Nr. 10
JUGEND
1899
eben nicht heirathen, oder muß doch vorher
seine Braut fragen, ob ihr mit einem untreuen
Gatten gedient ist. Beides hast Du nicht
gethan!"
„Weil ich damals nichts wußte und nichts
wollte, als sie. Du weißt, ich bin nie ein
frommer Katholik gewesen, und daß ich dann
meiner Braut oder richtiger ihren Eltern zu
lieb Protestant wurde, stimmte mich auch
nicht eben frömmer. Und dennoch kann nie
ein Mann sein Ja am Altar feierlicher und
fester gemeint haben, als ich!"
„Dann hättest Du's auch halten müssen!" Die
Entrüstung ward immer polternder, aber eben darum
jenes Behagen immer sichtlicher. „Gar so schwer war's
doch nicht für Dich. Nimm an, die Natur hätte Dich
wirklich zum Polygamen bestimmt. Nun, dann durftest Du Dir
sagen: ,Jch habe diese Bestimmung bis in mein fünfundvierzigstes
Jahr so voll erfüllt, daß ich es nun getrost mit der Monogamie ver-
suchen kann. Besonders an der Seite dieser Frau, die so schön und
zwanzig Jahre jünger ist, als ich!'... Ja, ja, mein Lieber!"
Der Künstler wollte heftig erwidern, dann bezwang er sich. „Nicht
übel — so aus Deiner Natur heraus gesprochen. Und für Andere
haben tugendsame Menschen noch peinlichere Grundsätze, als für sich
selber... Aber im Ernst, Karl! Du hättest Deinen Beruf verfehlt
und wärest ein jämmerliches Stück Gerechtigkeit auf Erden, wenn Du
noch immer nicht erkannt hättest, daß Jeder aus seiner Natur heraus
denkt und handelt, und darum Jeder nicht wie er will, sondern wie
er muß ... Du mißachtest mich um meiner Schwäche willen, das heißt,
so weit Du mich nicht um die angenehmen Folgen in aller Stille
beneidest. Ich aber verdiene nicht das Eine, noch das Andere; Neid
gebührt dem Vorzug, Mißachtung dem Laster; was mir auferlegt ist,
ist keines von Beiden, sondern ein Schicksal. Und dem gebührt Ver-
ständuiß. Freilich, bei dieser Verschiedenheit der Naturen..."
„Kameel und Tiger!".
„Hab' ich vor dreißig Jahren gesagt, und es hat Dich seither ge-
wurmt, so. oft Du daran dachtest, weil es — so wahr ist. Oder doch
annähernd wahr. Denn dem Kameel ist auferlegt, niemals mordgierig
zu sein, und dem Tiger, es immer zu sein, und auf die Gier, oder
sagen wir, das Begehren kommt's ja bei dem Gegensatz zwischen
Menschen meines und Deines Schlages so wenig an! Ich weiß ja,
Karl, Du bist immer ein sehr vernünftiger Herr gewesen. Auf der
Universität und dann als Referendar ab und zu ein heimlicher Trunk
aus der Pfütze, dann die Heirath, aus Neigung selbstverständlich,
aber auch höchst vortheilhaft. Und kleine, wirklich nicht nennenswerthe
Seitensprünge auf Reisen u. s. w. abgerechnet —"
Der Rath hob feierlich abwehrend die Hand.
„Schwör' nicht, Karl, sonst muß ich lachen und darnach ist mir
jetzt wahrhaftig nicht zu Math... Also — ein Mustermensch warst
Du, und dennoch sage ich es Dir auf den Kopf zu: Du hast viel mehr
Frauen im Leben begehrt als ich. hast in Gedanken unendlich mehr
Unheil angestiftet, als ich in Wahrheit, und daß es bei den Gedanken
geblieben ist, ist nicht Dein Verdienst. Thu' nicht so entrüstet, wahr
ist's doch, zudem meine ich gar nicht Dich und mich, sondern die Gatt-
ungen, denen wir zugehören. Ihr genießt weniger und darum be-
gehrt Ihr mehr. Also darauf kommt's. wenig an, wenig auf die
Wirkung, welche die Frauen auf uns üben, sondern das Vegehrt-
werden entscheidet unser Schicksal, die Wirkung, die wir auf die Frauen
üben. Begehren und sich bezwingen — leicht ist es auch nicht, aber
es ist Kinderspiel gegen dies Andere: verzichten, wenn man von Einer
begehrt ivird, die uns das Blut sieden macht. Und darum: Gerechtig-
keit, Du weiser Daniel! Es ist nicht Dein Verdienst, wenn Du ein
Mustermensch bist, und nicht meine Schuld, wenn ich keiner bin!"
