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Nr. 25

JUGEND

1899

Konkurrenten Max Bernuth (München)

Der Gaukler

eftern huschte ein bekanntes Gesicht auf der
Straße an mir vorüber. Es war blaß
und hatte einen müden Ausdruck, aber die Züge
waren scharf und markirt.

Ich kannte seinen Namen nicht. Ich war sicher,
daß ich ihn irgend einmal gesehen hatte, vielleicht
vor sehr langer Zeit, aber ich konnte mich nicht
erinnern, wann oder unter welchen Umständen.

Sein Gesicht hatte mein Interesse erweckt,
ohne daß ich mir erklären konnte, warum, und
ich grub allerlei alte Reminiseenzen aus der
Schatzkammer meiner Erinnerung ans, um seine
Jdcndität festzustellen, jedoch vergebens.

Am Abend war ich im Theater, da sah ich
ihn zu meiner Ueberraschung auf der Bühne
ivieder, in einer Nebenrolle, Er war nur leicht
maskirt, ich erkannte ihn sogleich und suchte
auf dem Theaterzettel nach seinem Namen, Ich
fand ihn, aber er war mir unbekannt. Ich
folgte mit gespanntem Interesse seinem Spiel.
Er stellte einen armen, dummen und lächer-
lichen Bedienten vor, den Alle zum Besten
hielten. Die Nolle war ebenso elend wie das
Stück, und er spielte sie eingelernt und eon-
ventionell; aber seine Stimme bekam manchmal
eine bittere und scharfe Klangfarbe, die nicht
zur Rolle gehörte.

Sie klangen mir im Ohr, diese Betonungen,
noch spät Nachts, als ich in meinem Zimmer
auf- und abging. Und mit ihrer Hilfe gelang
es mir schließlich, die Erinnerung anszngraben,
mit der er znsammenhing. Ich fand, daß wir
Schulkameraden gewesen waren; aber er war
damals viele Jahre jünger als ich,

* * *

Als ich in die oberste Klasse der Schule
ging, stand ich eines Tages gegen Schluß der
Frühstückspause am Fenster. Die Freistunden
hatten für mich ihren ganz besonderen Spleen:
ich konnte nichts vornehmen. Ich wußte, daß
ich meine Lektion nicht konnte und war doch
nicht im Stande, sie zu überlesen. Das bischen
Unruhe, das ich vor der nächsten Stunde spürte,
wurde immer von einer größeren betäubt, von
der Unruhe vor dem Leben, von bent nagenden
Vorgefühl, daß die Tage, die meiner harrte»,
ebenso leer und bedeutungslos werden würden,
wie die vergangenen....

So ging ich auf und ab, die Hände in
den Jackentaschen, und konnte nichts thnn,

und hin und wieder blieb ich bei dem Fenster
stehen, das offen war. Beim Hinansschanen
wurde meine Aufmerksainkeit von einem eigen-
thümlichen Auftritt gefesselt, der sich eben
im Hofe abspielte. Ein kleiner Junge ans
einer der untersten Klassen lag auf dem Rücken
ansgestreckt, von einem großen Kreise anderer
Buben umgeben. Ihre Gesichter, die der
Meisten wenigstens, hatten jenen Ausdruck bos-
hafter Neugierde, den Kinder und Ungebildete
nicht zu verbergen wissen. Ein kleiner, breit-
schulteriger Bursche mit hervorstehenden Backen-
knochen, der den Eindruck machte, sehr stark
für sein Alter zu sein, stand innerhalb des
Ringes mit einem Stab in der Hand.

„Du bist mein Sklave," sagte er zu dem
Knaben auf dem Boden, „Bist Du das nicht?
Sage: Ich bin Dein Sklave!"

„Ich bin Dein Sklave," antwortete das
Kind, olme zu zögern; man hörte, daß es das
nicht zum ersten Male sagte,

„Steh auf!" kommandirte der Andere.

Der Knabe erhob sich.

„Mache B, nach, wie er anssieht, wenn er
in die Klasse kommt."

