1899
JUGEND
Nr. 11
Der weiße Maulwurf
Line Thierjabel von Gtto Julius Bicrbauu
Lin dickes Ulaulwurfsehcpaar,
Das glänzend schwarz wie Sammet war,
Erfuhr Familienzuwachs. Froh
Lag die Frau Maulwurf auf dem Stroh
Und leckte jedes Junge
Mit ihrer schmalen Zunge.
Da rief sic plötzlich: Wunderlich,
Mir scheint, ich weiß nicht, irr' ich mich,
Mich dünkt's: Das Eine von den Drei'n,
Das muß was ganz befondres fein.
Leck Du ihm doch mal auch das Fclll
Nicht wahr: Das spürt sich an wie — hell!?
Der Gatte brummte: Dummes Ding!
Red' doch nicht wie ein Engerling!
Sie aber spitzig: Liebes Kind,-
Ich bin doch wohl nicht zungenblind:
Das Dritte, Kleinste da, ist — weiß!
Daß ich Dich in die Schaufel beiß!
Zornwatschelnd kam er aus der Ecke,
bftrb an ein prüfendes Gelccke,
That Lfem und lhum und knurrte dann:
Das leckt sich wirklich Helle an.
Ein Wunder, scheint mir, ist geschehn,
Ich will Großvätern holen gehn.
Nahm einen dicken Engerling,
Der in der Vorrathskammer hing,
Fraß ihn befriedigt auf und ging.
Nach vielem Wühlen kreuz und quer,
Bracht' endlich er den Ahnen her.
Der schüttelte den Rüssel sehr
Und meinte, nie, so alt er wäre,
lsab' er vernommen solche Märe.
Doch, als geleckt der Maulwurfsgreis,
Sprach er: Der Junge da ist weiß,.
Und schüttelte noch mehr
Den Rüssel hin und her.
Bald war im ganzen Land herum
Das seltene Miraculuin;
Gevatter und Gevatterin
Trug es geschäftig her und hin,
Und schnell von ferne und von nah
war'n wispernd Gratulanten da.
Das weiße Fell ging fast entzwei
Bo» allzu vieler Leckerei,
Und Mama Maulwurf schloß das Thor,
Ließ Niemand mehr zum Lecken vor.
Sie war ein wenig eitel schon
Aus diesen wcißgeborenen Sohn,
Und, wie nun schon die Mütter sind,
Er wurde bald ihr ksätschelkind.
So wuchs bewundert er heran
Dom Wunderknaben zum Wundermann,
Die Augen roth, das Fell schneeweiß;
Stolz war auf ihn der ganze Ureis.
Lr selber aber zeigte sich
Recht sonderbar und wunderlich:
Mocht' ungern bei den Andern sein,
Saß träumend gern für sich allein;
Zumal das wühlen schien ihm sehr
verhaßt, wie wenn er kein Maulwurf wär'.
A. Schmidhammer (München)
Denn in den engen Winkelgängcn
Blieb ihm gar viel am Felle hängen,
Das zu dem weiße gar nicht paßte;
Ls schien, daß er das Erdreich haßte.
Das machte schon viel böses Blut:
Der Weiße dünkt sich wohl zu gut,
Für unsrer kjcimat heiligen Dreck!?
Der Frevler bürstet sich ihn weg,
Statt patriotisch ihn als Zier
Jur Fell zu tragen, so wie wir!
Entartung ist sein weißes Fell!
Er ist uns überhaupt zu hell.
So hob es mit Gemurmel an,
Doch ein Geknurre wurd' cs dann,
Als stolz der Weiße widersprach.
Auch warf man ihm schon Klumpe» nach.
Da blieb er immer mehr für sich,
Gemieden und absonderlich.
Und eines Tags, da fühlte er,
Daß er am falschen Platze wär'.
kjinausl ljinaufl Zu groß der Drang
Lr baute einen eigenen Gang.
