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1899

. JUGEND -

Nr. 12

J^eimkehr P. W. Keller-Reutlingen (Fürstenfeldbruck)

den 100. Geburtstag Schiller's; das ist günstig,
da werden sie warm. „Freu' dich, schöner Götter-
sunken, Tochter aus Elysium," — „an's Vater-
land, an's theure, schließ' dich anl" Dann wird
einige Jahre gesungen, geturnt und geschossen,
alles begeistert und festlich natürlich. Die Veter-
anen von 1813 werden feste mitthun und ihre
Helle Freude dran haben. Aber das dicke Ende
kommt nach. Doch was soll ich Dir den Kopf
schwer machen? Wenn Du erst das Eisen er-
saßt und den ganzen Zauber begriffen hast, dann
wird's schon gehen."

„Schwester, ich verstehe nichts; mit all dem
Singen, Turnen und Schießen werden wir nicht
viel ausrichten. lind dann bangt mir vor der
deutschen Wurstigkeit — weißt ja, auch unter
den „Gebildeten" gibt cs eine schwere Masse
Gcsinuungstrottel, theils aus Unverstand, theils
aus Herzensschwäche. Wenn Du da nicht einen
ganzen, gewaltigen Kerl auf Lager hast, sozu-
sagen einen Riesenhecht, der im Karpfenteiche
des Bundestags gehörig aufräumt" —

„Habe ich, Michel!" Und dabei lachte die
Jungfrau Gernrania verschmitzt. „Aber ein
Mehreres darf ich Dir nicht sagen."

„Auch nicht einmal, wie er heißt?"

„Doch; er heißt Otto."

„Hm, Otto; an den Namen will ich mich
gewöhnen. Meinst wohl den Eisernen von
Stendal? Schau, Schwester, dem traue ich noch
nicht recht. Wenn nur durch diesen Bismarck
nicht unsre heilige Ostmark zu Schaden kommt.
Die fröhlichen, saugeslustigcn Markomannen
draußen verderben sehen, pfui Teufel I Oh Du
mein Oesterreich, uraltes Heimathland, dich
schnöd verrathen, — ich sterbet' vor Schand'I"

„So meint's der Otto nicht; er glaubet fest,
das Oesterreich, an Ehren und an Siegen reich,
das könne gar nicht anders als deutsch sein
und deutsch bleiben, ein fester Schutzwall unsres
Volksthums. Freilich, in seinen eisernen Plänen
ist ein romantisches Loch. Er rechnet mit Rudolf
von Habsburg und übersieht, daß heute so
manche Deutsche da drüben nur noch deutsch
sprechen, nicht mehr deutsch denken. Er ahnet
nicht, daß Oesterreichs Bünduißtreue die deutsche
Treue der Oesterreicher auf die härteste Probe
stellen wird. Aber unsere Brüder werden
diese Probe glänzend bestehen. Habe nur Ge-
duld, braver Junge, und halte Du allezeit die
Augen offen und die Rechte am Schwertkuauf.
In einer stürmischen Nacht um die Wende des
Jahrhunderts werde ich Dir auf dem March-
feld, unweit von Aspern, ein Stelldichein geben;
wenn der Stephansthurm von Weitem mor-
gendlich leuchtet, dann sollst Du Alles erfahren."

Und nun dampften sie als bescheidene Zwischen-
deckpassagiere nach Bremen. Als sie in die
Jade eiufuhren, sagte sie zu ihm:

„Siehst Du, Michel, hier wird ein Hafen
der kaiserlichen Flotte erstehen."

„Was, - kaiserlich? Hör' mal, Schwester,
Du willst mich zum Narren haben! Ein deutsches
Reich, ein deutscher Kaiser, wäre es möglich I?
Es wäre ja zum Verrücktwerden herrlich. —
eine deutsche Flotte, am Ende gar würden wir
armen Ludersch noch einmal geachtet, und brauch-
ten uns nicht mehr zu schämen auf dem weiten
Erdenrund?"

„Michel, Du bist ein großes Kind. Ja,
Alles sollst Du haben. Die ersten drei Kaiser
leben; Du wirst mit ihnen zufrieden sein. Aber

schwöre mir, daß Du ein patenter Kerl werden,
Dich nie mehr mit Kleinigkeiten abgeben, immer
und vor Allem deutsch denken und handeln
willst, und daß Du, wenn wir nun nach schweren
Sorgen und Mühen endlich Kaiser und Reich
haben werden und nichr Alles genau nach
Deinem Schnürchen gehen sollte — denn auch
Kaiser sind ja Menschen, — daß Du daun
niemals reichsverdrossen sein wirst; denn
das wäre ja wieder der Anfang vom Ende,
das siehst Du wohl ein?"

„Aber Schwester, wie kannst Du mich nur
für ein so dummes, undankbares und schwab-
beliges Mannsbild halten I Was auch kommen
mag: ich schwörel"

In Bremen besuchten sie zuerst den Roland,
dann frühstückten sie im Rathskeller Grüneberger
Auslese, Johannisberger aus der Kellerei des
Herrn von Metternich, dazu Hamburger Rauch-
stcisch, Pommersche Gänsebrust, Kieler Bück-
linge, Westfäler Schinken, Frankfurter Würsteln,
Schwäbische Spätzeln, Thüringer Sauerkraut,
Bayrische Dampfnudeln, Teltower Rübchen und
— Straßburger Gänseleberpastete. Bei diesem
letzten Gerichte sah Schwester Germania den
Bruder an, als wollte sie fragen: Spiritus,
merkst du was? Aber er merkte noch nichts.
Als sie sich so einigermaßen gestärkt hatten,
tranken sie Liebfrauenmilch auf die Zukunft:

„Stoßt an, Deutschland soll leben, Hurrah
hoch!" — — —-— —

Träume kommen aus dem Magen, wie die
Speisekarte zeigt, und haben in der Regel nichts
zu bedeuten. Aber diesmal hatte es seine Rich-
tigkeit. Ob der Michel wohl seinen Traumschwur
halten wird? Georg Hirth

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Paul Wilhelm Keller-Reutlingen: Heimkehr
 
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