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1899

• JUGEND

Nr. 12

Max Bernuth (München)

„Ochse, wie bist du so stattlich, bedachtsam, fleissig und nützlich!

Wahrlich ich brauche dich sehr — aber du bist doch ein Ochs!“ _ iU

(Eichendorff)

ihre Vergangenheit erinnerte, an jene längst
vergangene Zeit, da sie im Institut getanzt und
von einem luxuriösen, lustigen Leben geträumt
hatte, da sie davon überzeugt Ivar, daß ihr Gatte
ein Graf oder ein Fürst sei» werbe.

Der Aecise-Beamte sah sie an und runzelte
die Stirn vor Aerger... Eifersucht fühlte er
nicht, es war ihm aber erstens unangenehm,
das; man wegen des Tanzens nirgends Karten
spielen konnte, zweitens war ihm Musik von
Nlas-Jnstrumenten unausstehlich, drittens schien
es ihm, daß die Herren Offiziere das Civil zu
nachlässig und von oben herab behandelten und
hauptsächlich — viertens — empörte und brachte
ihn in Zorn der selige Ausdruck auf dem Ge-
sicht seiner Gattin.

„Abscheulich hinzusehen!" brummte er. „Bald
vierzig Jahre alt, weder gehauen, noch gestochen,
aber ist auch dabei, hat sich eingepudert, ge-
kräuselt und in's Corset gesteckt! Kokettirt, ziert
sich und glaubt, es steht ihr gut. Ach! Sieh'
mal, ich bitte, wie schön man ist!" Anna Pnw-
lowna ging so sehr im Tanzen auf, das; sie sich
kein einziges Mal nach ihrem Gatten umsah.

„Natürlich, wo bleiben wir Männer!" höhnte
der Aecise-Beamte... „Wir sind die schwer-
fälligen Bären aus der Kreisstadt! lind sie ist
die Ballkönigin: sie hat sich so sehr eonservirt,
dag sich sogar Offiziere für sie interessiren...
am Ende auch nicht abgeneigt, sich zu verlieben .."

Während der Mazurka verzerrte sich das
Gesicht desAeeise-Beamten vorZorn. Ein schwar-
zer Offizier, der die Augen aufriß, tanzte mit
Anna Pawlowna die Mazurka. Er arbeitete
ernst und gefühlvoll mit seinen Beinen, machte
ein strenges Gesicht und die Kniee nach außen,
drehend, glich er einem Hampelmann, den man
au der Schnur zieht, lind Anna Pawlowna
bemühte sich bleich, zitternd, den ermatteten
Körper, krümmend, mit schmachtenden Augen
glauben zu machen, als berühre sie kaum den
Boden, und offenbar bildete sie sich auch wirk-
lich ein, das; sie nicht ans der Erde, nicht int
Club, sondern irgendtvo weit — weit — auf
den Wolken weilte. Nicht nur das Gesicht allein,
auch der ganze Körper drückte Glückseligkeit aus ..

• 189

Der Gatte

Von Anton Tichcchow

Deutsch von Louise Flachs-Fvkschaneanu

DasN—sche Kavallerieregiment blieb während
der Manöverzeit in der Kreisstadt K. über Nacht.
Ein Ereignis;, tote das Uebernachten der Herrn
Offiziere, versetzt die Einwohner in die höchste
Begeisterung und Aufregung. Die Ladenbesitzer
hoffen die verschimmelten Würste und „die besten"
Sardinen los zu werden, die schon seit zehn
Jahren in den Fächern liegen, die Gastwirthe
und andere Gewerbsleute schließen ihre Locale
während der ganzen Nacht nicht; der Militär-
Kommandant, seinAdjutani und die Ortsgarnison
legen die besten Uniformen an, die Polizei schießt
wie besessen herum, und mit den Damen geht,
der Teufel weiß was, vor.