Und nicht hinab und nicht quer um,
Nein: grad' hinaufl Das Publikum
Stand halb entsetzt, halb höhnisch da,
Als cs den steilen Aufstieg sah:
Wart', Bürschchen, das bekommt Dir schlecht,
Der Augenschmerz geschieht Dir recht,
Wenn oben Dich die ft ft f Sonne beißt!
Dn warst zum letzten Male dreist!
vergnüglich harrten Alle,
Daß er herunter falle
Und winsle: Ach, das Licht thut weh,
Ich steige nie mehr in die kföhl
Er aber, wie vor Freude toll,
Rief: Brüder, komintl So wundervoll,
wie nie ich's träumte, ist cs hier,
Kommt, kommt zum Licht, ach, kommt zu mir!
Ich Hab' das Glück, das Glück gefunden,
Und Ihr lebt in der ljöllc untenI
Mir nach, mir nach, mir nach zum Licht!
Kommt Alle, kommt und zaudert nicht!
wie das der schwarze Schwarm vernahm,
Jachheiße Wuth ihn überkam:
Herunter mit dem Galgenstrick!
Herunter! Brecht ihm das Genick!
Kommt, kommt zum Licht! MH, kommt zu mir!
Ja, warte nurl Wir kommen Dir!
Und, während er begeistert schrie,
Da gruben sie und wühlten sie
viel krumme Gänge zu ihm hin,
Und packten ihn und zerrten ihn —
Hinab. Und haben sein Fell zerfetzt
Und todtgebissen ihn zuletzt.
Da lag der weiße still im Dreck,
Befriedigt trollten die Schwarzen weg
Und fraßen viele Engerlinge
Und waren zufrieden und guter Dinge.
Doch, daß die Nachwelt einst erfahr',
Daß 'mal ein weißer Maulwurf war,
Und zum Beweis das Fell crseh',
Bildeten sie ein Eomitö:
„Zu des Weißen Vließes Lonservirung."
Das erfand eine praktische Balsamirung,
Und des Ulaulwnrfreiches weißer Sohn
Ward beigcsetzt im Pantheon.
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JUGEND
Nr. 11
Der weiße Maulwurf
Line Thierjabel von Gtto Julius Bicrbauu
Lin dickes Ulaulwurfsehcpaar,
Das glänzend schwarz wie Sammet war,
Erfuhr Familienzuwachs. Froh
Lag die Frau Maulwurf auf dem Stroh
Und leckte jedes Junge
Mit ihrer schmalen Zunge.
Da rief sic plötzlich: Wunderlich,
Mir scheint, ich weiß nicht, irr' ich mich,
Mich dünkt's: Das Eine von den Drei'n,
Das muß was ganz befondres fein.
Leck Du ihm doch mal auch das Fclll
Nicht wahr: Das spürt sich an wie — hell!?
Der Gatte brummte: Dummes Ding!
Red' doch nicht wie ein Engerling!
Sie aber spitzig: Liebes Kind,-
Ich bin doch wohl nicht zungenblind:
Das Dritte, Kleinste da, ist — weiß!
Daß ich Dich in die Schaufel beiß!
Zornwatschelnd kam er aus der Ecke,
bftrb an ein prüfendes Gelccke,
That Lfem und lhum und knurrte dann:
Das leckt sich wirklich Helle an.
Ein Wunder, scheint mir, ist geschehn,
Ich will Großvätern holen gehn.
Nahm einen dicken Engerling,
Der in der Vorrathskammer hing,
Fraß ihn befriedigt auf und ging.
Nach vielem Wühlen kreuz und quer,
Bracht' endlich er den Ahnen her.
Der schüttelte den Rüssel sehr
Und meinte, nie, so alt er wäre,
lsab' er vernommen solche Märe.
Doch, als geleckt der Maulwurfsgreis,
Sprach er: Der Junge da ist weiß,.
Und schüttelte noch mehr
Den Rüssel hin und her.
Bald war im ganzen Land herum
Das seltene Miraculuin;
Gevatter und Gevatterin
Trug es geschäftig her und hin,
Und schnell von ferne und von nah
war'n wispernd Gratulanten da.
