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1899

° JUGEND

Nr. 13

Honöerbare Geschichte

von einem Karpfen und einem General

von Lredsric Febove

Es war unter dem zweiten Kaiserreich; der Hos
residirte diesen Sommer zu Fontainebleau.

Unter den Gasten Napoleons III. befand sich ein
italienischer General, der Prinz Caprici, dessen Gemach
genau über dem Arbeitszimmer Seiner Majestät gelegen
war.

Den ganzen Vormittag hindurch war es erstickend
heiß gewesen.

Der General hatte in einem Bade ein wenig Kühl-
ung gesucht und erwartete nun die Stunde des Diners,
melancholisch über die Fensterbriistung gebeugt; von
hier aus beobachtete er die prächtigen Karpfen, die in
dem Teiche, der diesen Theil des Schlosses bespült, in
heiterster Laune herumvagirten.

Um sich zu zerstreuen und ohne an etivas Schlimmes
zu denken, befestigte der General einen Bissen Brot an
einer Stecknadel, aus der er mit ziemlicher Geschicklich-
keit einen Angelhaken geformt hatte; das Ganze knüpfte
er in solider Weise an eine lange Schnur und Uetz die
also improvisirte Fischleine hinabgleiten.

Ein Karpf, ein König seiner Art, kam schnurstracks
auf den Angelhaken losgesteuert, und — wenig gewohnt
an Versuchungen so verführerischer Art, wie das Brot-
stückchen, das der General so listig an ihm vorbeiführte,
warf er sich auf den Köder und zog ...

Der General, überrascht von einem so schnellen und
leichten Erfolg, zog seinerseits das Thier an sich, —
unter tausend Vorsichtsmatzregcln, weil er nämlich
fürchtete, bemerkt zu werden. Der Fisch, der seine Dumm-
heit schon lebhaft bedauerte, wehrte sich nach Kräften.

Als der Karpf einmal im Zimmer war, gab er sich
einer ungeregelten Gymnastik hin, wars die Stühle um
und bespritzte den General, der seinen allzu köstlichen
Fang entsetzt und erschrocken betrachtete und sich fragte,
>vas er damit anfangen solle...

Da kam ihm ein Gedanke. Seine Badewanne war
ja da, noch mit Wasser gefüllt! Er warf den Karpfen
hinein, der zunächst seiner Befriedigung darüber, sich
wieder in seinem Elemente zu befinden, dadurch Aus-
druck verlieh, datz er lustig auf und niederschwamm und
die berühmten Sprünge vollführte, die nach ihm benannt
sind, wobei er das ganze Gemach überschwemmte. Aber,
o Schrecken! Das Wasser in der Badewanne hatte sich
noch nicht genugsam abgekühlt, und das lvas der General
für die Zeichen einer wohligen Heiterkeit nahm, war
in Wirklichkeit nichts als der Ausdruck des höchsten
Unbehagens des ThiereS, das in einer Art von Brüh-
suppe schwamm... Er wurde rasend. Was thun?

Während dieses eigenartigen Kampfes hatte der
Kaiser, der in seinem Arbeitszimmer diesem ungewohn-
ten Lärm zu seinen Häupten zuhörte, die Augen nach
der Decke gerichtet, und als er daselbst einen großen
Wassersleck wahrnahm, der sich langsam ausdehnte, lies;
er sich den diensthabenden Adjutanten rufen.

„Was geht denn da oben vor, mein lieber Graf?"
fragte er diesen. „Wie Sie sehen, scheint mein Zimmer
von einer Ueberschwemmung bedroht. Wer wohnt denn
über diesem Zimmer?"

„Aber Sire," antwortete der Adjutant äußerst über-
rascht, „der Prinz Caprici, dieser italienische General."

„Ja, ja, ich weiß," erwiderte der Kaiser lebhaft,
„ein Cavalier von blendender Erscheinung, der bei den
Weibern ein so wahnsinniges Glück hat, daß er mir
nicht wenig eingebildet zu sein scheint... Vielleicht ist
er unwohl. Suchen Sie ihn auf, bitte! Seh'n Sic
nach, was los ist, und erstatten Sie mir Meldung da-
rüber !"

Während dieser kurzen Unterredung, setzte der Karpf
dort oben seine unwahrscheinlichen Schwimmversuche
fort, in diesem Bassin, das ihm zu enge war, und dessen
erhöhte Temperatur seinem Geschmacke und seinen Ge-
wohnheiten durchaus nicht entsprach.

