Nr. 10
JUGEND
1899
blieb in ihm hasten; seine Züge spannten sich und
wurden einen Schatten bleicher; er athmete rascher.
„Wie ein Jäger," dachte der Rath, „dem unver-
muthet ein Reh aufstößt!" Aber der Vergleich
paßte schlecht. Die junge Bojarin wurde glüh-
roth, den üppigen Körper überflog ein Zittern,
aber die runden schwarzen Augen lachten dreist..
Roch einen Augenblick und der Maler wandte
sich ab; um den weichen Mund zuckte es wie
Widerwillen...
„Gehen wir!" Und er erhob sich.
Der Rath folgte ihm. „Du entfliehst der
Versuchung?" fragte er lächelnd. „Aber es wäre
auch nutzlos! Ein Fräulein, die Tochter einer
Excellenz.."
„Es wäre nicht nutzlos," sagte der Maler-
kühl, ohne Betonung. „Aber sie gefällt mir
nicht. Und es ist unangenehm, so mit Blicken
belastet zu werden, wenn man selbst kalt bleibt."
„Zuerst schien's nicht so."
„Ich mußte sie mir doch erst ansehen. Eben
nicht mein Geschmack... Aber nun mußt Du
mir auch von Dir erzählen!"
„O, waS wäre da viel zu sagen! Ein Phi-
lister, ein glücklicher Gatte und Vater! Aber
Du — Du bist mir ja noch den Schluß Deiner
Geschichte schuldig ... Was erwiderte Deine Frau
auf jenen Brief'?.-.. Nichts?... Natürlich! *--
und ließ sich sofort scheiden?"
„Nein. Gerichtlich geschieden sind wir auch
heute noch nicht... Zunächst wartete sie auf
meine Antwort, fast ein Jahr..."
„Alle Wetter!" rief der Rath. „Wie muß sie
Dich geliebt haben!"
„Ja. Aber es war noch was Andres dabei:
Verstäudniß. Eine richtige Frau, die gut ist,
versteht Alles. Sie ahnte wohl: Das ist nicht
Frivolität, sondern der Kampf eines Menschen
mit seinem Schicksal. Im Grunde ein tragischer
Kampf, sie mochte nicht eingreifen, hoffte auf
einen Sieg des Gewissens. Auch mögen ihr
unsere Freunde geschrieben haben, wie es um
mich stand; ich arbeitete wie ein Rasender, lebte
wi»ein Mönch; ich habe mir für jene Zeit nichts,
gar nichts vorznwersen. Und dennoch, so oft
ich zur Feder griff, ihr zu schreiben, ich wagte
es doch nicht. ,Jn einigen Tagen,' dacht' ich,
,nein, morgen schon hast Du Dich so weit'...
So that denn endlich sie, was ihr ihre Menschen-
würde gebot. Auch in diesem Brief stand kein
zorniges Wort. Milden Tons, fast mitleidsvoll
schrieb sie, daß nun zwischen ihr und mir Alles
aus sei; wünschte ich die gerichtliche Scheidung,
so sei sie dazu bereit, aber auch nur dann. Die
Mädchen müßten ja unter allen Umständen ihr
verbleiben; sie verspreche, ihnen das Bild des
Vaters ungetrübt zu erhalten, soweit dies mög-
lich sei."
„Und damit war's aus?! Ich an Deiner
Stelle wäre sofort hingereist; ich bin überzeugt.."
„Da irrst Du. Das war das Ende; sie
hätte mir nun ihre Arme nicht mehr geöffnet und
wenn sie gewußt hätte, daß ich mich sonst sofort
vor ihren Augen erschießen würde. Ein Herz
von Gold, ein Wille von Stahl."
„Aber warum hat sie sich dann ihre Freiheit
nicht von Dir zurückgeben lassen?!"
„Weil sie nach mir keinen Anderen lieben
kann. Oder weil sie an der einen Erfahrung.