„Nun, so ganz kann ich das doch nicht zugeben," sagte der Rath.
„Ueberhaupt — die Unfreiheit des Willens — eine Theorie wie ein
Komet: kuriose Bah», dünner Kern, viel Phrasendunst, freilich auch viel
Flimmerglanz... Aber als Dein Richter fühle ich mich ja überhaupt
nicht, nur als Dein Freund! ... Sieh, ich habe mir ja selbst in meiner
Jugend niemals gewünscht, ein Tiger zu sein, aber weun ich nun
sehe, wohin es führt. .. hm!" Er räusperte sich und streckte dann
dem Künstler mit sehr theilnahmsvoller Miene die Hand entgegen.
Dieser schlug ein, aber leicht, und ein seltsames Lächeln um die
Lippen. „Sei's! Obwohl viel Heuchelei dabei ist..."
„Aber Heinrich!"
„Doch, mein alter Junge. Nicht einmal, tausendmal und Dein
ganzes Leben hindurch hast Du Dir gewünscht, ein Tiger zu sein,
und während Du jetzt hier sitzest, denkst Du an nichts Anderes. Denn
das will jeder Mann sein, und das ist so natürlich! Es ist ja hübsch,
so aus vollen Krügen zu trinken, — nein, es ist berauschend, mit
das Höchste, was dies arme Leben bieten kann, und es
gibt Stunden, wo ich nur eine Empfindung habe: ,Natur, Gertrud Kleinhempel
ich danke Dir, daß Du mich schufst, wie ich bin
— trotzdem und alledem — ich danke Dir st
Aber and're Stunden gibt's, wo ich Alles
drum gäbe, ein Kameel zu sein, ich meine
ein Mensch, der glücklich ist, sich ein braves
Weib errungen zu haben und die anderr»
Weiber in Ruhe läßt, weil sie sich nicht um
ihn scheeren, — Stunden, wo ich meinen
Namen d'rum gäbe, Jahre meines Lebens,
was weiß ich, — nur mein bischen Können
als Künstler nicht, aber sonst wirklich Alles ...
Du lächelst?! Oh, es ist doch so! Und ich
glaube sogar, es geht vielen Leuten meines
Schlages ganz ebenso. Nicht Allen, nicht Jenen,
die so vom Menschen nur das Gesicht haben, aber
uns Andern. Wie Du ja damals selbst sagtest: ,Seele,
Gewissen, auch das ist nicht eitel Dunst!' — ich hab's gespürt!
In jener Dezembernacht, aber auch vorher, nachher, und jetzt
eben... Du verstehst mich nicht, aber so dunkel fühlst Du, wie
es in mir aussieht, und weil Du sie gekannt hast, so empfindest Du.
jetzt neben sehr viel Schadenfreude wirklich auch ein bischen Mitleid
für mich!"
„Nun ja, viel Verdienst Du ja nicht," erwiderte der Rath: er gab
sich nun sichtlich Mühe, die Tonart des Andern nachzuahmen. „Und
selbst dies Wenige wende ich Dir nur zu, weil ich sie gekannt habe.
Ich Hab' sie ja damals nur einige Stunden gesehen und gesprochen,
dennoch ist mir klar: dieses Weib verloren zu haben, ist wirklich
ein Unglück. Aber freilich, eben darum fasse ich es auch nicht, >vie Du
damals zögern konntest. Einer Marotte wegen sein Glück zernichten!"