V, war ein Lehrer, der auf Krücken ging.
Der Knabe mackite ein paar Schritte ans dem
Kreis heraus, der sich öffnete, um ihm Platz
zu machen: dann ging er zurück i» die im-
provisirte Bühne und führte dabei mit Armen
und Beinen dieselben Bewegungen ans, wie
ein' Mann, der auf Krücken geht. Er machte
seine Sache sehr macker; die Illusion war voll-
ständig, und die Zuschauer jubelten, aber der
kleine Schauspieler stand ernst da. Er hatte ein
bleiches kleines Gesicht und schwarze Kleiber, viel-
leicht hatte er kürzlich Vater oder Mutter verloren.

„Lache!" kommandirte der Andere mit einem
leichten Klatschen der Gerte, die er in der Hand
hatte. Der Kleine versuchte zu gehorchen, aber
es ging nicht leicht. Sein Lachen klang im An-
fang gezwungen, aber es währte nicht lange,
so war es ihm geglückt, sich in ein wirkliches,
vollkommen natürliches Lachen hineinznlachen,
und er wandte sich dabei an seinen „Herrn",
als ob er über ihn lachte. Aber diesen ge-
lüstete es schon, seinen Sklaven neue Künste
zeigen zu lasse»,

„Sag: Mein Alter ist ein verflixter Schafs-
kopf," Der Knabe sah sich im Kreise um, mit einem
hilflosen Blick, Als er merkte, daß keiner Miene
machte, ihm zu helfen, daß Alle vielmehr in

der gespannten Erwartung von etwas recht
Lustigem dastanden, sagte er so leise, wie er
es nur wagen durfte:

„Mein Alter ist ein verflixter Schafskopf."

Ein grenzenloser Jubel entstand,

„Lache! — Weine!"

Der Knabe begann Weinen nachznahmen,
aber auch jetzt kam er in die Gemüthsbewegnng,
die er spielen sollte. Ein Schluchzen drang ans
seiner Kehle, und er weinte wirkliche Thränen.

„Laßt ihn gehen," sagte ein älterer Knabe
aus dem Ring, „der weint ja wirklichI" Und
im selben Augenblick läutete die Schnlglocke. —

Einige Tage später lief er auf dem Wege
von der Schule an mir vorbei.

Ich merkte, daß seine Jacke am Rücken
hinanfgeschlüpft war,

„Warte ei» wenig," sagte ich zu ihm, „Deine
Jacke ist Dir den Rücken hinaufgeschliipft,"

„Nein," sagte er, „sie ist nicht hinanfge-
schlüpft, sie haben sie mit einem Federmesser
zerschnitten,"

„Haben sie Dir auch das Buch da be-
schmutzt?" fragte ich, „Ja, sie haben es in
den Rinnstein geworfen."

„Warum sind sie so schlecht gegen Dich?"

«Ich weiß nicht. Sie sind stärker als ich."

Er wußte keinen anderen Grund, Aber
das war wohl nicht das Einzige: es mußte
etwas in ihm liegen, was sie reizte. Ich sah
ihm an, daß er nicht war, wie die Anderen,
Die Ausnahme, die Abweichung, reizt immer
die Kinder und den Pöbel, Die Exeentrieitäten
eines Schuljungen werden vom Lehrer mit einer
gutgemeinte» Ermahnung oder einem trockenen
satirische» Altenherrenlächeln bestraft; aber die
Kameraden bestrafen so etwas mit Püffen und
Stößen und blutiger Nase, mit zerschnittener
Jacke, sorglich unter eine Dachtraufe gelegter
Mütze und in den Rinnstein geschmissenen
schönen Büchern,

* * *

Er ist also Schauspieler jetzt; das war wohl
eigentlich Prädestination, Er spricht jetzt von
der Bühne zu einem großen Publikum, Es wäre
sonderbar, wenn er nicht einmal durchschlagen
sollte; ich glaube, daß er Begabung hat. Viel-
leicht wird er dann so nach und nach seine
Ausnahme in ein Paradigma verwandeln, nach
dem Andere versuchen, sich zu biegen, als be-
scheidentliche, regelmäßige Verba,

Djalmar Söderberg

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Hjalmar Söderberg: Der Gaukler
Max Bernuth: Konkurrenten
 
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