1899
. JUGEND
Nr. 11
Tosendes Gelächter von beiden Seiten. Das empört mich,
Saß der junge Waidmann zu dem alten Aktenmenschen hält. —
„Ach was, wie kann ich mich denn mit Luch herumstreiten,
mit so verrostetem Volk, ich, ein moderner Mensch!"
„Moderner Mensch?" höhnt der Alte und der Junge hält
mit, und von wand zu wand geht das Geraun, das Gelächter. —
Alles betheiligt sich daran, Ritter und Ldelfrauen, Nonnen und
Aebte.
Ich halte mir die Bhren zu und eile davon. —
„Moderner Mensch! Moderner Mensch!" kichert es nach im
Chorus. — „Schnepfen! Schnepfen!" höhnt der Waidmann mit
der Armbrust.
Ich will zur breiten, branngebeizten Freitreppe, hinunter in's
Freie. — weihrauchdunst, Lederhosenaroma, und jetzt noch diese
Arroganz mittelalterlicher Unwissenheit, — das geht nicht. —
Freilicht! Freilicht! Das braucht ein — ein — na, — ein
Mensch des neunzehnten Jahrhunderts.
Da knarzt die Treppe, — der Vater kommt herauf, die Zeit-
ung in der pand, im Morgenrock, die grüne Iägermühe mit der
Geierfeder auf dem weißen Haupte, gefolgt von Pecas, dem Getreuen.
Das Gelächter verstummt. Er geht der Thüre zum Speisesaal
zu, die Spitzen seines weißen Schnurrbarts drehend, vor einem
Zehnergeweih an der wand bleibt er stehen, liest den Schild, nickt
lächelnd mit dem Kopfe, pecas leckt ihm die Hand, dann öffnet
er die Thüre.-Goldiges Frühlicht drängt heraus, alles Gold,
die wände, die Brödchen auf dem Tische, und mitten in dem Gold,
sitzt eine Frau, ein weißes Spitzenhäubchen auf dem dunklen Haar,
eine zarte, ungemein fesselnde Hand hält ein Buch — die Mutter!
Die Thüre schließt sich, das goldige Frühlicht ist verschwunden.
Die Glocken läuten Amtschluß, Gebete murmelnd ziehen die
Bauern mit dem Kreuz auf das Feld. Das Getrampel im hallen-
den Thorgang unten tönt herauf und weckt mich.
Line Kinderschaar, die sich für die andächtige Zurückhaltung
voller zweier Stunden in Hellem Jubel schadlos hält, umstürmt
Sen Sockel.
B Leben, holde Gegenwart, du hast doch immer recht, trotz
allem Hohn der Todten, von dem noch immer meine Bhren gellen. —
Neid, nichts als blasser Neid! —
Schon Nachmittag geht's fort in den Wald, mit dem Bruder,
Sem Gutsherrn, den Wald meiner Jugend.
Ich kenne jeden Baum, er ist mit mir gewachsen, hat mit
mir gekämpft gegen Ueberwnchs und Sturm und — gegen Sonnen*
branb. Mancher ist wohl auch arg zurückgeblieben, verkrüppelt,
an den ich mich in vollem Iugendprangen erinnern kann, und viele
fehlen, ganze Schaaren; ihr bemooster Strunk schützt schon wieder
die zarten Pflänzlinge, während sie selbst, ihr sterbliches Theil, als
2Ische die Felder düngt, neues Leben schafft, ihr unsterbliches aber,
der Arbeitswerth der Natur, welche an ihnen rastlos geschafft an
hundert Jahre, sich längst tausendfältig umgesetzt hat, und ewig
nmsetzen wird, unvernichtbar hineingezogen in den Kreislauf der
Dinge.
wo jetzt die Dickung steht, schoß ich einen capitalen Rehbock
auf sonnigem Schlag und dort, wo der berühmte, vielumworbene
Fuchsriegel aus geheimnißvollem Dunkel führte, spielt jetzt goldiges
Sonnengezitter um die röthlichen jungen Stämme.
Ls gibt keinen Tod im Walde, keinen Augenblick ruht die
lebenstrotzende Lrde.
, „Kennst Du die Liche noch?" fragte der Bruder, weit ragt
fie mit ihren rindenlosen, sonngebleichten Stumpen, während knorriges,
phantastisch sich windendes Wurzelwerk sich in den Boden krallt
und das heroisch festgehaltene Leben hiuaufschlürft in die leise
grünende Kuppel.
Ich erinnere mich wohl, wir schossen den buntgefiederten
Nußhäher und das Eichkätzchen da 'runter, die ersten Bpfer; und
einmal — noch rieselt es mir kalt über den Rücken — saß in dem
schwarzen, ansgefaulten Loch da oben rechts eine schneeweiße Eule,
wie ein Geist, gerade so. — Lange wagte ich nicht zu schießen,
daun schoß ich doch. Als sie aber herabflatterte auf den Boden,
mit ihrem großen, rothen Auge mich anblickte, langsam einen
weißen Schleier darüber senkte, dann wieder öffnete und mit den
weißen Flügeln zitternd erstarb — da zitterte ich auch und wagte
nicht, sie zu berühren. —
HOCH J1AOD
Norbert Pfretzschner (Charlottenburg)
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Tosendes Gelächter von beiden Seiten. Das empört mich,
Saß der junge Waidmann zu dem alten Aktenmenschen hält. —
„Ach was, wie kann ich mich denn mit Luch herumstreiten,
mit so verrostetem Volk, ich, ein moderner Mensch!"