„Das nennst Du eine Marotte?! Nur ein Lump gibt sein Wort,
obwohl er zweifelt, daß er's wird halten können. Und welche Ge-
meinheit wär's vollends gewesen, zu denken: ,Mein Wort? Bitte,
sehr gern! Aber nun sehen wir zu, wie weit wir damit kommen; wenn
nur ein paar Schritte, so wird derlei doch nicht immer sofort ruch-
bar!'... Bleibt also nur die Frage: ,Warum könnt' ich mein Wort
nicht geben?' und darauf nur die Antwort: .Weil ich, so wie ich nunc
einmal bin, eben nicht konnte!' Ein Schicksalsgenosse, sofern er da-
neben auch ein Gewissen hat, kann mich vielleicht verstehen, Du nicht!"
Der Rath lächelte, etwas krampfhaft freilich, so, als ob er mit
eisernem Striegel gekitzelt würde. „Versuchen wir's dennoch! Jnte-
ressirt mich wirklich. Du sagtest, begehren und trotzdem verzichten,
das ginge leicht?"
„Nein, schwer, aber es geht. Auch wenn man sich sagen mußt
,Nur noch eine Stunde, und auch drüben schlägt die Flamme empor!'
— man beißt die Zahne zusammen und überwindet's. Und nur»
gar, wenn man selber kalt geblieben ist — da kostet's ja keinen
Kampf, das thut man einfach als anständiger Mensch nicht."
„Auch wenn das Weib jung und schön ist?"
„Auch dann. Man darf sich auch durch Jugend und Schönheit nicht
— kaufen lassen."
„Nun — nun" — Aber trotz des spöttischen Tons wußte der Rath
ganz genau: Der Mann heuchelt nicht; so hat er's immer gehalten.
Und trotzdem, dachte er neidvoll, wie viel hat er trotzdem genießen
können!... Laut aber sagte er: „Also nur, wenn man begehrt und
begehrt wird — .zwei Seelen und ein Gedanke' u. s. w. — wäre
Widerstand unmöglich? Oder doch fraglich? Aber hast Du dabei
nicht an Deine Jahre gedacht und wie das Blut immer kälter wird?!"
„O Du Glücklicher, wenn Du das ehrlich und aus eigener Er-
fahrung sagst!" rief, der Künstler, nicht spöttisch, nein, leidenschaftlich,
ja schmerzvoll. „Ich habe Grund zu glauben, daß man erst im
Schwabenalter recht erkennt, was Begehren und Beglücktsein heißt!
Seltener kommt die Gluth, als zwanzig Jahre zuvor, aber dann
ist's auch Fiebergluth... Unsinn, Karl, ein junger Mensch kann
vielleicht auch lechzend verzichten — du lieber Gott, auf was Alles
kann er noch hoffen! — aber wer sich so im September seines Lebens
fühlt?! Der Winter steht ja vor der Thüre, die entsetzliche Zeit, wo
Alles zu Ende ist: die eigene Gluth und die Fähigkeit, Andere er-
glühen zu machen. Sich abwenden, wenn man sich sagen muß.
,Es ist vielleicht Dein letzter Sieg und dann wird's kalt um Dich!'
— wer bürgt mir, daß ich das gekonnt hätte?!"
„Und um nicht den letzten Sieg zu versäumen, hast Du Dein letztes
Gliick zertrümmert?!"
„Nein! Sondern weil ich vor solchem Pyrrhussieg zitterte, meine
Frau nicht nochmals betrügen mochte ... Aber wozu erst wiederholen?
— für Dich sind's Phrasen und. für mich war's der Zwang meiner
Natur und darum mein Schicksal!"
Er zog seine Uhr und blickte zum Dampfer hin.
„O, Du hast noch Zeit," sagte der Rath. „Noch eine halbe —"
Das letzte Wort blieb ihm in der Kehle stecken, so sehr interessirte
ihn das Schauspiel, das sich ihm nun bot. Der Blick
(München) pes Malers war endlich dem der Rumänin begegnet und
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eben nicht heirathen, oder muß doch vorher
seine Braut fragen, ob ihr mit einem untreuen
Gatten gedient ist. Beides hast Du nicht
gethan!"
