DOI Heft:
Nr. 23 (3. Juni 1899)
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.3778#0373
Nr. 23 (Redaktionsschluss: 25. Mai 1899;
JUGEND
o
1899
„Was willst denn John? Die Thür' ist ja offen!"
Der Briefträger-Streik
— pariser Sttmmungsbtlb, Mitte Mai —
Unausgctragen ist die Drcyfus-Sache
In Frankreich mit gar vielen andern Fragen —
Unausgetragen ließ in diesen Tagen
Des Wonnemonats in Paris aus Rache
Der Geldbriesträger manchen Brief im Fache,
Darnach verlangen lebhaft ward getragen,
Und mancher Liebesbrief, den voller Zagen
Den Männern sandte das Geschlecht, das
schwache,
sUnd umgekehrt), blieb leider unbestellt:
Des Gläubigers grobe Mahnung: „schick
mir Geld!"
Die Beuchelei — die zärtliche Liebkoiung —
Der Treubruch — kurz von Briefen eine Welt,
Die das Gemüth verdüstert und erhellt —
„Unausgetragen!" heißt des Tages Losung.
Loki
Resolution
Die sämmtlichen Gymnasiasten Hessens
faßten einstimmig folgende Resolution:
„Die Unterzeichneten erklären, daß sie mit
den Ausführungen des Ministerialrathes Sol-
dan voll und ganz einverstanden sind, und
hoffen, daß die von ihm aufgestellten Grund-
sätze neuerer Pädagogik, nach welchen die Schul-
arbeiten vorher eingehend zu besprechen sind,
an sänimtlichen Gymnasien Darnachachtung fin-
den, widrigenfalls sie für gänzliche Abschaffung
der zeitraubenden Schularbeiten stimmen müß-
ten. Sie mißbilligen das Vorgehen vr. Ahl-
heims nur insofern, als er die neue Pädagogik
etwas einseitig anwandte." —
Wie wir hören, werden an allen deutschen
Gymnasien Zustimmungsadressen vorbereitet.
Ach wie süß!
In Berlin stand am 17. Mai vr. S. Se.
vor Gericht, augeklagt, auf dem Dönhofplatze
vor einer Dame stehen geblieben zu sein und
ausgerufen zu haben: „Ach, wie süß!" Der
Mann der Dame kam im näckisten Angen-
blicke in Sicht und der Schutzmann wurde
in Anspruch genommen. Das Gericht ver-
urthciltc den Angeklagten zu einer Geldstrafe
von 150 Mark.
Lieblich auf dem Dönhofplatz
Zog dahin ein holder Schatz,
Als Herr Doktor S. einherkam
Und der Danie in die Quer kam.
Rasch von ihrem Reiz bestrickt
Blieb der Ritter stehn und stieß
Diesen Seufzer aus entzückt:
„Ach wie süß,"
Doch da kam von Ungefähr
Jener Dame Mann einher,
Dem's die Frau sofort voll Wuth sagt,
Was dem Mann zum Kopf das Blut jagt.
Ein Organ der Polizei,
Das nicht fern stand auf der Lauer,
Ward gerufen schnell herbei.
Ach wi e sauer!
Und dem Richter, den nichts rührt,
Wird der Frevler vorgeführt.
Als der Richter es gehört hat,
Was auch ihn gar sehr empört bat,
Rief er aus: „Das find' ich stark!"
Und bezahlen muß der Ritter
Strafweis hundertfünfzig Mark.
Ach wie bitterl
Liebe auf den ersten Blick —
Blaue Blumen — Minneglück —
Wie romantisch war es ehdem!
Aber heutzutage weh dem,
Der da wähnt, daß er im Flug
Süßen Minnelohn erwerb'.
Erst durch Schaden wird man klug.
Ach wie herb!
it
Gradus ad Parnassum
— Der Laufs muß ja wohl 'n gewaltiger
Dichter sein; er hat ja immer große Erfolge.
— Allemal! Sie soll'» mal seh'n: der wird
noch Generalmajor!
SS
In einem Orte Niederösterreichs wurde
ein Gauner abgefaßt, der zwei werthvolle Ta-
schenuhren gestohlen hatte. „DerBurggräf-
ler", ein tiefschwarzes Meraner Blatt, bemerkte
dazu, der Mann sei reif für den Uebertritt zum
Protestantismus. Nämlich: weil er sich hat
derwischen lassen!
Das sächsische Kultusministerium hat den
Schülerinnen der öffentlichen Mädchenschulen
das Tragen von Korsetten verboten. Die
Regierung will selbst mit einem guten Bei-
spiele vorangehen, indem sie zunächst der Politik
und der Kunst die Schnürleiber abnimmt oder
lockert. Die Bestätigung dieser Nachricht bleibt
abzuwarten wie diejenige Kirschncrs.
Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; ve'antwortlicher Redakteur: F. vo» OSTINI; G. HIRTH’s Kunstverlag, verantwortlich für den Inseratentheil: G. El CHMANN: sämmtlich in München
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
JUGEND
o
1899
„Was willst denn John? Die Thür' ist ja offen!"
Der Briefträger-Streik
— pariser Sttmmungsbtlb, Mitte Mai —
Unausgctragen ist die Drcyfus-Sache
In Frankreich mit gar vielen andern Fragen —
Unausgetragen ließ in diesen Tagen
Des Wonnemonats in Paris aus Rache
Der Geldbriesträger manchen Brief im Fache,
Darnach verlangen lebhaft ward getragen,
Und mancher Liebesbrief, den voller Zagen
Den Männern sandte das Geschlecht, das
schwache,
sUnd umgekehrt), blieb leider unbestellt:
Des Gläubigers grobe Mahnung: „schick
mir Geld!"
Die Beuchelei — die zärtliche Liebkoiung —
Der Treubruch — kurz von Briefen eine Welt,
Die das Gemüth verdüstert und erhellt —
„Unausgetragen!" heißt des Tages Losung.
Loki
Resolution
Die sämmtlichen Gymnasiasten Hessens
faßten einstimmig folgende Resolution:
„Die Unterzeichneten erklären, daß sie mit
den Ausführungen des Ministerialrathes Sol-
dan voll und ganz einverstanden sind, und
hoffen, daß die von ihm aufgestellten Grund-
sätze neuerer Pädagogik, nach welchen die Schul-
arbeiten vorher eingehend zu besprechen sind,
an sänimtlichen Gymnasien Darnachachtung fin-
den, widrigenfalls sie für gänzliche Abschaffung
der zeitraubenden Schularbeiten stimmen müß-
ten. Sie mißbilligen das Vorgehen vr. Ahl-
heims nur insofern, als er die neue Pädagogik
etwas einseitig anwandte." —
Wie wir hören, werden an allen deutschen
Gymnasien Zustimmungsadressen vorbereitet.
Ach wie süß!
In Berlin stand am 17. Mai vr. S. Se.
vor Gericht, augeklagt, auf dem Dönhofplatze
vor einer Dame stehen geblieben zu sein und
ausgerufen zu haben: „Ach, wie süß!" Der
Mann der Dame kam im näckisten Angen-
blicke in Sicht und der Schutzmann wurde
in Anspruch genommen. Das Gericht ver-
urthciltc den Angeklagten zu einer Geldstrafe
von 150 Mark.
Lieblich auf dem Dönhofplatz
Zog dahin ein holder Schatz,
Als Herr Doktor S. einherkam
Und der Danie in die Quer kam.
Rasch von ihrem Reiz bestrickt
Blieb der Ritter stehn und stieß
Diesen Seufzer aus entzückt:
„Ach wie süß,"
Doch da kam von Ungefähr
Jener Dame Mann einher,
Dem's die Frau sofort voll Wuth sagt,
Was dem Mann zum Kopf das Blut jagt.
Ein Organ der Polizei,
Das nicht fern stand auf der Lauer,
Ward gerufen schnell herbei.
Ach wi e sauer!
Und dem Richter, den nichts rührt,
Wird der Frevler vorgeführt.
Als der Richter es gehört hat,
Was auch ihn gar sehr empört bat,
Rief er aus: „Das find' ich stark!"
Und bezahlen muß der Ritter
Strafweis hundertfünfzig Mark.
Ach wie bitterl
Liebe auf den ersten Blick —
Blaue Blumen — Minneglück —
Wie romantisch war es ehdem!
Aber heutzutage weh dem,
Der da wähnt, daß er im Flug
Süßen Minnelohn erwerb'.
Erst durch Schaden wird man klug.
Ach wie herb!
it
Gradus ad Parnassum
— Der Laufs muß ja wohl 'n gewaltiger
Dichter sein; er hat ja immer große Erfolge.
— Allemal! Sie soll'» mal seh'n: der wird
noch Generalmajor!
SS
In einem Orte Niederösterreichs wurde
ein Gauner abgefaßt, der zwei werthvolle Ta-
schenuhren gestohlen hatte. „DerBurggräf-
ler", ein tiefschwarzes Meraner Blatt, bemerkte
dazu, der Mann sei reif für den Uebertritt zum
Protestantismus. Nämlich: weil er sich hat
derwischen lassen!
Das sächsische Kultusministerium hat den
Schülerinnen der öffentlichen Mädchenschulen
das Tragen von Korsetten verboten. Die
Regierung will selbst mit einem guten Bei-
spiele vorangehen, indem sie zunächst der Politik
und der Kunst die Schnürleiber abnimmt oder
lockert. Die Bestätigung dieser Nachricht bleibt
abzuwarten wie diejenige Kirschncrs.
Herausgeber: Dr. GEORG HIRTH; ve'antwortlicher Redakteur: F. vo» OSTINI; G. HIRTH’s Kunstverlag, verantwortlich für den Inseratentheil: G. El CHMANN: sämmtlich in München
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