Nr. 24
JUGEND
1899
Die Bazillen-Tante
Auf dem kürzlich in Berlin abgehaltenen Tuberkulosekongress wurde
konstatirt, dass selbst der Allergesündeste durch die im Strassenstaub ent-
haltenen Bazillen brustkrank werden kann. Wir empfehlen daher dem näch-
sten Kongress, der oben abgebildeten, höchst gefährlichen, staub-
aufwirbelnden lebendigen Strassenkehrmaschine energisch auf den
Leib zu rücken, — besonders auch wegen der armen Dienstboten, die
daheim die Schleppe der Gnädigen ausbeuteln müssen.
Uenzel und die berliner Zecession
Er dachte ganz gewiß nicht niedrig — Im Gegentheil: vielleicht an
Friedrich — Den Großen dacht' er intensiv, — Als er den neuen Aunst-
anbctern — Berlins: den Secessions-Vertretern — Sein Ja-Wort laut
entgegenrief. — Die gingen heim im Wahn, man dürfe — Nunmehr
auch Bilder und Entwürfe — Ausstellen Seiner Excellenz, — Damit
beim jugendfrischen Neuen, — Daran das Herz sich kann erfreuen, —
Auch das bewährte Alte glänz'. — Als aber aus dem Zeitungs»
blatte — Herr Menzel dann erfahren hatte, —• Was man zu thun
gesonnen sei, — Da fand er dieses eigenmächtig — Um nicht zu sagen:
niederträchtig — Und rief die Tante voß herbei; — Daß sie vor aller
Welt erkläre: — Ganz ohne seinen Willen wäre — Gerathen er zur
Secession. — Er habe dieser nichts bewilligt, — Nichts zugestanden,
nichts gebilligt — Kurzum: er wisse nichts davon. — Beschuldigt
so der Rechtsverkürzung — Begab sofort sich voll Bestürzung — Zu
Ulenzel nun das Eomitö, — Um sein Gedächtniß zu beleben. — Er
spricht: „Ach j». — die Schleier heben — Sich mir, da ich Sie wieder-
seh !" — Der alte Herr läßt im Journale — Aufklären dann die sehr
fatale Geschichte: „Ja, ich hab's gethan. — Mein Wort wird
keinesfalls gebrochen — Es bleibt dabei, was ich versprochen, —
Als ich zerstreut war momentan." — Worauf die Seccssionsgemeinde
— Sich stramm zu dem Beschluß vereinte: — „was man verspricht,
wenn man zerstreut, — Verschmähen wir, und wir beschließen: — ,Der
Menzel wird zurückgewiesen' — wir danken sehr — es thut uns leid!"
Moral:
Bisweilen wird gar sehr bereut heut. — was wir in plötzlicher Zer-
streutheit — vorgestern allzuschnell vollbracht. — Der Ausgang ist dann
meist ein schlimmer — Und üble Folgen bringt fast immer — Das
vorgethan und Nach bedacht! wnio
Liebe Jugend! Es wundert nüch, daß Du fröhlich fortfährst,
die deutschfeindlichen Machenschaften der sogenannten „Friedens-
freunde" (und namentlich der -innen) mit dem Zuckerguß Deines
Humors zu überziehen, statt ihnen mit bitterem Ernst entgegeuzu-
treten. Hast Du nicht die beiden Briefe von Bertha v. Suttner und
Leo Tolstoi gelesen, die Herr Maximilian Harden gleich hinterein-
ander in einer Nummer seiner „Zukunft" abgedruckt hat? Nun, von
dem Eiertanz des russischen Exgrafen will ich gerne schweigen. Dieser
unverantwortliche Greis lebt in seiner Duchoborzenwclt wie Petrus bei
den Engeln und scheert sich den Teufel um die schnöde Wirklichkeit; es
ist ihm ganz einerlei, ob er durch seine Verherrlichung der Militärdienst-
verweigerer eine Anzabl von feigen Schwachköpfen dazu verführt, eines
der widerlichsten, unmännlichsten Staatsverbrechen zu begehen. Oder ist
es kein Bild des Jammers, wenn ein bärtiger Jüngling—dem Sup-
penkasvnr gleich — sich wie unsinnig gebärdet und schreit: „Ich trage
meine Waffen nicht; nein, meine Waffen trag ich nicht!?" Merkwür-
diges Land, wo die unaufhörlichen militärischen Expeditionen nach dem
Osten von solchen Weckrufen nach dem Westen begleitet werden dürfen.
