Nr. 11
JUGEND
1899
Oculi — da kommen sie!
von Anton Lreih. v. perfall
^S5cnn ^er psolmist geahnt hätte, daß er zum Jahrhundert«
KM hindurch heiß ersehnten Frühjahrkünder würde, als er sein
„Oculi mei semper ad dominum“ niederschrieb! Ich glaub', el
hätt's nicht krumm genommen, im Gegentheil, er hätte seinen
langen, weißen Bart gestrichen und ganz zufrieden mit sich ge-
schmunzelt: — meine Herren Lollegen werden sich hart thun, so
ein Schlagwort zu erfinden, das alle Zeiten überdauert, alle Herzen
erfreut: Oculi! —
Man übersetzt gar nicht mehr, das Wort ist ein abstrakter
Begriff geworden.
Fesseln sprengen, Schollen brechen, Wasserrieseln, wurzeln
dehnen, nach Harz duften, Vogelfang, Nesterbau, Liebeslust, Thaten-
drang, alles liegt darin.
Oculi mei semper ad Dominum, meine Augen suchen
immer den Herrn. Nie mehr, nie inniger als jetzt, wenn seine er-
habenen wunder sich entfalten aus der dampfenden Erde, unter
mir, über mir, in mir, wenn das Leben pocht an all' die Milliarden
sich öffnender Thore, das große Mysterium, vor dem der Weise
knien soll mit dem Kinde.
Oculi mei semper ad Dominum! Id) vergesse es nie, wie
der alte Streidl, der Förster meines Vaters, die Liebe meiner ersten
Jugend, immer so verschmitzt zu mir hinauf blickte, auf das Familien-
oratorium der Schloßkapelle, wenn der Herr Pfarrer mit hoher
Fistelstimme das Evangelium intonirte, das linke Auge zugcdrückt,
mit dem grauen Kopfe mir zunickend.
viele Oculi sind seitdem verstrichen, der alte Streidl nickt
nicht mehr mit dem Kopfe, aber td; befinde mich wieder auf dem
Familienoratorium und blicke herab auf die altbekannten Köpfe in
den Stühlen, auf die vergilbten Gebetbücher mit der großen Schrift;
alte liebe Erinnerungen wirbeln empor mit den Weihrauchwolken,
und wie der Pfarrer das Evangelium iutonirt, da nickt der alte
Streidl mir zu, und ick) werde mir erst wieder bewußt, was allein
mich hiehcr geführt, — nichts als das Oculi!
Zu den hohen vergitterteit Fenstern herein lugt zarter grüner
Schimmer, Staare zetern im Birkengeäst, weiße, lichtgetränkte
Wölkchen fdjunmmeu im Himmelsblau.
Es leidet mich nicht länger, die starren Köpfe unten, die
schwere Luft, der qualvolle Gesang — nehmt mir's nickst übel! —
auf den Zehenspitzen drücke ich mich. —
Gerade recht, — alles still im Schlosse. Der Herr Baron ist
im Amt mit Familie und Gesinde. Besitz trägt Pflichten.
Da nahen sie ungestört die freundlichen Gestalten; sie sind
seit Jahren daran gewohnt am Sonntag Oculi. —
Der alte Peter, mit dem Thee für die gute Mutter, kommt
die Gesindetreppe herauf, im flaschengrünen Rock mit den Silber-
knöpfen. — Ich stehle ihm ein paar Zuckcrstllckchen für meine
Lieblinge im Stall. — Der alte Rathsherr oben an der wand mit
der goldenen Kette um den Hals hebt steif den Zeigefinger und
wirst mir einen Inquisitorenblick zu, — ick) Hab' ihn nie ausstchen
können den galligen Gesellen, mit dem Tintenfaß vor sich auf dem
Tische. — Rasch wende ick) mich um zu meinem alten Freunde
im Lederkoller, wie er mich anlacht in breiter, kräftiger Behag-
lichkeit, das goldige Bärtchen über den sinnlichen Lippen, die Arm-
brust eckig in die Seite gestemmt, — ganz verständnißinnig. —
„Oculi, hörst Du mein lieber Junge, — da kommen sie!"
„wer denn nachher so Besonderer?"
„wer denn? So eine Frage! — die Schnepfen!!"
Schallendes Gelächter, daß die Kette klirrt, die das Hifthorn
hält — die Schnepfen! Die Schnepfen!!
„Höre, mein Junge, das verstehst Du nichr, der Reiz ist viel
zu fein für Deine dicken Nerven, die nur auf Bären und Wölfe
und Säue reagiren. Dder hast Du vielleicht schon das Wort Stim-
mung gehört? He?"
„Stimmung, nein, was ist Stimmung?"
„Stimmung ist, wenn der hohe Rath" — wird hinter mir
eine lederne Stimme laut. — Ich wende mich ärgerlich; der Zeige-
finger des Rathsherrn ist noch länger geworden, der Blick ist strenge
auf mich gerichtet.
