Nr. 12
JUGEND
1899
Dem Accise-Beamten wurde es uncrrräg-
lich zu Muthe, er hätte über diese Seligkeit aus-
lachen, es Anna Pawlowna fühlen lassen mögen,
das; sie vergessen, wie das Leben gar nicht so
schön sei, als es ihr jetzt im Rausch erschien.
„Warte nur, ich werde Dir zeigen, >vie man
selig lächelt," murmelte er. „Du bist keine
,höhere Tochter', kein Madel. Eine alte Fratze
muh einsehen, das; fteeine Fratze ist."
Ein wenig Neid, Aerger, gekränkte Eigenliebe,
kleinstädtische Menscheyseindseligkeit, wie sie sich
bei den kleinen Beamten infolge von Schnaps
und der sitzenden Lebensweise einnisten, kribbelten
in seinem Innern wie Mäuse... Er lvartetc
das Ende der Mazurka ab, trat in de» Saal
und ging zu seiner Frau. Anna Pawlowna
sah gerade mit ihrem Cavnlier und fächelte sich
mit dem Fächer zu; sie kniff kokett die Augen
zusammen und erzählte davon, wie sie einst in
Petersburg getanzt. Ihre Lippen lieblich zu-
sammenziehend, sagte sie: „Bei uns in Pjct-
jerburg."
„Anjuta, komm nach Haus!" rief der Accise-
Beamte heiser.
Anna Pawlowna erbebte, als sie ihren Mann
erblickte; sie erinnerte sich gleichsam erst jetzt,
das; sie einen Mann hatte, dann erglühte sie ganz;
sie schämte sich, einen solch mageren, mürrischen,
gewöhnlichen Gatten zu besitzen. . .
„Komin nach Haus!" wiederholte der Accise-
Beamte.
„Warum? Es ist ja noch früh!"
„Ich bitte Dich, komm nach Hause," sagte
der Accise-Beamte mit bösem Gesicht.
„Warum? Ist denn etwas geschehen?" fragte
Anna Pawlowna unruhig.
„Nichts ist geschehen, aber ich wünsche, dah
Du sofort nach Hause gehst... ich wünsche es —
und das ist alles, und ich bitte, ohne weitere
Reden."
Anna Pawlowna fürchtete nicht ihren Gatten,
aber sie schämte sich vor dem Cavalicr, der ver-
wundert und spöttisch den Arcise-Beamten an-
blickte. Sie erhob sich und ging mit ihrem
Mann zur Seite.
„Was istDir eingefallen?" begann sie. „Warum
soll ich nach Hause? Es ist doch noch nicht
zwölf Uhr!"
„Ich wünsche, und basta! Du wirst gcsälligst
mitgehen .. fertig!"
„Hör' aus mit dem Unsinn! Geh' allein,
wenn Du willst."
„Nun, dairn werde ich Skandal machen."
Der Accise-Beamte sah, wie der Ausdruck
von Glückseligkeit allmälig vom Gesicht seiner
Frau verschwaiid, wie sie sich schämte und wie
sie litt — und es wurde ihm gleichsam leichter
in der Seele.
„Warum brauchst Du mich sofort?" fragte
die Gattin.
„Ich brauche Dich nicht, aber ich wünsche,
Du sollst zu Hause sein. Ich wünsche, das ist
AUeS."
Anna Pawlowna wollte nicht hören, dann
sing sie zu flehen an, dah ihr der Gatte erlaube,
wenigstens eine halbe Stunde zu bleiben: dann
entschuldigte sie sich, schwur sie, und wuhte selbst
nicht wehhalb — und das alles flüsternd,
lächelnd, damit daS Publikum nicht glaube, es
gebe zwischen ilir und dem Gatten ein Mihvcr-
ständnih. Sie begann zu betheuern, sie werde
nicht lauge bleiben, blos zehn Minuten, blos
fünf Minuten: aber der Accise-Beamte blieb
hartnäckig bei seinem Willen.
„Wie Du willst — bleib! Aber, ich mache
Skandal."
Und während sie mit dem Mann sprach, schien
sic älter und magerer zu werden. Bleich, sich
in die Lippen beihend und fast weinend, ging
sie in den Corridor und begann sich anzukleiden ..
„Wohin denn?" wunderten sich die Damen
von K.
„Anna Pawlowna, Beste, wohin gehen Sie
denn?"
„Hat Kopfschmerzen bekommen," erwiderte
der Gatte für seine Frau.
Die Eheleute verliehen den Club und gingen
schweigend nach Hause. Der Accise-Beamte schritt
hinter seiner Frau und sah ihr gebeugtes, von
Schmerz geknicktes und gedemüthigtes Figürchen
an, er erinnerte sich ihrer Seligkeit, die ihn im
Club so sehr aufgeregt hatte, das Bewuhtsein,
das; die Seligkeit verschwunden war, erfüllte sein
Inneres mit einem Siegesgefühl. Er war froh
und zufrieden und gleichzeitig fehlte ihm noch
etwas: er wäre gern in den Club zurückgekehrt
um ettvas zu thun, dah es allen langweilig und
unangenehm werde, und dah alle fühlten, wie
nichtig und schaal dieses Leben ist, wenn man
so im Dunkeln auf der Strahe geht und hört,
wie unter den Füßen der Schmutz klatscht
und wenn man tveiß, dah man morgen früh
erwacht — und wieder nichts hat als Schnaps
und Karten! O, wie schrecklich ist das!"
Anna Pawlowna konnte kaum gehen...