Viel bedenklicher aber erscheint mir, als unverbesserlichem Deut-
schen, das Treiben der Frau von Sitttner. Sie soll eine char-
mante Dame von deutscher Bildung sein, sie schreibt ein artiges
Deutsch, aber das scheint ihr nicht Muttersprache im vollsaftigen
Sinne des Wortes, sondern nur internationale „Vermittlungssprache"
zu fein- Bei Licht besehen, richten sich nämlich ihre Bestrebungen
ganz direkt gegen das deutsche Reich. Sie greift unseren
Kaiser an, angeblich weil er den Krieg für unvermeidlich halte.
Warum gerade ihn? Eben zur rechten Zeit hören wir, daß ein
französischer General vor Gericht den Revancheschreihals Döroulede
für den Grenzdienst im nächsten Kriege reklamirt, und daß das Ge-
richt diesen blutwürstigen Dütcrich von dem offenbaren Verbrechen
des Hochverrates freigesprochen hat, — nicht obschon, son-
dern weil er der größte Deutschenfresser, Boulangist und Kriegs-
brüller ist. Dorthin sollte Frau v. Suttner ihre Friedensschalmei
richten, — oder aber, wenn ihr Paris zu fern liegt, dann sollte
sie mit ihrer mannhaften Feder für das gucke uralte Staats-
und Kulturrecht der Deutschen in Oe st erreich eintreten
und die deutsche Bündnißfähigkeit dieses ewig deutschen
Staates verstärken. Denn der Krieg wird in Europa nur verhindert
und ist bisher nur verhindert worden durch die starke Kriegs-
bereitschaft der Deutschen, und jedes Absihwcnken von
dieser unbedingt zuverläßigen Schntzwache des Friedens
kann nur wett gemacht werden durch eine entsprechende Verstärk-
ung unserer Rüstung. Das Duchoborzenthum findet keinen Wider-
hall in deutschen Männerherzen. Wir Deutsche wollen keinen Krieg,
aber wir meinen: „Nichtswürdig ist die Nation, die nicht ihr Alles
freudig setzt an ihre Ehre!" Schorsch.
Das Fahrrad als «Mttgeil!«-Mttel
Prof. vr. Delbrück hielt auf dem Rieler evangelisch-sozialen Lon-
greß folgende begeisterte Lobrede
auf das Fahrrad:
„Ich kann Ihnen jetzt mittheilcn,
daß mir das Verständnis; für die
Lösung der sozialen Frage aufge-
gangen ist. Ich kann es Ihnen
mit einem Worte sagen: Ich bin
seit zwei Jahren Radfahrer. Im'
Vclozipcd liegt die Zukunft des Volkes. Ein Redner hat die Lösung
der sozialen Frage in der Beseitig-
ung der Trunksucht erblickt. Auch
darin schafft das Rad Wandel.
Rein Radfahrer ist Alkoholist. Das
»verträgt sich nicht.
Auch die Wohnungsfrage, ein so
wichtiges Rapitel der sozialen Frage,
löst das Rad. Geben Sic den jungen
Leuten ein Rad und sie fahren hin-
aus und haben kein Interesse, sich
mit sozialdemokratischen Versammlungen abzugcbcn. Beinahe habe ich
schon 2lngst, daß der ganze Longrcß
morgen überflüssig ist. Da wir aber
noch nicht soweit sind, daß Jeder
sein Huhn im Topfe hat und sein
Fahrrad im Flur, werden wir uns
doch wohl noch morgen mir ernsten
Bcrathungcn abgcbcn müssen."