Das weiße Fell ging fast entzwei
Bo» allzu vieler Leckerei,
Und Mama Maulwurf schloß das Thor,
Ließ Niemand mehr zum Lecken vor.
Sie war ein wenig eitel schon
Aus diesen wcißgeborenen Sohn,
Und, wie nun schon die Mütter sind,
Er wurde bald ihr ksätschelkind.
So wuchs bewundert er heran
Dom Wunderknaben zum Wundermann,
Die Augen roth, das Fell schneeweiß;
Stolz war auf ihn der ganze Ureis.
Lr selber aber zeigte sich
Recht sonderbar und wunderlich:
Mocht' ungern bei den Andern sein,
Saß träumend gern für sich allein;
Zumal das wühlen schien ihm sehr
verhaßt, wie wenn er kein Maulwurf wär'.
A. Schmidhammer (München)
Denn in den engen Winkelgängcn
Blieb ihm gar viel am Felle hängen,
Das zu dem weiße gar nicht paßte;
Ls schien, daß er das Erdreich haßte.
Das machte schon viel böses Blut:
Der Weiße dünkt sich wohl zu gut,
Für unsrer kjcimat heiligen Dreck!?
Der Frevler bürstet sich ihn weg,
Statt patriotisch ihn als Zier
Jur Fell zu tragen, so wie wir!
Entartung ist sein weißes Fell!
Er ist uns überhaupt zu hell.
So hob es mit Gemurmel an,
Doch ein Geknurre wurd' cs dann,
Als stolz der Weiße widersprach.
Auch warf man ihm schon Klumpe» nach.
Da blieb er immer mehr für sich,
Gemieden und absonderlich.
Und eines Tags, da fühlte er,
Daß er am falschen Platze wär'.
kjinausl ljinaufl Zu groß der Drang
Lr baute einen eigenen Gang.
Und nicht hinab und nicht quer um,
Nein: grad' hinaufl Das Publikum
Stand halb entsetzt, halb höhnisch da,
Als cs den steilen Aufstieg sah:
Wart', Bürschchen, das bekommt Dir schlecht,
Der Augenschmerz geschieht Dir recht,
Wenn oben Dich die ft ft f Sonne beißt!
Dn warst zum letzten Male dreist!
vergnüglich harrten Alle,
Daß er herunter falle
Und winsle: Ach, das Licht thut weh,
Ich steige nie mehr in die kföhl
Er aber, wie vor Freude toll,
Rief: Brüder, komintl So wundervoll,
wie nie ich's träumte, ist cs hier,
Kommt, kommt zum Licht, ach, kommt zu mir!
Ich Hab' das Glück, das Glück gefunden,
Und Ihr lebt in der ljöllc untenI
Mir nach, mir nach, mir nach zum Licht!
Kommt Alle, kommt und zaudert nicht!
wie das der schwarze Schwarm vernahm,
Jachheiße Wuth ihn überkam:
Herunter mit dem Galgenstrick!
Herunter! Brecht ihm das Genick!
Kommt, kommt zum Licht! MH, kommt zu mir!
Ja, warte nurl Wir kommen Dir!
Und, während er begeistert schrie,
Da gruben sie und wühlten sie
viel krumme Gänge zu ihm hin,
Und packten ihn und zerrten ihn —
Hinab. Und haben sein Fell zerfetzt
Und todtgebissen ihn zuletzt.
Da lag der weiße still im Dreck,
Befriedigt trollten die Schwarzen weg
Und fraßen viele Engerlinge
Und waren zufrieden und guter Dinge.
Doch, daß die Nachwelt einst erfahr',
Daß 'mal ein weißer Maulwurf war,
Und zum Beweis das Fell crseh',
Bildeten sie ein Eomitö:
„Zu des Weißen Vließes Lonservirung."
Das erfand eine praktische Balsamirung,
Und des Ulaulwnrfreiches weißer Sohn
Ward beigcsetzt im Pantheon.
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