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1899

JUGEND

Nr. 24

Die Abonnenten

Seder wird sich wundern, wieder etwas von
mir zu hören: ein todter Mann, der ein
Lebenszeichen von sich gibt. Ist es ein Jahr
her, oder zehn oder hundert — dafür fehlt mir
jetzt jeder Maßstab. Kurz, damals flatterte
meine Seele eines Tages gen Pimmel. Waren
Sie schon einmal auf einem Luftballon? Nein?
Dann fehlt mir allerdings jeder vergleich. Uebri-
gens darf ich Ihnen hierüber auch nichts Nä-
heres mittheilen. Man hat meiner Seele das
Ehrenwort abgenommen. Also hören Sie wenig-
stens, was ich Ihnen von meinen Erlebnissen
(wenn man das so nennen kann) verrathen darf.

Petrus und dergleichen, das iü schon lange
nicht mehr wahr. Gibt's nicht. Der Mann
konnte den Posten nicht mehr bewältigen, er
ist ihm über den Kopf gewachsen; denken Sie
sich nur, der Andrang heutzutage! Die Sache
ist jetzt ganz modern eingerichtet, mir scheint
nach preußischem Muster. Ich komme also da
hinauf und will durch das Tourniquet; fährt
mich gleich der Beamte an, ob ich denn schon im
Linrcichungsprotokoll war; als ob ich bereits
Hundertemal hier gewesen wäre; diese Beamten
glauben wirklich, das Publikum sei ihret-
wegen da!

„Sic können doch ein wort sagen," brummte
ich ärgerlich.

Aber der Kerl wurde grob.

„Können Sie vielleicht nicht le-
fcu ? Pier stchts in 267 leben-
den und todten Sprachen aus-
geschrieben !"

,',<Sut! Gut!" Ich also in's
Protokoll. perr Gott, da gab's
Bücher! Natürlich mußte ich
wieder warten und nenne end-
lich Namen und Stand; der eine
Engel nimmt gleich den Schrift-
steller-Schematismus her und
fängt an, furchtbar zu blättern.

„Aarestrup, Anzengruber, Arndt

_" Schließlich findet er mich.

Liest und liest, dann schaut er
mich streng an und sagt: „Ir-
ren Sie sich nicht? Sie wollen
itt’tt Pimmel?" Dann ruft er
einige Eollegen, alle gucken in,
das Buch, lesen und halten sich
den Bauch.

„Der will in'n Pimmel!"
und zeigen über die Schulter
mit dem Daumen auf mich.

„Meine perren!" sagte mei-
ne Seele etwas piquirt.^ „Ich
halte den Augenblick für Scherze
nicht besonders geeignet." „Nein,
nein!" meinte sarkastisch ein
Gberengcl. „Sie haben sich wohl
in der Richtung geirrt. Sie woll-
ten hinunter, nicht herauf?"

Ueber diesen Witz lachten die
llntcrengcl höllisch. Anfällig
trat in diesem Augenblick aus
dem Nebenraum ein sehr wür-
diger alter Engel heraus; er
hatte einen breiten goldenen
Kragen an seinen: weißen flie-
genden Gewände, und schien
über den unpassenden Lärm
sehr empört zu sein. Liner der
Registratursengel rapportirte
ihm dienstbeflissen. „Diese arme
Seele wollte einen Passierschein
haben. Es ist blos ein Schrift-
steller. Sie werden ihn nicht
kennen, aber der hat Sachen ge-
schrieben ! Nichts als Liebes-
geschichten! Das Frivolste, was

Sie sich denken können. Ich habe zufällig
Einiges gelesen; nicht ohne Talent, stellenweise
sogar mit pumor, aber sonst — ich sage Ihnen,
schrecklich!"

Der alte würdige Engel warf mir über die
Brille einen strafenden Blick zu. Meine Seele
machte ihm eine tiefe Verbeugung und stam-
melte: „Excellenz, bitte gütigst zu entschuldigen.
Wenn ich damals die geringste Ahnung ge-
habt hätte.... Es thut mir herzlich leid."
Ich war wirklich erschüttert und tiefe Reue
faßte mich. Meine Zukunft lag im trübsten
Lichte vor mir. Traurig wandte ich mich zum
Gehen, plötzlich rief mich der alte perr zurück.
Lange sah er mich durchdringend an (was aller-
dings bei meinem Zustand gar nicht schwer
war), dann sagte er: „Junger Mann, ich will
sehen, was ich für Sie thun kann. Vielleicht
sinde ich einen Ausweg. Wenn Sic aufrichtig
bereuen und die Pimmelsgabe, die Ihnen ver-
liehen ist, von nun an in den Dienst der guten
Sache .. . ." „Aber, Erccllcnz," rief ich, „ich
bin zu Allem bereit. Verfügen Sie über mich;
ich schreibe, was Sie wollen; Erzählungen für
reifere Engel..."