Der Here Professor Delbrück
scheint die soziale Frage doch zu
sehr durch die rosige Brille des
Fahrrades anzusehcn I
%QO
JUGEND
1899
Die Bazillen-Tante
Auf dem kürzlich in Berlin abgehaltenen Tuberkulosekongress wurde
konstatirt, dass selbst der Allergesündeste durch die im Strassenstaub ent-
haltenen Bazillen brustkrank werden kann. Wir empfehlen daher dem näch-
sten Kongress, der oben abgebildeten, höchst gefährlichen, staub-
aufwirbelnden lebendigen Strassenkehrmaschine energisch auf den
Leib zu rücken, — besonders auch wegen der armen Dienstboten, die
daheim die Schleppe der Gnädigen ausbeuteln müssen.
Uenzel und die berliner Zecession
Er dachte ganz gewiß nicht niedrig — Im Gegentheil: vielleicht an
Friedrich — Den Großen dacht' er intensiv, — Als er den neuen Aunst-
anbctern — Berlins: den Secessions-Vertretern — Sein Ja-Wort laut
entgegenrief. — Die gingen heim im Wahn, man dürfe — Nunmehr
auch Bilder und Entwürfe — Ausstellen Seiner Excellenz, — Damit
beim jugendfrischen Neuen, — Daran das Herz sich kann erfreuen, —
Auch das bewährte Alte glänz'. — Als aber aus dem Zeitungs»
blatte — Herr Menzel dann erfahren hatte, —• Was man zu thun
gesonnen sei, — Da fand er dieses eigenmächtig — Um nicht zu sagen:
niederträchtig — Und rief die Tante voß herbei; — Daß sie vor aller
Welt erkläre: — Ganz ohne seinen Willen wäre — Gerathen er zur
Secession. — Er habe dieser nichts bewilligt, — Nichts zugestanden,
nichts gebilligt — Kurzum: er wisse nichts davon. — Beschuldigt
so der Rechtsverkürzung — Begab sofort sich voll Bestürzung — Zu
Ulenzel nun das Eomitö, — Um sein Gedächtniß zu beleben. — Er
spricht: „Ach j». — die Schleier heben — Sich mir, da ich Sie wieder-
seh !" — Der alte Herr läßt im Journale — Aufklären dann die sehr
fatale Geschichte: „Ja, ich hab's gethan. — Mein Wort wird
keinesfalls gebrochen — Es bleibt dabei, was ich versprochen, —
Als ich zerstreut war momentan." — Worauf die Seccssionsgemeinde
— Sich stramm zu dem Beschluß vereinte: — „was man verspricht,
wenn man zerstreut, — Verschmähen wir, und wir beschließen: — ,Der
Menzel wird zurückgewiesen' — wir danken sehr — es thut uns leid!"
Moral:
Bisweilen wird gar sehr bereut heut. — was wir in plötzlicher Zer-
streutheit — vorgestern allzuschnell vollbracht. — Der Ausgang ist dann
meist ein schlimmer — Und üble Folgen bringt fast immer — Das
vorgethan und Nach bedacht! wnio
Liebe Jugend! Es wundert nüch, daß Du fröhlich fortfährst,
die deutschfeindlichen Machenschaften der sogenannten „Friedens-
freunde" (und namentlich der -innen) mit dem Zuckerguß Deines
Humors zu überziehen, statt ihnen mit bitterem Ernst entgegeuzu-
treten. Hast Du nicht die beiden Briefe von Bertha v. Suttner und
Leo Tolstoi gelesen, die Herr Maximilian Harden gleich hinterein-
ander in einer Nummer seiner „Zukunft" abgedruckt hat? Nun, von
dem Eiertanz des russischen Exgrafen will ich gerne schweigen. Dieser
unverantwortliche Greis lebt in seiner Duchoborzenwclt wie Petrus bei
den Engeln und scheert sich den Teufel um die schnöde Wirklichkeit; es
ist ihm ganz einerlei, ob er durch seine Verherrlichung der Militärdienst-
verweigerer eine Anzabl von feigen Schwachköpfen dazu verführt, eines
der widerlichsten, unmännlichsten Staatsverbrechen zu begehen. Oder ist
es kein Bild des Jammers, wenn ein bärtiger Jüngling—dem Sup-
penkasvnr gleich — sich wie unsinnig gebärdet und schreit: „Ich trage
meine Waffen nicht; nein, meine Waffen trag ich nicht!?" Merkwür-
diges Land, wo die unaufhörlichen militärischen Expeditionen nach dem
Osten von solchen Weckrufen nach dem Westen begleitet werden dürfen.
