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1899

JUGEND

Nr. 23

Wie er da so steht, erblickt er auf
dem Perron einen kleinen, bleichen Mann
in schwarzem, etwas verschlissenem Ueber-
zieher und einem Cylinderhut, der neuer
und moderner sein konnte und es wohl
auch einmal gewesen war. Ueber der
ganzen Erscheinung des kleinen Mannes
lag eine Bescheidenheit, als wenn er noch
kein Frühstück gegessen hätte, eine
Schüchternheit, als wenn er den Stations-
vorsteher um Entschuldigung bitten wollte,
dass er überhaupt da wäre.

Der Herr in der Coupethüre riss seine
Augen auf, streckte mit grossartiger Ge-
bärde seine ringgeschmückte Hand vor
und sagte mit grosser Freundlichkeit:

„Ah, zum Teufel, bist Du es wirklich ?“

Der bleiche Schüchterne gab zu, dass
er es sei.

„Willst Du auch mit dem Zug mit, so
steig’ ein! Ach, es ist wahr, Du hast
wohl . . .? Hast Du dritter, so kaufe ich
das Zuschlagsbillet, damit wir ein Bischen
plaudern können !“

„Danke! ich habe schon ,zweiter“,“ sagte
der Bescheidene mit kleidsamer Prunk-
losigkeit und stieg mit ein paar Beinen
hinauf, die ein Menschenfresser seinem
Knecht geschenkt haben konnte.

„Lieber, alter Schulkamerad!“ sagte
der elegante Herr und umfasste ihn, so-
dass sein eigener Reisemantel und die
Ueberzieher-Reste des Bleichen in allen
Säumen krachten.

• „Guten Tag, lieber Hans!“ brachte nun
der kleine Bleiche vor und sah den Freund

mit wohlwollendem Interesse an. „Wie
ist es Dir denn in all’ der Zeit ergangen?
Gut, wie ich sehe! Habe zwanzig Jahre
nichts von Dir gehört!“

„Magnifique, liebster Bruder! Reise
für Carlin & Carlquist in Göteborg, Manu-
facturwaaren. Ohne Concurrenz, siehst
Du, absolut ohne Concurrenzmöglichkeit.
Prima Waaren und solche Preise, dass ein
einigermassen reeller Käufer die Nacht,
nachdem ich bei ihm gewesen, nicht schla-
fen kann, denn er vermag sich des Gefühls
nicht zu erwehren, dass er einen Mit-
menschen ausgeraubt hat. Grössere Ge-
schäfte schliesse ich meist bei einer klei-
nen Champagnerkneiperei ab, und am
Tage darauf läuten sie unaufhörlich am
Telephon an und fragen, ,ob es möglich
ist? Ob in der Copie kein Fehler steht?“
— Dann antworte ich: ,Na zum Teufel,
natürlich ist es möglich; aber nur für
Carlin & Carlquist im ganzen Weltall!“
Aber Du siehst so bleich und erfroren
aus, mein Junge! Da nimm meine Decke!
Hast Du schon so etwas einmal gesehen?
Kostet ihre runden hundertundfünfund-
zwanzig netto, Du! Nein, die ist nicht
von Carlin & Carlquist, das ist ein An-
denken, lieber Freund! Es war Nachts
in einem Schnellzug durch Vestergöt-
land. Nichts sagte sie und nichts sagte
ich. Du fragst: ,Welche sie?“

Mein Gott, das junge engel-
schöne Weib, mit dem ich ganz
allein in einem Coupe fuhr. Na
also, sie sagte nichts und ich

sagte nichts während einer Ewigkeit, Gott
weiss, ob es nicht zwanzig Minuten waren.
Da sah ich, dass ich auf sie Eindruck zu
machen begann, und leitete ein Gespräch
ein. Intelligentes Frauenzimmer. Unsere
Seelen flössen in einander, und vor Tages-
anbruch hatten sich auch unsere Herzen
gefunden. Als man die Deckenlampen
ausblies, lag sie in meinen Armen, bleich
und ausser sich vor Gemüthsbewegung
in Folge meiner brennenden Küsse. Als
ich aber von der Zukunft und einem kleinen
bezaubernden Heim in einem kleinen
Städtchen sprach, zog eine dunkle Wolke
über ihre Wangen, und sie vertraute mir
an, dass sie seit vier Jahren verheirathet
wäre. — Schändlich! sagst Du! — Ja,
wenn es ein anderer Mann gewesen
wäre, Freundchen, aber ich weiss, dass
die Weiber mir absolut nicht widerstehen
können! Weiss der Teufel, woran das
liegt! Muss wohl in der Frauennatur selbst
liegen! Genug, als wir schieden, wollte
sie mir durchaus diese Plüschdecke zur
Erinnerung geben. Fühle selbst! Feinster
echter Seidenplüsch! Sie sagte, es wäre
für sie ein so wehmüthig holdes Gefühl,
zu wissen dass ihr Liebling im Zuge auf
dieser Decke läge und schliefe, die früher
ihre eigene kleine Elfengestalt umschloss.
Gross und prächtig ist sie, volle zwei
Meter in jeder Dimension.
— Die Frau? — Ah, pah, die
Decke natürlich! Ich fragte
sie, ob es keine Hoffnung
gäbe, dass er bald sein trau-

M. Feldbauer

Auszug zur Großhesseloher Äirta: Die Aushilfskellnerinncn und der Herr Baß
.So weit is' die Kunst gesunken! Die Zwoa muaß i als Baß freundlich behandeln. Erstens weil's Kellnerinna fan: z’wegern Baus-
trunk Zweitens wcils alte bfexen fan: daß koa Wetter macha! — Ls is koa Freud mehr bei der Must' — hält' t nur Ktza a Fufzgerl
und dafür koa G’wiff'n, na that i mir was an oder i kehret ein im nächsten wirthshans... so weit fan mcr!
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Max Feldbauer: Auszug zur Großhesseloher Kirta
 
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