Originalradirung
Oskar Uraf (München)
JUGEND
1899
blieb in ihm hasten; seine Züge spannten sich und
wurden einen Schatten bleicher; er athmete rascher.
„Wie ein Jäger," dachte der Rath, „dem unver-
muthet ein Reh aufstößt!" Aber der Vergleich
paßte schlecht. Die junge Bojarin wurde glüh-
roth, den üppigen Körper überflog ein Zittern,
aber die runden schwarzen Augen lachten dreist..
Roch einen Augenblick und der Maler wandte
sich ab; um den weichen Mund zuckte es wie
Widerwillen...
„Gehen wir!" Und er erhob sich.
Der Rath folgte ihm. „Du entfliehst der
Versuchung?" fragte er lächelnd. „Aber es wäre
auch nutzlos! Ein Fräulein, die Tochter einer
Excellenz.."
„Es wäre nicht nutzlos," sagte der Maler-
kühl, ohne Betonung. „Aber sie gefällt mir
nicht. Und es ist unangenehm, so mit Blicken
belastet zu werden, wenn man selbst kalt bleibt."
„Zuerst schien's nicht so."
„Ich mußte sie mir doch erst ansehen. Eben
nicht mein Geschmack... Aber nun mußt Du
mir auch von Dir erzählen!"
„O, waS wäre da viel zu sagen! Ein Phi-
lister, ein glücklicher Gatte und Vater! Aber
Du — Du bist mir ja noch den Schluß Deiner
Geschichte schuldig ... Was erwiderte Deine Frau
auf jenen Brief'?.-.. Nichts?... Natürlich! *--
und ließ sich sofort scheiden?"
„Nein. Gerichtlich geschieden sind wir auch
heute noch nicht... Zunächst wartete sie auf
meine Antwort, fast ein Jahr..."
„Alle Wetter!" rief der Rath. „Wie muß sie
Dich geliebt haben!"
„Ja. Aber es war noch was Andres dabei:
Verstäudniß. Eine richtige Frau, die gut ist,
versteht Alles. Sie ahnte wohl: Das ist nicht
Frivolität, sondern der Kampf eines Menschen
mit seinem Schicksal. Im Grunde ein tragischer
Kampf, sie mochte nicht eingreifen, hoffte auf
einen Sieg des Gewissens. Auch mögen ihr
unsere Freunde geschrieben haben, wie es um
mich stand; ich arbeitete wie ein Rasender, lebte
wi»ein Mönch; ich habe mir für jene Zeit nichts,
gar nichts vorznwersen. Und dennoch, so oft
ich zur Feder griff, ihr zu schreiben, ich wagte
es doch nicht. ,Jn einigen Tagen,' dacht' ich,
,nein, morgen schon hast Du Dich so weit'...
So that denn endlich sie, was ihr ihre Menschen-
würde gebot. Auch in diesem Brief stand kein
zorniges Wort. Milden Tons, fast mitleidsvoll
schrieb sie, daß nun zwischen ihr und mir Alles
aus sei; wünschte ich die gerichtliche Scheidung,
so sei sie dazu bereit, aber auch nur dann. Die
Mädchen müßten ja unter allen Umständen ihr
verbleiben; sie verspreche, ihnen das Bild des
Vaters ungetrübt zu erhalten, soweit dies mög-
lich sei."
„Und damit war's aus?! Ich an Deiner
Stelle wäre sofort hingereist; ich bin überzeugt.."
„Da irrst Du. Das war das Ende; sie
hätte mir nun ihre Arme nicht mehr geöffnet und
wenn sie gewußt hätte, daß ich mich sonst sofort
vor ihren Augen erschießen würde. Ein Herz
von Gold, ein Wille von Stahl."
„Aber warum hat sie sich dann ihre Freiheit
nicht von Dir zurückgeben lassen?!"
„Weil sie nach mir keinen Anderen lieben
kann. Oder weil sie an der einen Erfahrung.
Originalradirung
Oskar Uraf (München)