogar nicht wenig, genau so viel, als im
Menschen vom Thier steckt. Aber eine Bestie
ist der Mensch nicht — Seele, Gewissen, auch
das ist nicht eitel Dunst. Und dies Gewissen
muß Dir sagen: Verdien' sie Dir nun! Nicht
etwa blos durch Treue, das ist selbstverständ-
lich, nein! durch eine Liebe ohne Grenzen!' ...
So etiva hast Du damals gesprochen, Karl„
kein Wunder, daß ich's noch weiß .. ."
Der Beamte schwieg; nur seine Augen fragten.
„Nun — und ich habe sie eben nicht ver-
dient ... Aber noch schlimmer... Sag' nichts,"
fuhr er hastig fort, als der Freund zum Sprechen
ansctzte, „kräftigere Reden, als ich mir selber zu-
weilen halte, bringst auch Du nicht fertig!"
Darauf war es eine Weile still. Am Neben-
tisch nahmen neue Gäste Platz; der Rath blickte
auf und zog grüßend den Hut. Ein Herr und-
eine Dame; er unförmlich, mit dunklem Gesicht
und weißem Haar, sie eine schöne, brünette Person,
mit schwarzen Gluthaugen und beweglichen
Nüstern. Nur die Formen etwas zu voll und>
die Toilette etwas zu grell.
„Tischgenossen vom ,Luzerner Hof,'" flüsterte
der Rath dem Maler zu, der flüchtig hinüber-
snh. „Ein ehemaliger rumänischer Justizminister
und seine Tochter."
Heinrich nickte. „Aus dem wilden Winkel.
Man merkt's auch an der Toilette. Roth-gelb-
blau." Dann starrte er wieder dem Rauch seiner
Cigarette nach.
Der Rath räusperte sich. „Also" — begann,
er und verstummte wieder. „Also vor drei
Jahren schon?" fragte er endlich.
„Ja. Kurz hat das Glück gedauert, kaum
vier Jahre. Wirklich ein Glück, Karl, ein volles
Glück, für sie und mich. Ich halte keinen an-
deren Wunsch, als sie, kein Wunder! Daß sie
jung, schön, anmuthig war, weißt Du ja —
aber wie gut war sie auch, wie klug, welcher
prächtige Kamerad! Dazu unsere beiden süßen.
Mädels-wer mir damals gesagt hätte:
,Jn einigen Wochen verdienst Du das Alles
nicht mehr' — erwürgt hätt' ich den Menschen..
Und doch..."
Der Andere rückte näher. „Die Versuchung
war wohl sehr stark?"
„Das schon... Ein schönes Weib, schlang
blond, Mitte der Zwanzig, anscheinend kalt.
Obampaxue trappe — die Gattung war mir
immer die gefährlichste. Wenn das so zu thauen,
zu schäumen beginnt... Schon bei der zweiten
Sitzung wurde mir's schwül."
„Ein Modell?"
„Bewahre — das thut selbst ein junger Maler
nur, tvenn er ein gemeiner Kerl ist... Blaues
Blut, sehr raffinirt, so halb und halb Pariserin.
Auch waren Ivir auf ihrem Schloß allein, während-
der Mann, ein plumper, häßlicher Pferdemensch,
nnt seiner Cocotte in Monte Carlo saß. Zudem,
machte sie's mir leicht; sie hat mich, glaub' ich,
in ihrer Art tvirklich geliebt. Du siehst, es kanr
etwas viel zusammen, aber ich will mich nicht
entschuldigen.. Genug, es geschah, wurde ruch-
bar, ein richtiger Skandal — wie, ist ja gleich-
giltig. Natürlich ersuhr's auch meine Frau."
„Und was sagte sie dazu?"
„Zunächst nichts. Sie war betäubt, ihr Him-
mel war eingestürzt und hatte sie unter seinen
Trümmern begraben. Dann schien sie entschlossen,
für immer mit mir ferttg, reiste mit den Kindern
auf ihr Gut. Ich wehrte ihr nicht, hielt auch
die Freunde ab zu vermitteln, bat nur selber
und — hoffte. Sie war ja so gut und klug,
liebte mich so sehr, dazu die Rücksicht auf die
Kinder. In der That schrieb sie mir nach einigen
Wochen, ich möge kommen, mich mit ihr aus-
sprechen."
„Und trotzdem versöhntet Ihr Euch nicht?"
fragte der Rath und rückte noch näher. Sein
Blick streifte dabei den Nachbartisch und die
kleinen Augen wurden groß. Da saß die
üppige Bojarin und starrte den Künstler wie
Max Feldbauer (München)