„Weil ich damals nichts wußte und nichts
wollte, als sie. Du weißt, ich bin nie ein
frommer Katholik gewesen, und daß ich dann
meiner Braut oder richtiger ihren Eltern zu
lieb Protestant wurde, stimmte mich auch
nicht eben frömmer. Und dennoch kann nie
ein Mann sein Ja am Altar feierlicher und
fester gemeint haben, als ich!"
„Dann hättest Du's auch halten müssen!" Die
Entrüstung ward immer polternder, aber eben darum
jenes Behagen immer sichtlicher. „Gar so schwer war's
doch nicht für Dich. Nimm an, die Natur hätte Dich
wirklich zum Polygamen bestimmt. Nun, dann durftest Du Dir
sagen: ,Jch habe diese Bestimmung bis in mein fünfundvierzigstes
Jahr so voll erfüllt, daß ich es nun getrost mit der Monogamie ver-
suchen kann. Besonders an der Seite dieser Frau, die so schön und
zwanzig Jahre jünger ist, als ich!'... Ja, ja, mein Lieber!"
Der Künstler wollte heftig erwidern, dann bezwang er sich. „Nicht
übel — so aus Deiner Natur heraus gesprochen. Und für Andere
haben tugendsame Menschen noch peinlichere Grundsätze, als für sich
selber... Aber im Ernst, Karl! Du hättest Deinen Beruf verfehlt
und wärest ein jämmerliches Stück Gerechtigkeit auf Erden, wenn Du
noch immer nicht erkannt hättest, daß Jeder aus seiner Natur heraus
denkt und handelt, und darum Jeder nicht wie er will, sondern wie
er muß ... Du mißachtest mich um meiner Schwäche willen, das heißt,
so weit Du mich nicht um die angenehmen Folgen in aller Stille
beneidest. Ich aber verdiene nicht das Eine, noch das Andere; Neid
gebührt dem Vorzug, Mißachtung dem Laster; was mir auferlegt ist,
ist keines von Beiden, sondern ein Schicksal. Und dem gebührt Ver-
ständuiß. Freilich, bei dieser Verschiedenheit der Naturen..."
„Kameel und Tiger!".
„Hab' ich vor dreißig Jahren gesagt, und es hat Dich seither ge-
wurmt, so. oft Du daran dachtest, weil es — so wahr ist. Oder doch
annähernd wahr. Denn dem Kameel ist auferlegt, niemals mordgierig
zu sein, und dem Tiger, es immer zu sein, und auf die Gier, oder
sagen wir, das Begehren kommt's ja bei dem Gegensatz zwischen
Menschen meines und Deines Schlages so wenig an! Ich weiß ja,
Karl, Du bist immer ein sehr vernünftiger Herr gewesen. Auf der
Universität und dann als Referendar ab und zu ein heimlicher Trunk
aus der Pfütze, dann die Heirath, aus Neigung selbstverständlich,
aber auch höchst vortheilhaft. Und kleine, wirklich nicht nennenswerthe
Seitensprünge auf Reisen u. s. w. abgerechnet —"
Der Rath hob feierlich abwehrend die Hand.
„Schwör' nicht, Karl, sonst muß ich lachen und darnach ist mir
jetzt wahrhaftig nicht zu Math... Also — ein Mustermensch warst
Du, und dennoch sage ich es Dir auf den Kopf zu: Du hast viel mehr
Frauen im Leben begehrt als ich. hast in Gedanken unendlich mehr
Unheil angestiftet, als ich in Wahrheit, und daß es bei den Gedanken
geblieben ist, ist nicht Dein Verdienst. Thu' nicht so entrüstet, wahr
ist's doch, zudem meine ich gar nicht Dich und mich, sondern die Gatt-
ungen, denen wir zugehören. Ihr genießt weniger und darum be-
gehrt Ihr mehr. Also darauf kommt's. wenig an, wenig auf die
Wirkung, welche die Frauen auf uns üben, sondern das Vegehrt-
werden entscheidet unser Schicksal, die Wirkung, die wir auf die Frauen
üben. Begehren und sich bezwingen — leicht ist es auch nicht, aber
es ist Kinderspiel gegen dies Andere: verzichten, wenn man von Einer
begehrt ivird, die uns das Blut sieden macht. Und darum: Gerechtig-
keit, Du weiser Daniel! Es ist nicht Dein Verdienst, wenn Du ein
Mustermensch bist, und nicht meine Schuld, wenn ich keiner bin!"