„Moderner Mensch?" höhnt der Alte und der Junge hält
mit, und von wand zu wand geht das Geraun, das Gelächter. —
Alles betheiligt sich daran, Ritter und Ldelfrauen, Nonnen und
Aebte.
Ich halte mir die Bhren zu und eile davon. —
„Moderner Mensch! Moderner Mensch!" kichert es nach im
Chorus. — „Schnepfen! Schnepfen!" höhnt der Waidmann mit
der Armbrust.
Ich will zur breiten, branngebeizten Freitreppe, hinunter in's
Freie. — weihrauchdunst, Lederhosenaroma, und jetzt noch diese
Arroganz mittelalterlicher Unwissenheit, — das geht nicht. —
Freilicht! Freilicht! Das braucht ein — ein — na, — ein
Mensch des neunzehnten Jahrhunderts.
Da knarzt die Treppe, — der Vater kommt herauf, die Zeit-
ung in der pand, im Morgenrock, die grüne Iägermühe mit der
Geierfeder auf dem weißen Haupte, gefolgt von Pecas, dem Getreuen.
Das Gelächter verstummt. Er geht der Thüre zum Speisesaal
zu, die Spitzen seines weißen Schnurrbarts drehend, vor einem
Zehnergeweih an der wand bleibt er stehen, liest den Schild, nickt
lächelnd mit dem Kopfe, pecas leckt ihm die Hand, dann öffnet
er die Thüre.-Goldiges Frühlicht drängt heraus, alles Gold,
die wände, die Brödchen auf dem Tische, und mitten in dem Gold,
sitzt eine Frau, ein weißes Spitzenhäubchen auf dem dunklen Haar,
eine zarte, ungemein fesselnde Hand hält ein Buch — die Mutter!
Die Thüre schließt sich, das goldige Frühlicht ist verschwunden.
Die Glocken läuten Amtschluß, Gebete murmelnd ziehen die
Bauern mit dem Kreuz auf das Feld. Das Getrampel im hallen-
den Thorgang unten tönt herauf und weckt mich.
Line Kinderschaar, die sich für die andächtige Zurückhaltung
voller zweier Stunden in Hellem Jubel schadlos hält, umstürmt
Sen Sockel.
B Leben, holde Gegenwart, du hast doch immer recht, trotz
allem Hohn der Todten, von dem noch immer meine Bhren gellen. —
Neid, nichts als blasser Neid! —
Schon Nachmittag geht's fort in den Wald, mit dem Bruder,
Sem Gutsherrn, den Wald meiner Jugend.
Ich kenne jeden Baum, er ist mit mir gewachsen, hat mit
mir gekämpft gegen Ueberwnchs und Sturm und — gegen Sonnen*
branb. Mancher ist wohl auch arg zurückgeblieben, verkrüppelt,
an den ich mich in vollem Iugendprangen erinnern kann, und viele
fehlen, ganze Schaaren; ihr bemooster Strunk schützt schon wieder
die zarten Pflänzlinge, während sie selbst, ihr sterbliches Theil, als
2Ische die Felder düngt, neues Leben schafft, ihr unsterbliches aber,
der Arbeitswerth der Natur, welche an ihnen rastlos geschafft an
hundert Jahre, sich längst tausendfältig umgesetzt hat, und ewig
nmsetzen wird, unvernichtbar hineingezogen in den Kreislauf der
Dinge.
wo jetzt die Dickung steht, schoß ich einen capitalen Rehbock
auf sonnigem Schlag und dort, wo der berühmte, vielumworbene
Fuchsriegel aus geheimnißvollem Dunkel führte, spielt jetzt goldiges
Sonnengezitter um die röthlichen jungen Stämme.
Ls gibt keinen Tod im Walde, keinen Augenblick ruht die
lebenstrotzende Lrde.
, „Kennst Du die Liche noch?" fragte der Bruder, weit ragt
fie mit ihren rindenlosen, sonngebleichten Stumpen, während knorriges,
phantastisch sich windendes Wurzelwerk sich in den Boden krallt
und das heroisch festgehaltene Leben hiuaufschlürft in die leise
grünende Kuppel.
Ich erinnere mich wohl, wir schossen den buntgefiederten
Nußhäher und das Eichkätzchen da 'runter, die ersten Bpfer; und
einmal — noch rieselt es mir kalt über den Rücken — saß in dem
schwarzen, ansgefaulten Loch da oben rechts eine schneeweiße Eule,
wie ein Geist, gerade so. — Lange wagte ich nicht zu schießen,
daun schoß ich doch. Als sie aber herabflatterte auf den Boden,
mit ihrem großen, rothen Auge mich anblickte, langsam einen
weißen Schleier darüber senkte, dann wieder öffnete und mit den
weißen Flügeln zitternd erstarb — da zitterte ich auch und wagte
nicht, sie zu berühren. —
HOCH J1AOD
Norbert Pfretzschner (Charlottenburg)
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