Als die Damen von K. erfuhren, das; das
Regiment herankomme, warfen sie die heißen
Einsiedekessel fort uttd liefen auf die Gasse. Sie
vergaßen ihr Deshabille, und ihr unordentliches
Aussehen, sie eilten athemlos, erschöpft zur Be-
grüßung des Regiments und lauschten glückselig
den Klängen des Marsches. Wenn man ihre
blassen, entzückten Gesichter ansah, hätte man
glauben können, daß diese Klänge nicht aus
Soldatentrompeten, sondern vom Himmel kämen.

„Das Regiment!" riefen sie freudig. „Das
Regiment kommt!"

Was hatten sie dieses unbekannte, zufällig
erscheinende Regiment nvthig, das schon morgen
bei Tagesanbruch fortzieht?

Alle hatten sich jedoch in der Wohnung des
Untersuchungsrichters versammelt uttd kritisirten
um die Wette das Regiment. Es tvar ihneit
bereits, Gott weis; woher, bekannt, daß der
Kommandant verheirathet ist, aber mit seiner
Frau nicht lebt, das; einem filtern Offizier jedes
Jahr tobte Kinder geboren werden, daß der
Adjutant hoffnungslos in irgend eilte Gräfin
verliebt ist, und das; er sogar einmal einen Selbst-
mordversuch gemacht hat. Alles tvar ihnen be-
kannt. Wenn an den Fenstern der blatternarbige
Soldat im rothen Hemd vorübereilte, wußten

sie genau, daß dieser Diener des Leutnants
Rimsow in der Stadt herumrannte und für feinen
Herrn Englisch-Bitter auf Pump suchte. Sie haben
die Offiziere blos flüchtig und von rückivärts ge-
sehen, aber schon entschieden sie, das; es unter ihnen
keinen einzigen hübschen und interessanten gäbe.

Nachdem sie sich sattgesprochen, ließen sie den
Ortskommandanten und den Vorsteher des Clubs
kommen und trugen ihnen auf, um jeden Preis
einen Tanzabend zu arrangiren.

Ihr Verlangen warb erfüllt. Um die neunte
Stunde des Abends schmetterte in der Straße
vor dem Club die Militärkapelle und drinnen tanz-
ten die Herren Ossiziere mit den Damen von K.
Die Damen waren glückselig. Berauscht vom
Tanzen, von der Musik und dent Klirren der
Sporen, gaben sie sich mit ganzer Seele der
vorübergehenden Bekanntschaft hin und vergaßen
gänzlich ihre Civilisten. Väter und Gatten, völlig
in den Hintergrund gedrängt, schaarten sich im
Corridor um das magere Büffet. Alle diese an
Hämorrhoiden leidendett, schwerfälligen Kaffirer,
Sekretäre und Inspektoren sahen ihre Armselig-
fcit ein; sie betraten nicht den Saal und schauten
blos von der Ferne zu, wie ihre Frauen und Töch-
ter mit den leichten, schlanken Leutnants tanzten.

Unter den Gatten befand sich der Aecise-
Beamte, Cyrill Petrowitsch Schalikow, ein be-
trunkenes, engbrüstiges und böses Geschöpf,
mit einem großen, kurz geschorenen Kopf und
mit fetten, herabhängenden Lippen. Er hatte
einmal die Universität besucht und Pissarew und
Dobroljubotv gelesen, Lieder gesungen, und jetzt,
sagte er sich, ist er CollegienAssessor, und das ist
alles. Er stand an den Thürpfvsten gelehnt uttd
wandte kein »luge von setner Frau.

Seine Frau Anna Pawlowna, eine kleine
Brünette von dreißig Zähren, langnasig, mit
einem scharfen Kinn, gepudert und fest zusammen
geschnürt, tanzte athemlos, bis zum Umfallen.
Das Tanzen erschöpfte sie, aber blos ihr Körper
unterlag nicht ihre Seele... Ihre ganze Gestalt
drückte Entzücken uttd Genug aus. Ihre Batst
tvogte, auf den Wangen spielten Heine, rothe
Flecke, jede Bewegung war matt utrd leicht;
man sah es ihr an, daß sie im Tanzen sich an
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Max Bernuth: Ochse. wie bist du...
Anton Pavlovic Cechov (Tschechow, Tschechoff): Der Gatte
 
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