Sie befand sich noch immer unter dem
Eiitdruck des Tanzes, der Musik, der
Conversation, des Glanzes, des Lär-
i»i Gehen fragte sie sich: wo-
Der Herr des Hofes
Walther Georgi (Manchen)
JUGEND
1899
Dem Accise-Beamten wurde es uncrrräg-
lich zu Muthe, er hätte über diese Seligkeit aus-
lachen, es Anna Pawlowna fühlen lassen mögen,
das; sie vergessen, wie das Leben gar nicht so
schön sei, als es ihr jetzt im Rausch erschien.
„Warte nur, ich werde Dir zeigen, >vie man
selig lächelt," murmelte er. „Du bist keine
,höhere Tochter', kein Madel. Eine alte Fratze
muh einsehen, das; fteeine Fratze ist."
Ein wenig Neid, Aerger, gekränkte Eigenliebe,
kleinstädtische Menscheyseindseligkeit, wie sie sich
bei den kleinen Beamten infolge von Schnaps
und der sitzenden Lebensweise einnisten, kribbelten
in seinem Innern wie Mäuse... Er lvartetc
das Ende der Mazurka ab, trat in de» Saal
und ging zu seiner Frau. Anna Pawlowna
sah gerade mit ihrem Cavnlier und fächelte sich
mit dem Fächer zu; sie kniff kokett die Augen
zusammen und erzählte davon, wie sie einst in
Petersburg getanzt. Ihre Lippen lieblich zu-
sammenziehend, sagte sie: „Bei uns in Pjct-
jerburg."
„Anjuta, komm nach Haus!" rief der Accise-
Beamte heiser.
Anna Pawlowna erbebte, als sie ihren Mann
erblickte; sie erinnerte sich gleichsam erst jetzt,
das; sie einen Mann hatte, dann erglühte sie ganz;
sie schämte sich, einen solch mageren, mürrischen,
gewöhnlichen Gatten zu besitzen. . .
„Komin nach Haus!" wiederholte der Accise-
Beamte.
„Warum? Es ist ja noch früh!"
„Ich bitte Dich, komm nach Hause," sagte
der Accise-Beamte mit bösem Gesicht.
„Warum? Ist denn etwas geschehen?" fragte
Anna Pawlowna unruhig.
„Nichts ist geschehen, aber ich wünsche, dah
Du sofort nach Hause gehst... ich wünsche es —
und das ist alles, und ich bitte, ohne weitere
Reden."
Anna Pawlowna fürchtete nicht ihren Gatten,
aber sie schämte sich vor dem Cavalicr, der ver-
wundert und spöttisch den Arcise-Beamten an-
blickte. Sie erhob sich und ging mit ihrem
Mann zur Seite.
„Was istDir eingefallen?" begann sie. „Warum
soll ich nach Hause? Es ist doch noch nicht
zwölf Uhr!"
„Ich wünsche, und basta! Du wirst gcsälligst
mitgehen .. fertig!"
„Hör' aus mit dem Unsinn! Geh' allein,
wenn Du willst."
„Nun, dairn werde ich Skandal machen."
Der Accise-Beamte sah, wie der Ausdruck
von Glückseligkeit allmälig vom Gesicht seiner
Frau verschwaiid, wie sie sich schämte und wie
sie litt — und es wurde ihm gleichsam leichter
in der Seele.
„Warum brauchst Du mich sofort?" fragte
die Gattin.
„Ich brauche Dich nicht, aber ich wünsche,
Du sollst zu Hause sein. Ich wünsche, das ist
AUeS."
Anna Pawlowna wollte nicht hören, dann
sing sie zu flehen an, dah ihr der Gatte erlaube,
wenigstens eine halbe Stunde zu bleiben: dann
entschuldigte sie sich, schwur sie, und wuhte selbst
nicht wehhalb — und das alles flüsternd,
lächelnd, damit daS Publikum nicht glaube, es
gebe zwischen ilir und dem Gatten ein Mihvcr-
ständnih. Sie begann zu betheuern, sie werde
nicht lauge bleiben, blos zehn Minuten, blos
fünf Minuten: aber der Accise-Beamte blieb
hartnäckig bei seinem Willen.
„Wie Du willst — bleib! Aber, ich mache
Skandal."
Und während sie mit dem Mann sprach, schien
sic älter und magerer zu werden. Bleich, sich
in die Lippen beihend und fast weinend, ging
sie in den Corridor und begann sich anzukleiden ..
„Wohin denn?" wunderten sich die Damen
von K.
„Anna Pawlowna, Beste, wohin gehen Sie
denn?"
„Hat Kopfschmerzen bekommen," erwiderte
der Gatte für seine Frau.
Die Eheleute verliehen den Club und gingen
schweigend nach Hause. Der Accise-Beamte schritt
hinter seiner Frau und sah ihr gebeugtes, von
Schmerz geknicktes und gedemüthigtes Figürchen
an, er erinnerte sich ihrer Seligkeit, die ihn im
Club so sehr aufgeregt hatte, das Bewuhtsein,
das; die Seligkeit verschwunden war, erfüllte sein
Inneres mit einem Siegesgefühl. Er war froh
und zufrieden und gleichzeitig fehlte ihm noch
etwas: er wäre gern in den Club zurückgekehrt
um ettvas zu thun, dah es allen langweilig und
unangenehm werde, und dah alle fühlten, wie
nichtig und schaal dieses Leben ist, wenn man
so im Dunkeln auf der Strahe geht und hört,
wie unter den Füßen der Schmutz klatscht
und wenn man tveiß, dah man morgen früh
erwacht — und wieder nichts hat als Schnaps
und Karten! O, wie schrecklich ist das!"
Anna Pawlowna konnte kaum gehen...
Sie befand sich noch immer unter dem
Eiitdruck des Tanzes, der Musik, der
Conversation, des Glanzes, des Lär-
i»i Gehen fragte sie sich: wo-
Der Herr des Hofes
Walther Georgi (Manchen)