„Nun, so ganz kann ich das doch nicht zugeben," sagte der Rath.
„Ueberhaupt — die Unfreiheit des Willens — eine Theorie wie ein
Komet: kuriose Bah», dünner Kern, viel Phrasendunst, freilich auch viel
Flimmerglanz... Aber als Dein Richter fühle ich mich ja überhaupt
nicht, nur als Dein Freund! ... Sieh, ich habe mir ja selbst in meiner
Jugend niemals gewünscht, ein Tiger zu sein, aber weun ich nun
sehe, wohin es führt. .. hm!" Er räusperte sich und streckte dann
dem Künstler mit sehr theilnahmsvoller Miene die Hand entgegen.
Dieser schlug ein, aber leicht, und ein seltsames Lächeln um die
Lippen. „Sei's! Obwohl viel Heuchelei dabei ist..."
„Aber Heinrich!"
„Doch, mein alter Junge. Nicht einmal, tausendmal und Dein
ganzes Leben hindurch hast Du Dir gewünscht, ein Tiger zu sein,
und während Du jetzt hier sitzest, denkst Du an nichts Anderes. Denn
das will jeder Mann sein, und das ist so natürlich! Es ist ja hübsch,
so aus vollen Krügen zu trinken, — nein, es ist berauschend, mit
das Höchste, was dies arme Leben bieten kann, und es
gibt Stunden, wo ich nur eine Empfindung habe: ,Natur, Gertrud Kleinhempel
ich danke Dir, daß Du mich schufst, wie ich bin
— trotzdem und alledem — ich danke Dir st
Aber and're Stunden gibt's, wo ich Alles
drum gäbe, ein Kameel zu sein, ich meine
ein Mensch, der glücklich ist, sich ein braves
Weib errungen zu haben und die anderr»
Weiber in Ruhe läßt, weil sie sich nicht um
ihn scheeren, — Stunden, wo ich meinen
Namen d'rum gäbe, Jahre meines Lebens,
was weiß ich, — nur mein bischen Können
als Künstler nicht, aber sonst wirklich Alles ...
Du lächelst?! Oh, es ist doch so! Und ich
glaube sogar, es geht vielen Leuten meines
Schlages ganz ebenso. Nicht Allen, nicht Jenen,
die so vom Menschen nur das Gesicht haben, aber
uns Andern. Wie Du ja damals selbst sagtest: ,Seele,
Gewissen, auch das ist nicht eitel Dunst!' — ich hab's gespürt!
In jener Dezembernacht, aber auch vorher, nachher, und jetzt
eben... Du verstehst mich nicht, aber so dunkel fühlst Du, wie
es in mir aussieht, und weil Du sie gekannt hast, so empfindest Du.
jetzt neben sehr viel Schadenfreude wirklich auch ein bischen Mitleid
für mich!"
„Nun ja, viel Verdienst Du ja nicht," erwiderte der Rath: er gab
sich nun sichtlich Mühe, die Tonart des Andern nachzuahmen. „Und
selbst dies Wenige wende ich Dir nur zu, weil ich sie gekannt habe.
Ich Hab' sie ja damals nur einige Stunden gesehen und gesprochen,
dennoch ist mir klar: dieses Weib verloren zu haben, ist wirklich
ein Unglück. Aber freilich, eben darum fasse ich es auch nicht, >vie Du
damals zögern konntest. Einer Marotte wegen sein Glück zernichten!"
