1899
JUGEND
Nr. 13
Und nun erst Lisa! Die beiden jungen Frauen
sind schon ein Herz und eine Seele. Wie sie
sich über den Tisch hinüber lustige Cvmplimente
zurufen und auf gute Freundschaft anstoszen!
Und einmal steht Lisa auf und flüstert Gigi
schnell ein paar Worte in's Ohr — und Gigi
erröthet und blickt erstaunt, und dann lachen
beide wie besessen... Nein, weiß der Himmel,
Gigi benimmt sich tadelloser als Lisa, die ganz
aus Rand und Band geräth und Paul fast in
Verlegenheit bringt... Zum Glück scheint die
alte RegiernngSräthin Heim es nicht zu bemerke»;
iie ist ganz Mütterlichkeit und Milde gegen die
beiden jungen Frauen, und wenn sie sich un-
beachtet glaubt, starrt sic wie gebannt nach Lisa's
Brillanten, die ihr am HalS, im Haar, an den
Fingern blitzen und ein wahres Feuerwerk viel-
farbiger Funken ausstrahlen.
»Paul, sie ist bezaubernd! Jetzt verstehe ich
alles!" flüstert Lisa ihm zu, als man sich vom
Speisezimmer in den Salon begibt. „Und dazu
absolut comme il faut." —
»Run ja — was meintest Du denn!" gibt
er stolz, fast beleidigt zurück.
»Wie ich mich freue, daß ich hergekommen
bin, Paul! Zu albern, diese altmodischen Vor-
urtheile. Rechne nur auf mich, ich bringe alles
tn's Gleichgewicht." —
"Du bist entzückend, Lisa!" Er zieht ihre
Flngcrspitzen an die Lippen und löst, im Salon
angekommen, wo die übrigen Damen sich be-
reits gruppirt haben, sanft ihren Arm aus dem
seinen. „Jetzt muß ich zu den übrigen Herren
in's Rauchzimmer." —
„Ich auch," sagt Lisa, seinen Arm festhalteitd.
„Gigi kommt doch mit? Jedenfalls ist sie eben-
falls Raucherin." —
„Nein, sie kann cs nicht vertragen." —
In Paul's kleinem Herrenzimmer wird ge-
raucht. Miedler und Großdorsf lehnen am
Schreibtisch, haben die Cigarren zwischen den
Fingern und flüstern kichernd miteinander.
„Ach bitte, nicht zu leise!" lacht Lisa ihnen
zu und setzt sich, nach einer Cigarette greifend,
in den Schaukelstuhl. —
Mit brennenden Wangen und glückstrahlenden
Augen schiebt Gigi ihr leuchtendes Köpfchen in
die Thür. „Paul, Du sorgst doch für Cognac?
Aber Lisa, großer Himmel, was lachen Sie
denn so schrecklich? Sie ersticken ja fast!"
„Ach, Gigi — diese beiden da! — Was der
Großdorfs eben erzählt hat —"
„Aber — Frau Doktor — ich bitte ernstlich,
Frau Doktor — Sie lverden doch nicht —"
Großdorsf ist seuerroth geworden, und seine
Mienen drücken ernstliche Verlegenheit aus.
„Ich will gar nichts hören!" sagt Gigi ein-
fach und blickt die beiden Herren erstaunt und
ein wenig mißbilligend au. „Kommen Sie,
Lisa, im Rauchzimmer ist cs nicht schön..."
„Wenn Sie nicht darin sind, allerdings nicht!"
meint Doktor Werth mit einer süßlichen Miene
und folgt den Damen in den Salon.
Schon beim Eintritt hört Lisa, daß die Re-
gierungsrüthin den übrigen Damen ihre ewige
Geschichte von der diebischen Köchin auflischt.
Entsetzlich! Sie schlingt den Arm um Gigi's
Schulter und hindert sie so, sich der Gruppe im
Ecksopha nnzuschließen.
„Wie hübsch Sie eingerichtet sind, Kleine!"
sagt sie laut. Und flüsternd fügt sie hinzu:
„Sie müssen mir einmal alles erzählen, wollen
Sie?"
„Was denn?" fragt Gigi unbefangen.
„Pst — nicht so laut! Alles das, mein' ich,
wissen Sic — wie — wie das so gekommen ist —
zwischen Ihnen und Paul... Mit allen Einzel-
heiten — ja? Wollen Sie?"
Lisa steht vor der Etagere, den Blick starr
darauf gerichtet, als mustere sie einen der darauf-
steheuden Gegenstände.
Glückselig, geschmeichelt drückt Gigi den Arm
der neuen Freundin an sich. „O ja, gern —
gern! Ihnen könnt' ich Alles erzählen, ivirk-
lich alles ... Sie sind so — ich weiß gar nicht..
Als wenn Sie alles verständen — als wenn
man sich gar nicht in Acht zu nehmen brauchte."