„Unsinn!" schreie ich ihn an, „das ist ja Abstimmung, Stim-
mung ist — Stimmung ist — na halt Stimmung." —
CEKsytbo
E. L. Hoess (München)
JUGEND
1899
Oculi — da kommen sie!
von Anton Lreih. v. perfall
^S5cnn ^er psolmist geahnt hätte, daß er zum Jahrhundert«
KM hindurch heiß ersehnten Frühjahrkünder würde, als er sein
„Oculi mei semper ad dominum“ niederschrieb! Ich glaub', el
hätt's nicht krumm genommen, im Gegentheil, er hätte seinen
langen, weißen Bart gestrichen und ganz zufrieden mit sich ge-
schmunzelt: — meine Herren Lollegen werden sich hart thun, so
ein Schlagwort zu erfinden, das alle Zeiten überdauert, alle Herzen
erfreut: Oculi! —
Man übersetzt gar nicht mehr, das Wort ist ein abstrakter
Begriff geworden.
Fesseln sprengen, Schollen brechen, Wasserrieseln, wurzeln
dehnen, nach Harz duften, Vogelfang, Nesterbau, Liebeslust, Thaten-
drang, alles liegt darin.
Oculi mei semper ad Dominum, meine Augen suchen
immer den Herrn. Nie mehr, nie inniger als jetzt, wenn seine er-
habenen wunder sich entfalten aus der dampfenden Erde, unter
mir, über mir, in mir, wenn das Leben pocht an all' die Milliarden
sich öffnender Thore, das große Mysterium, vor dem der Weise
knien soll mit dem Kinde.
Oculi mei semper ad Dominum! Id) vergesse es nie, wie
der alte Streidl, der Förster meines Vaters, die Liebe meiner ersten
Jugend, immer so verschmitzt zu mir hinauf blickte, auf das Familien-
oratorium der Schloßkapelle, wenn der Herr Pfarrer mit hoher
Fistelstimme das Evangelium intonirte, das linke Auge zugcdrückt,
mit dem grauen Kopfe mir zunickend.
viele Oculi sind seitdem verstrichen, der alte Streidl nickt
nicht mehr mit dem Kopfe, aber td; befinde mich wieder auf dem
Familienoratorium und blicke herab auf die altbekannten Köpfe in
den Stühlen, auf die vergilbten Gebetbücher mit der großen Schrift;
alte liebe Erinnerungen wirbeln empor mit den Weihrauchwolken,
und wie der Pfarrer das Evangelium iutonirt, da nickt der alte
Streidl mir zu, und ick) werde mir erst wieder bewußt, was allein
mich hiehcr geführt, — nichts als das Oculi!
Zu den hohen vergitterteit Fenstern herein lugt zarter grüner
Schimmer, Staare zetern im Birkengeäst, weiße, lichtgetränkte
Wölkchen fdjunmmeu im Himmelsblau.
Es leidet mich nicht länger, die starren Köpfe unten, die
schwere Luft, der qualvolle Gesang — nehmt mir's nickst übel! —
auf den Zehenspitzen drücke ich mich. —
Gerade recht, — alles still im Schlosse. Der Herr Baron ist
im Amt mit Familie und Gesinde. Besitz trägt Pflichten.
Da nahen sie ungestört die freundlichen Gestalten; sie sind
seit Jahren daran gewohnt am Sonntag Oculi. —
Der alte Peter, mit dem Thee für die gute Mutter, kommt
die Gesindetreppe herauf, im flaschengrünen Rock mit den Silber-
knöpfen. — Ich stehle ihm ein paar Zuckcrstllckchen für meine
Lieblinge im Stall. — Der alte Rathsherr oben an der wand mit
der goldenen Kette um den Hals hebt steif den Zeigefinger und
wirst mir einen Inquisitorenblick zu, — ick) Hab' ihn nie ausstchen
können den galligen Gesellen, mit dem Tintenfaß vor sich auf dem
Tische. — Rasch wende ick) mich um zu meinem alten Freunde
im Lederkoller, wie er mich anlacht in breiter, kräftiger Behag-
lichkeit, das goldige Bärtchen über den sinnlichen Lippen, die Arm-
brust eckig in die Seite gestemmt, — ganz verständnißinnig. —
„Oculi, hörst Du mein lieber Junge, — da kommen sie!"
„wer denn nachher so Besonderer?"
„wer denn? So eine Frage! — die Schnepfen!!"
Schallendes Gelächter, daß die Kette klirrt, die das Hifthorn
hält — die Schnepfen! Die Schnepfen!!
„Höre, mein Junge, das verstehst Du nichr, der Reiz ist viel
zu fein für Deine dicken Nerven, die nur auf Bären und Wölfe
und Säue reagiren. Dder hast Du vielleicht schon das Wort Stim-
mung gehört? He?"
„Stimmung, nein, was ist Stimmung?"
„Stimmung ist, wenn der hohe Rath" — wird hinter mir
eine lederne Stimme laut. — Ich wende mich ärgerlich; der Zeige-
finger des Rathsherrn ist noch länger geworden, der Blick ist strenge
auf mich gerichtet.
„Unsinn!" schreie ich ihn an, „das ist ja Abstimmung, Stim-
mung ist — Stimmung ist — na halt Stimmung." —
CEKsytbo
E. L. Hoess (München)