1899
JUGEND
Nr. 24
Ich aber 309 sie sanft zu mir auf das
Bett und ließ die perlen, die sie um den Hals
trug und im Staub nach sich schleppte, ein-
zeln durch meine Zinger geh'n. Und ich er-
klärte ihr den Preis der perlen: diese da
kostete den alten Schrank mit dem Linnen-
zeug drin; diese da den Tisch, an dem mir
unsere Mahlzeiten nahmen; diese da die
Becher; diese da die Schüsseln; diese da die
alten Bücher, die auf dem Spind standen;
diese da die Bibel... und alle perlen hatten
den Werth der verschwundenen Gegenstände,
deren sie sich erinnerte... aber da hob ich
das Lnde der Schnur vom Boden auf und
erklärte ihr den Preis der staubigen perlen:
diese da kostet das Andenken an die Mutter;
diese da das Andenken an den Vater; diese
da die Zreude an den Erinnerungen; diese
da die Zreude an der Gegenwart; diese da
die Zreude an den Hoffnungen... ich nannte
ihr den Werth all der perlen, und der Preis
der letzten war: der Friede im Herzen.
Sie aber stand auf und sprach: „Ich will
Diamanten und ich will Rubine. Und bist Du
zu arm, um sie mir zu kaufen, so geh' und
verkaufe Dein Augenlicht und Dein Herz."
Und während sie dies sagte, war ihr kleiner
Zuß — er war nicht größer als eine perle —
auf die perle getreten, die den Frieden in
meinem Herzen gekostet hatte, und hatte sie
zertreten.
Ich küßte sie auf den Mund und ging
zu den Diamanten- und Rubinenhändlern.
Die aber weinten und fielen mir um den
Hals, als ich ihnen den Preis sagte, den
ich für ihre Diamanten und Rubine zahlen
wollte, sie weinten und fielen mir um den
Hals und waren doch alte Männer. Und sie
sagten mir schluchzend, daß sie mir für diesen
Preis ihre Diamanten und ihre Rubine nicht
verkaufen könnten, denn es waren alte
jüdische Männer.
So kam ich mit leeren Händen in die
Hütte zurück. Sie sprang mir entgegen zur
Thüre und strekte mir die Zinger ihrer beiden
Hände hin, aber ich hatte nichts mitgebracht,
und als sie das sah, schloß sie die Zinger
ihrer Hände hinter ihrem Racken, warf den
Kopf zurück und sah mich an.
„Wo hast Du Deine perlen?" ftug ich.
Sie aber verzog nur die Lippen im Spott und
erwiderte nichts. Da sah ich, daß der Boden
meiner Hütte bedeckt war mit zertretenen
perlen. Und an ihrem Halse hing noch die
feine seidene Schnur, auf die alle meine per-
len gereiht waren.
Ich kniete nieder vor ihr und küßte die
kleinen Füße, die so winzig waren, daß sie
immer nur eine perle auf einmal zertreten
konnten, küßte sie, faßte dann das Ende der
Seidenschnur, das im Staube lag vor mir
und zog ste mit aller Gewalt an mich.
Ich hörte einen leisen Schrei.
Dann stand ich aus und legte den Leich-
nam auf unser Bett.
Arthur Höllischer
Avenös fiel Kreffel ?—
Paul Rieth <München)
379
JUGEND
Nr. 24
Ich aber 309 sie sanft zu mir auf das
Bett und ließ die perlen, die sie um den Hals
trug und im Staub nach sich schleppte, ein-
zeln durch meine Zinger geh'n. Und ich er-
klärte ihr den Preis der perlen: diese da
kostete den alten Schrank mit dem Linnen-
zeug drin; diese da den Tisch, an dem mir
unsere Mahlzeiten nahmen; diese da die
Becher; diese da die Schüsseln; diese da die
alten Bücher, die auf dem Spind standen;
diese da die Bibel... und alle perlen hatten
den Werth der verschwundenen Gegenstände,
deren sie sich erinnerte... aber da hob ich
das Lnde der Schnur vom Boden auf und
erklärte ihr den Preis der staubigen perlen:
diese da kostet das Andenken an die Mutter;
diese da das Andenken an den Vater; diese
da die Zreude an den Erinnerungen; diese
da die Zreude an der Gegenwart; diese da
die Zreude an den Hoffnungen... ich nannte
ihr den Werth all der perlen, und der Preis
der letzten war: der Friede im Herzen.
Sie aber stand auf und sprach: „Ich will
Diamanten und ich will Rubine. Und bist Du
zu arm, um sie mir zu kaufen, so geh' und
verkaufe Dein Augenlicht und Dein Herz."
Und während sie dies sagte, war ihr kleiner
Zuß — er war nicht größer als eine perle —
auf die perle getreten, die den Frieden in
meinem Herzen gekostet hatte, und hatte sie
zertreten.
Ich küßte sie auf den Mund und ging
zu den Diamanten- und Rubinenhändlern.
Die aber weinten und fielen mir um den
Hals, als ich ihnen den Preis sagte, den
ich für ihre Diamanten und Rubine zahlen
wollte, sie weinten und fielen mir um den
Hals und waren doch alte Männer. Und sie
sagten mir schluchzend, daß sie mir für diesen
Preis ihre Diamanten und ihre Rubine nicht
verkaufen könnten, denn es waren alte
jüdische Männer.
So kam ich mit leeren Händen in die
Hütte zurück. Sie sprang mir entgegen zur
Thüre und strekte mir die Zinger ihrer beiden
Hände hin, aber ich hatte nichts mitgebracht,
und als sie das sah, schloß sie die Zinger
ihrer Hände hinter ihrem Racken, warf den
Kopf zurück und sah mich an.
„Wo hast Du Deine perlen?" ftug ich.
Sie aber verzog nur die Lippen im Spott und
erwiderte nichts. Da sah ich, daß der Boden
meiner Hütte bedeckt war mit zertretenen
perlen. Und an ihrem Halse hing noch die
feine seidene Schnur, auf die alle meine per-
len gereiht waren.
Ich kniete nieder vor ihr und küßte die
kleinen Füße, die so winzig waren, daß sie
immer nur eine perle auf einmal zertreten
konnten, küßte sie, faßte dann das Ende der
Seidenschnur, das im Staube lag vor mir
und zog ste mit aller Gewalt an mich.
Ich hörte einen leisen Schrei.
Dann stand ich aus und legte den Leich-
nam auf unser Bett.
Arthur Höllischer
Avenös fiel Kreffel ?—
Paul Rieth <München)
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