„Nehmen Sie die Generalien mit dem Manne
auf," befahl der alte Engel. Und so kam alles
in's Protokoll: Geburts- und Sterbejahr, Vrt,
Land, Charakter, nirgends ein Anstand ; nur als

mich der Engel nach der Lonfesfion fragte,
stockte ich ein wenig und flüsterte ihm die Ant-
wort in das Ghr. „Teufel! Teufel!" sagte der
alte Engel, kratzte sich hinter dem Flügel und
schlenkerte dann mit der pand, daß der Zieige-
fingcr auf dem Daumen schnalzte. „Das ist doch
kein schlechter Witz von Ihnen? wissen Sie,
das Beste ist, wenn wir die Sache verheim-
lichen. Und Ihr! Daß Ihr mir reinen Mund
haltet!" Und drinnen war ich.

Wie gesagt! schildern darf ich gar nicht.
Stellt Luch vor, was Ihr wollt, ich will ja nur
meine Erlebnisse mittheilen. „Kommen Sie mit
mir zum Chefredakteur!" sagte der alte Engel.

Sapermcnt, der sah aber imponirend aus:
so einen hatte ich noch nie gehabt. Prächtig
saß er vor seinem Pult mit herrlichen Flügeln
am Rücken. Eben rupfte er sich eine schöne
Feder aus und schnitt den Kiel säuberlich zu.
Vor ihm lag ein inächtiges Schwert. „Aha,"
dachte ich mir gleich, „gewiß statt der Scheere.
Das ist himmlisch." Und dann wurde ich vor-
gestellt. „Doktor Gabriel, ich bringe Ihnen hier
einen Malefizkerl!" Und dann flüsterte der Alte
eine Zeit lang mit dem gebieterisch aussehen-
den Engel. Der sah mich prüfend an. „So
was könnten wir gerade brauchen. Eine kleine
Auffrischung... aber... Nun, wir werden fdjoit
mit ihm fertig werden!"

Als wir allein waren, wollte
er zuerst die ponorarfrage cr-
lcdiqen; ich fürchtete mich aber
vor Differenzen und meinte,
man möge erst meine Leistungen
abwartcn. Er wurde daraufhin
freundlicher und sagte: „Wir
haben hier eine teuflische Kon-
kurrenz. Na, sprechen wir nicht
davon! Ich will mich nicht erst
aufregen. Und dann kommen
die Leute so verwöhnt zu uns
herauf, daß man wirklich nicht
mehr weiß, was man ihnen
bieten soll. Kennen Sie viel-
leicht den „Pelikan"? Nicht?
Na egal. Jedenfalls wollen wir
dein Unterhaltnngsthcil unsres
Blattes eine erhöhte Aufmerk-
samkeit schenken. Natürlich müs-
sen Sie mit Ihren bisherigen
Grundsätzen vollständig bre-
chen. Wir müssen auf unsere
Abonnenten Rücksicht nehmen.
Sic verstehen mich doch?"

Und so zog ich denn ehrlich
in dein neuen Joch, aber merk-
würdiger Weife wollte die Ge-
schichte nicht gehen. Mit den
Correspondenzcn, die ich zu re-
digiren hatte: „Von der Venus
schreibt man uns" oder: „Wie
uns ein gelegentlicher Corre-
spondcnt vom Mars berichtet",
war der Chef zufrieden. Aber
mit meinen eigenen Sachen gab
cs lauter Anstände. Ich wußte
mir nicht mehr zu helfen. Die
harmlosesten Dinge erfand ich,
aber aus jeder Suppe zog marr
einige paare, die ich vorher mit
freiem Auge gar nicht bemerkt
hatte. Für diese Untersuchungen
gab es ein eigenes Bureau in
der Redaktion; an seiner Spitze
stand ein ehemaliger deutscher
Professor, der den Titel „Vbcr-
zwcidcutcr" trug urrd sich be-
reits auf der Erde durch ein
Werk „Dreimal hoch die Poesie!"
unsterblich gemacht hatte. Jedes
Wort wurde mit einer kleinen

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Register
Walter Püttner: Ein Stück Alt-München
R. M. Austerlitz: Die Abonnenten
 
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