Viel bedenklicher aber erscheint mir, als unverbesserlichem Deut-
schen, das Treiben der Frau von Sitttner. Sie soll eine char-
mante Dame von deutscher Bildung sein, sie schreibt ein artiges
Deutsch, aber das scheint ihr nicht Muttersprache im vollsaftigen
Sinne des Wortes, sondern nur internationale „Vermittlungssprache"
zu fein- Bei Licht besehen, richten sich nämlich ihre Bestrebungen
ganz direkt gegen das deutsche Reich. Sie greift unseren
Kaiser an, angeblich weil er den Krieg für unvermeidlich halte.
Warum gerade ihn? Eben zur rechten Zeit hören wir, daß ein
französischer General vor Gericht den Revancheschreihals Döroulede
für den Grenzdienst im nächsten Kriege reklamirt, und daß das Ge-
richt diesen blutwürstigen Dütcrich von dem offenbaren Verbrechen
des Hochverrates freigesprochen hat, — nicht obschon, son-
dern weil er der größte Deutschenfresser, Boulangist und Kriegs-
brüller ist. Dorthin sollte Frau v. Suttner ihre Friedensschalmei
richten, — oder aber, wenn ihr Paris zu fern liegt, dann sollte
sie mit ihrer mannhaften Feder für das gucke uralte Staats-
und Kulturrecht der Deutschen in Oe st erreich eintreten
und die deutsche Bündnißfähigkeit dieses ewig deutschen
Staates verstärken. Denn der Krieg wird in Europa nur verhindert
und ist bisher nur verhindert worden durch die starke Kriegs-
bereitschaft der Deutschen, und jedes Absihwcnken von
dieser unbedingt zuverläßigen Schntzwache des Friedens
kann nur wett gemacht werden durch eine entsprechende Verstärk-
ung unserer Rüstung. Das Duchoborzenthum findet keinen Wider-
hall in deutschen Männerherzen. Wir Deutsche wollen keinen Krieg,
aber wir meinen: „Nichtswürdig ist die Nation, die nicht ihr Alles
freudig setzt an ihre Ehre!" Schorsch.
Das Fahrrad als «Mttgeil!«-Mttel
Prof. vr. Delbrück hielt auf dem Rieler evangelisch-sozialen Lon-
greß folgende begeisterte Lobrede
auf das Fahrrad:
„Ich kann Ihnen jetzt mittheilcn,
daß mir das Verständnis; für die
Lösung der sozialen Frage aufge-
gangen ist. Ich kann es Ihnen
mit einem Worte sagen: Ich bin
seit zwei Jahren Radfahrer. Im'
Vclozipcd liegt die Zukunft des Volkes. Ein Redner hat die Lösung
der sozialen Frage in der Beseitig-
ung der Trunksucht erblickt. Auch
darin schafft das Rad Wandel.
Rein Radfahrer ist Alkoholist. Das
»verträgt sich nicht.
Auch die Wohnungsfrage, ein so
wichtiges Rapitel der sozialen Frage,
löst das Rad. Geben Sic den jungen
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aus und haben kein Interesse, sich
mit sozialdemokratischen Versammlungen abzugcbcn. Beinahe habe ich
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morgen überflüssig ist. Da wir aber
noch nicht soweit sind, daß Jeder
sein Huhn im Topfe hat und sein
Fahrrad im Flur, werden wir uns
doch wohl noch morgen mir ernsten
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Der Here Professor Delbrück
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