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Nr. 23

JUGEND

1899

riges Dasein beschliesse! .. . Wer? . . .
Der Mann natürlich! Aber da verfiel sie
in Weinkrämpfe und sagte, er hätte vorige
Woche seine Lebensversicherung erhöht,
ohne Prämienaufschlag!

Willst Du eine feine Cigarre haben?
Trinkst Du Cognac? Bist Du in einer Un-
fallversicherung? loh habe nämlich auch
eine Agentur für eine schweizerischeAktien-
gesellschaft, von der ich zu behaupten
wage, dass sie die grossartigste Institution
in ihrer Art auf der ganzen Erde ist. Denke
an die Sache! Hier hast Du den Prospekt!

Ob mein Leben nicht beschwerlich ist?
fragst Du. Na mag sein; aber ich nehme es
so unbeschreiblich leicht. Ich habe etwas
Vermögen, siehst Du. Als ich zu Carlin
& Carlquist kam, hatten sie einen kleinen
Speicherraum und zwei Keller in einer
kleinen Gasse. Nun haben sie sechs grosse
Speicherräume an der Hafenstrasse und
zwei grosse Verkaufsläden. ,Ach, wenn
Carlin die Hälfte von Herrn Liebling’s
Fähigkeiten hätte,1 sagte die Frau des einen
Chefs zu mir und seufzte, als ich eines
Tages bei ihnen zu Mittag war. Sie ist
verteufelt verliebt in mich, siehst Du, armer
Kerl; aber man hat seine Prinzipien, und
dann ist sie sechsundvierzig, die arme
Hexe.

Ob ich, wie Andere meines Berufs,
nicht Unhöflichkeiten und Verdriesslich-
keiten ausgesetzt bin? fragst Du. Selten
bei meinem Wesen und meinem Aussehen.
Ich habe so eine Art diesen Detailisten-
Jagdhunden gegenüber, siehst Du, dass
ich allen imponire, bei denen ich nur eine
Minute hineinsehe. ,Unhöflichkeiten1! Ja,
ich will sagen: einmal ist es mir passirt.
Ich machte ein paar Attaquen, und dann
sagte der Grobian: ,Geh’n Sie zum Teufel!
Meine Frau liegt im Sterben!‘ — ,Ach,
Herr Gott,“ sagte ich. ,Ich darf wohl nicht
fragen, was der Gnädigsten fehlt?“ —
,Diphtheritis im letzten Stadium. Sie werden
vielleicht angesteckt; ich komme gerade
von ihrem Krankenbett! Seien Sie so
gut und machen Sie, dass Sie hinaus-
kommen !‘ schrie er mit Thränen in den
Augen. — Na, ich hatte ein kleines Ver-
hältniss mit einer verdammt hübschen
Modistin am Platz, womit ich zwei
Tage herumbringen konnte, und
dann trug ich in meiner Brief-
tasche ein famoses Diphtheritis-
Recept aus meiner grünen Ju-
gend, wo ich in einem Nest den
Apothekerlehrling spielte. Na,
um eine lange Geschichte kurz ,
zu machen: am Abend des drit-
ten Tages sassen die Frau und
er und ich bei einem kleinen,
feinen, von mir bestellten Sou-
per im Rathhaustunnel in ihrem
Krähwinkel. ,Und nun zum Ge-
schäft, Herr Grosshändler!“ rief
ich, als der Käse und der Port-
wein aufgetragen wurde. Na,

Du kannst mir glauben, er kaufte!

Ob ich niemals daran gedacht
habe, mich zu verheirathen? —

Ja, sobald ich mich selbstständig
mache. Jetzt ginge es gar nicht!

Ein Theil der Geschäfte wird ja
von Frauen betrieben, in andern
ist die Meinung der Frau aus-
schlaggebend. Jetzt kaufen sie
von mir wie toll, wäre ich ver-
heirathet — gute Nacht!