„Das brauchen Sie auch nicht... Ich verstehe
das Leben — wirklich — ich bin keine Philistcr-
natur," flüstert Lisa und nimmt beit Stchrahmen
^Silhouetten am CD o rg e n h i m m e 1
R. M. Eichler (München)
JUGEND
Nr. 13
Und nun erst Lisa! Die beiden jungen Frauen
sind schon ein Herz und eine Seele. Wie sie
sich über den Tisch hinüber lustige Cvmplimente
zurufen und auf gute Freundschaft anstoszen!
Und einmal steht Lisa auf und flüstert Gigi
schnell ein paar Worte in's Ohr — und Gigi
erröthet und blickt erstaunt, und dann lachen
beide wie besessen... Nein, weiß der Himmel,
Gigi benimmt sich tadelloser als Lisa, die ganz
aus Rand und Band geräth und Paul fast in
Verlegenheit bringt... Zum Glück scheint die
alte RegiernngSräthin Heim es nicht zu bemerke»;
iie ist ganz Mütterlichkeit und Milde gegen die
beiden jungen Frauen, und wenn sie sich un-
beachtet glaubt, starrt sic wie gebannt nach Lisa's
Brillanten, die ihr am HalS, im Haar, an den
Fingern blitzen und ein wahres Feuerwerk viel-
farbiger Funken ausstrahlen.
»Paul, sie ist bezaubernd! Jetzt verstehe ich
alles!" flüstert Lisa ihm zu, als man sich vom
Speisezimmer in den Salon begibt. „Und dazu
absolut comme il faut." —
»Run ja — was meintest Du denn!" gibt
er stolz, fast beleidigt zurück.
»Wie ich mich freue, daß ich hergekommen
bin, Paul! Zu albern, diese altmodischen Vor-
urtheile. Rechne nur auf mich, ich bringe alles
tn's Gleichgewicht." —
"Du bist entzückend, Lisa!" Er zieht ihre
Flngcrspitzen an die Lippen und löst, im Salon
angekommen, wo die übrigen Damen sich be-
reits gruppirt haben, sanft ihren Arm aus dem
seinen. „Jetzt muß ich zu den übrigen Herren
in's Rauchzimmer." —
„Ich auch," sagt Lisa, seinen Arm festhalteitd.
„Gigi kommt doch mit? Jedenfalls ist sie eben-
falls Raucherin." —
„Nein, sie kann cs nicht vertragen." —
In Paul's kleinem Herrenzimmer wird ge-
raucht. Miedler und Großdorsf lehnen am
Schreibtisch, haben die Cigarren zwischen den
Fingern und flüstern kichernd miteinander.
„Ach bitte, nicht zu leise!" lacht Lisa ihnen
zu und setzt sich, nach einer Cigarette greifend,
in den Schaukelstuhl. —
Mit brennenden Wangen und glückstrahlenden
Augen schiebt Gigi ihr leuchtendes Köpfchen in
die Thür. „Paul, Du sorgst doch für Cognac?
Aber Lisa, großer Himmel, was lachen Sie
denn so schrecklich? Sie ersticken ja fast!"
„Ach, Gigi — diese beiden da! — Was der
Großdorfs eben erzählt hat —"
„Aber — Frau Doktor — ich bitte ernstlich,
Frau Doktor — Sie lverden doch nicht —"
Großdorsf ist seuerroth geworden, und seine
Mienen drücken ernstliche Verlegenheit aus.
„Ich will gar nichts hören!" sagt Gigi ein-
fach und blickt die beiden Herren erstaunt und
ein wenig mißbilligend au. „Kommen Sie,
Lisa, im Rauchzimmer ist cs nicht schön..."
„Wenn Sie nicht darin sind, allerdings nicht!"
meint Doktor Werth mit einer süßlichen Miene
und folgt den Damen in den Salon.
Schon beim Eintritt hört Lisa, daß die Re-
gierungsrüthin den übrigen Damen ihre ewige
Geschichte von der diebischen Köchin auflischt.
Entsetzlich! Sie schlingt den Arm um Gigi's
Schulter und hindert sie so, sich der Gruppe im
Ecksopha nnzuschließen.
„Wie hübsch Sie eingerichtet sind, Kleine!"
sagt sie laut. Und flüsternd fügt sie hinzu:
„Sie müssen mir einmal alles erzählen, wollen
Sie?"
„Was denn?" fragt Gigi unbefangen.
„Pst — nicht so laut! Alles das, mein' ich,
wissen Sic — wie — wie das so gekommen ist —
zwischen Ihnen und Paul... Mit allen Einzel-
heiten — ja? Wollen Sie?"
Lisa steht vor der Etagere, den Blick starr
darauf gerichtet, als mustere sie einen der darauf-
steheuden Gegenstände.
Glückselig, geschmeichelt drückt Gigi den Arm
der neuen Freundin an sich. „O ja, gern —
gern! Ihnen könnt' ich Alles erzählen, ivirk-
lich alles ... Sie sind so — ich weiß gar nicht..
Als wenn Sie alles verständen — als wenn
man sich gar nicht in Acht zu nehmen brauchte."
„Das brauchen Sie auch nicht... Ich verstehe
das Leben — wirklich — ich bin keine Philistcr-
natur," flüstert Lisa und nimmt beit Stchrahmen
^Silhouetten am CD o rg e n h i m m e 1
R. M. Eichler (München)