„Das nennst Du eine Marotte?! Nur ein Lump gibt sein Wort,
obwohl er zweifelt, daß er's wird halten können. Und welche Ge-
meinheit wär's vollends gewesen, zu denken: ,Mein Wort? Bitte,
sehr gern! Aber nun sehen wir zu, wie weit wir damit kommen; wenn
nur ein paar Schritte, so wird derlei doch nicht immer sofort ruch-
bar!'... Bleibt also nur die Frage: ,Warum könnt' ich mein Wort
nicht geben?' und darauf nur die Antwort: .Weil ich, so wie ich nunc
einmal bin, eben nicht konnte!' Ein Schicksalsgenosse, sofern er da-
neben auch ein Gewissen hat, kann mich vielleicht verstehen, Du nicht!"
Der Rath lächelte, etwas krampfhaft freilich, so, als ob er mit
eisernem Striegel gekitzelt würde. „Versuchen wir's dennoch! Jnte-
ressirt mich wirklich. Du sagtest, begehren und trotzdem verzichten,
das ginge leicht?"
„Nein, schwer, aber es geht. Auch wenn man sich sagen mußt
,Nur noch eine Stunde, und auch drüben schlägt die Flamme empor!'
— man beißt die Zahne zusammen und überwindet's. Und nur»
gar, wenn man selber kalt geblieben ist — da kostet's ja keinen
Kampf, das thut man einfach als anständiger Mensch nicht."
„Auch wenn das Weib jung und schön ist?"
„Auch dann. Man darf sich auch durch Jugend und Schönheit nicht
— kaufen lassen."
„Nun — nun" — Aber trotz des spöttischen Tons wußte der Rath
ganz genau: Der Mann heuchelt nicht; so hat er's immer gehalten.
Und trotzdem, dachte er neidvoll, wie viel hat er trotzdem genießen
können!... Laut aber sagte er: „Also nur, wenn man begehrt und
begehrt wird — .zwei Seelen und ein Gedanke' u. s. w. — wäre
Widerstand unmöglich? Oder doch fraglich? Aber hast Du dabei
nicht an Deine Jahre gedacht und wie das Blut immer kälter wird?!"
„O Du Glücklicher, wenn Du das ehrlich und aus eigener Er-
fahrung sagst!" rief, der Künstler, nicht spöttisch, nein, leidenschaftlich,
ja schmerzvoll. „Ich habe Grund zu glauben, daß man erst im
Schwabenalter recht erkennt, was Begehren und Beglücktsein heißt!
Seltener kommt die Gluth, als zwanzig Jahre zuvor, aber dann
ist's auch Fiebergluth... Unsinn, Karl, ein junger Mensch kann
vielleicht auch lechzend verzichten — du lieber Gott, auf was Alles
kann er noch hoffen! — aber wer sich so im September seines Lebens
fühlt?! Der Winter steht ja vor der Thüre, die entsetzliche Zeit, wo
Alles zu Ende ist: die eigene Gluth und die Fähigkeit, Andere er-
glühen zu machen. Sich abwenden, wenn man sich sagen muß.
,Es ist vielleicht Dein letzter Sieg und dann wird's kalt um Dich!'
— wer bürgt mir, daß ich das gekonnt hätte?!"
„Und um nicht den letzten Sieg zu versäumen, hast Du Dein letztes
Gliick zertrümmert?!"
„Nein! Sondern weil ich vor solchem Pyrrhussieg zitterte, meine
Frau nicht nochmals betrügen mochte ... Aber wozu erst wiederholen?
— für Dich sind's Phrasen und. für mich war's der Zwang meiner
Natur und darum mein Schicksal!"
Er zog seine Uhr und blickte zum Dampfer hin.
„O, Du hast noch Zeit," sagte der Rath. „Noch eine halbe —"
Das letzte Wort blieb ihm in der Kehle stecken, so sehr interessirte
ihn das Schauspiel, das sich ihm nun bot. Der Blick
(München) pes Malers war endlich dem der Rumänin begegnet und
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