Was Teufel glotzt Du da auf
das Hundevieh auf dem Perron

hin? Das ist ja gar nichts! Nein, Du
hättest meinen Carnot sehen sollen, den
ich im Frühling vierundneunzig an einen
englischen Lord verkaufte, und zwar für
siebenhundert Pfund Sterling! Das war ein
kluger Kerl!.. Wer?.. Der Hund natür-
lich. Einmal kam ich nach Cimbrishamn
gleichzeitig mit dem Reisenden von Has-
selbach. Ich wollte am Morgen ausschla-
fen und sagte zu Carnot, er solle ,den
Kerl da“ nicht aus seinem Zimmer her-
aus lassen, bevor ich es ihm geboten. Ich
fürchtete, er könnte ausgehen und sich
einige Ordres angaunern. Als ich so um
elf Uhr in den Corridor hinauskomme,
steht Carnot vor der Thüre meines Gon-
currenten und zeigt dem Hotelwirth, zwei
Kellnern, drei Mädchen, zwei Hausdienern,
einem Schutzmann und etlichen Fremden,
sowie auch einigen Schnittwaarenhändlern
der Stadt, mit denen ich Geschäfte machen
wollte, die Zähne. Die letzteren lud ich
sogleich zu einem kleinen Frühstück ein,
und erst als wir unten an der Treppe ver-
schwunden waren, liess Carnot den von
Hasselbach hinaus. Beim Kaffee kam der
Schutzmann und sagte mir, ich müsste

Serge de Solomko

33ieÖerfräulein von Herbheim auf Lprödenhausen

Strafe zahlen wegen meines gefährlichen
Hundes. ,Mein Hund?“ sagte ich. ,Ich
habe niemals einen Hund besessen!“ —
,Das werden wir gleich sehen,“ sagte der
Schutzmann und liess Carnot hinein. Da
rief ich Carnot auf französisch, was in
Cimbrishamn kein Mensch versteht, zu,
er solle fremd mit mir thun. Und das
liebe Thier knurrte mich an und fuhr so
wüthend auf mich los, dass die Buffet-
mamsell, die mich bis zum Wahnsinn
liebte, für mein Leben zitterte.

Eines Morgens, als ich von Herrljunga
abreiste, wurde er im Zimmer eingesperrt
und musste dableiben, während ich nach
Boraas fuhr. Als ich dorthin kam, tele-
phonirten sie vom Hotel und fragten, was
sie mit Carnot anfangen sollten. ,Stellen
Sie ihn an’s Telephon und halten Sie ihm
das Hörrohr an’s Ohr!“ sagte ich. Nach-
dem wir uns begrüsst hatten, sagte ich
zu ihm deutlich und bestimmt: ,Ich bin
in Boraas, mein Junge, und nun ,latsche“
Du hübsch hierher; aber geh’ erst auf
mein Zimmer und hole meine Cigarren-
spitze, die ich auf dem Nachttisch ver-
gessen habe!“ Am Nachmittag kommt
Carnot richtig mit der Cigarrenspitze im
Maule in Boraas an.

Ja, das war ein Hund!

Aber da sitze ich nun und rede nur
von mir! Wie geht es Dir denn, alter
Kamerad? Worauf hast Du Dich denn
eigentlich geworfen? Du solltest ja Pastor
werden, und schwarz und glattrasirt bist Du
ja, so dass es nicht unwahrscheinlich ist,
dass Du Deine Absicht erreicht hast, aber
fetter bist Du darum nicht geworden!“

„Ja ich bin Pastor geworden,“ sagte
der Bleiche schüchtern.

„Na, hast Du eine eigene Pfarre be-
kommen? Du bist doch wohl wenigstens
Hilfspastor?“

„Ja, das wurde ich auch, aber das ist
nun vorüber!“

„Ach, Herrje! Armer, armer, lieber
Freund! Und ich Schafskopf sitze hier
und versuche Dich mit der Cognacflasche
einmal ums andere zu verführen! Denn
natürlich, das Trinken hat Dich so weit
gebracht? Was bleibt einem auch in der
Einsamkeit auf dem Lande! Aber,
zum Teufel, konntest Du Dich nicht
wenigstens am Sonntag beherr-
schen?“

„Das scheint fast so. Bestimmt
war es etwas, was ich an einem Sonn-
tag machte, was mich für immer
von meinem Hilfspastorenposten
schied!“

„Bist Du verrückt, Mensch! Was
um Himmelswillen machtest Du
denn? Schlugst Du dem Glöckner
den Schädel ein? Sangst Du ein
Trinklied in der Kirche oder küss-
test Du die Frau eines Gemeinde-
mitgliedes?“

„Nein, ich hielt nur Probepredigt
um die Dompropstei und . .

„Was . . . was ... na und ...?““
„Ja, es ging gut, und ich bekam
die Stelle!“

„Ach . .. Deixel ...! Das muss
doch in den Blättern gestanden ha-
ben! Das kommt davon, wenn man
in der Regel nichts Anderes, als die
Witzblätter liest! Höre, da will ich
Dir und Deiner lieben Dompropstin
einen Dienst für mehrere hundert
Kronen im Jahr leisten. Ihr sollt
Eure Sachen von Carlin & Carl-

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Sergej de Solomko: Biederfräulein von Herbheim auf Sprödhausen
 
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