- Der General, ganz in Schweiß gebadet, versuchte
vergeblich sich seiner-zu bemächtigen, um ihn dem Wasser
wiederzugeben, aus dem er ihn entrissen.~ Der Karpf,

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B. Pankok (München)

der voll Mißtrauens die redlichen Absichten seines Hen-
kers verkannte, schlug noch kräftiger um sich. Und der
Zimmerboden ward zum See. . . Schon suchte der
General, verführt durch die Macht der Gewohnheit, mit
den Augen nach seinem Degen, entschlossen ein Ende
zu machen, und wäre es durch einen Mord an diesem
teuflischen Fisch... als es an der Thüre klopfte.

Des Generals erhitztes, rothes Gesicht erbleichte;
— jetzt galt cs aber einen Entschluß und den Karpfen
zugleich zu fassen.

„General, sind Sie zu Hause? — Sind Sie viel-
leicht krank?" fragte der Adjutant.

„O nein! D nein!" antwortete der General. „Aber
ich habe soeben ein Bad genommen — es ist ja so
drückend heiß heute! Und ich bin in einem nicht ganz
schicklichen Aufzuge.. Um Vergebung! Einen Augenblick!"

„Ich komme im Aufträge des Kaisers!"

Dies Wort genügte, den General zu entscheiden.
Ein zweiter Einfall kam ihm, — ein genialer Gedanke.
Diesmal packte er den Karpfen, zwängte ihn in sein Bett,
und warf eiligst die Decken über ihn. Dann schritt er
zur Thüre, versuchte zu lächeln, und öffnete dem Adju-
tanten, der cintrat.

„Der Kaiser, beunruhigt über den Lärm zu seinen
Hänpten, und in der Furcht, Sie wären vielleicht un-
wohl, schickt mich, Sie nach Ihrem Befinden zu be-
fragen ... Und wahrhaftig, dieser überschwemmte Zim-
merboden ...."

Der General ließ ihn nicht vollenden.

„Melden Sie, Herr Graf, Seiner Majestät meinen
unterthänigsten Dank," sagte er, sehr befangen und mit
unruhigem Blick, „aber, als ich aus dieser Wanne stieg,
glitt ich aus, und mit einer Ungeschicklichkeit, die der
Kaiser gütigst entschuldigen möge, habe ich ein wenig
Wasser verschüttet."

All das ward mit so angegriffener Stimme gesagt,
daß der Adjutant, betroffen durch dieBlüsse des Sprechers,
mechanisch Umschau hielt. .

Sofort wurden seine Augen angezogen durch Be-
wegungen unter den Decken des Bettes, — das noch
ganz zerwühlt war — um diese Tageszeit.

Sogleich trat er einen Schritt zurück, lächelte kaum
merklich, entschuldigte sich mit gedämpfter.Stimme, den
General zu so unpassender Zeit gestört zu haben, und
zog sich zurück... Er verließ den unseligen Fischer
mehr als überrascht ob des geheimnstzvollen Tones,
niit dem der Adjutant von ihm Abschied genommen.

Im Hinuntcrgehen befragte sich der kaiserliche Bote,
in welcher Weise er seinem Gebieter Rechenschaft geben
sollte betreffs des Auftrages, mit dem er betraut wor-
den war.

Der General seinerseits hatte mit fiebernder . Hand
den Karpfen gepackt, der gleichfalls in Raserei geriet!),
weil er nicht ganz klar einsah, warum man ihn mit
roher Gewalt seinen friedlichen Wassern entrissen, um
ihm zunächst einen Aufenthalt in einer Badewanne an-
zuweisen und schließlich in einem Bette, unter dessen
Decken er erstickte.

Zwei Minuten später war er auf dem Rückwege in
seine Häuslichkeit.

Als der Kaiser den Adjutanten in sein Cabinet ein-
treten sah, fragte er: „Nun, ist der General krank?"

„Krank?" antwortete der Beamte verwirrt. „O nein,
Sire! — Im Gegentheil."

„Wieso im Gegentheil? Erklären Sie sich!"

„Ja, aber es ist schwer, Eurer Majestät eine, gezie-
mende Erklärung zu geben. Alles, was ich sagen darf,
ist — daß der General, in ungetrübtester Gesundheit —
wenig Geschmack am Alleinsein findet."

Der Kaiser zog die Brauen ein wenig zusammen.

„Es ist gut," sagte er. „Sic können gehen, mein
Lieber. Ich werde den General bei der Tafel sehen."

Man begab sich zu Tische. Alle Eingeladenen hatten
sich im Salon versammelt.

Der General erschien nicht.

Der Kaiser suchte ihn mit den Augen, als der Adju-
tant sich seinem Gebieter nahte und ihm die Entschuldig-
ungen des Generals überbrachte, der sich zu leidend
fühle, um beim kaiserlichen Mahle zu erscheinen.

„Ah," sagte Napoleon ruhig. Einen Augenblick

überlegte er.

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Register
Bernhard Pankok: Zierleiste
Frédéric Febvre: Sonderbare Geschichte von einem Karpfen und einem General
 
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