1899
JUGEND
Nr. 25
Wie sie nun dastand in dem Empfangs-
Zimmer der Frau Generalin, eingepfercht
zwischen Brokat-Toiletten und Uniformen, und
er noch immer nicht erschien, kam sie sich über-
aus unnütz und verlassen vor. Keiner der Gaste
kannte sie mehr recht: wenige hielten cs der
Mühe werth, sie mit einer höflichen Phrase an-
znsprechen; sie war sich wohl bewußt, hier für
nichts anderes gehalten zn werden als für eines
der älteren Mädchen, die nothwendig mal mit
eingeladen werden müssen.
Sie dachte: ,wie mag unser Frank Larisch
nur an diese Leute gerathen sein? Er könnte
doch ebenbürtigere Gesellschaft finden. Sank
unter den Propheten!'
Da trat er herein. — Das erste, was Anna.
Böckh ansfiel, war, das; er einen tadellos sitzen-
den ont away trug. Sie kannte ihn in allen
möglichen und unmöglichen Flans-Röcken, aber
im GesellschaftS-Anzng und noch dazu in einem
von solch bewußter Tadellosigkeit, hatte sie ihn
noch nie gesehen. Das war ihr säst ärgerlich.
Und nun beobachtete sie mit wachsender Ver-
blüffung , daß er der Frau vom Hanse unter
tiefer Verbeugung — er, der radikalste aller
Umstürzler — die dicken Finger küßte, dann den
übrigen Matronen sich znwandte, ersterbend in
Unterwürfigkeit, darnach den jungen Mädchen,
scherzend und neckisch, als angenehmer Schwere-
nöther! Alle kannten ihn und freuten sich offen-
bar, ihn zu sehen. Die jungen Offiziere schüttelten
ihm die Hand, horchten ans, wenn er sprach und
stimmten lächelnd zu, voll seltener Bescheidenheit.
Nur ein paar alte Rcgiernngsrathe betrachteten
ihn mißgünstig. Sie allein schienen an seine
Harmlosigkeit nicht recht glauben zu wollen.
Aber soviel ließ sich erkenne», daß er ein gern
gesehener Gast war, noch dazu einer, den man
als Persönlichkeit schätzte, nicht bloß als Tanz-
bein oder als Partie; denn er besaß ja weder
Reichthümer, weder Namen noch Stellung.
Natürlich war er, wie zn jeder feierlichen
Veranstaltung, als Letzter gekommen. Man
hatte sogar ans ihn gewartet. Der Sohn vom
Hanse, der mit dem Tisch-Ordnnngs-Zettel, ganz
Kammerherr vom Dienst, zwischen den Herr-
schaften nmhcrstrich, flüsterte ihn; rasch noch den
Namen seiner Dame zn. Dann setzte sich der
Zng nach dem Speisezimmer in Bewegung. Seine
Freundin Anna Böckh konnte Larisch
nur im Vorübergehen begrüßen.
Er saß am oberen Ende der Tafel
zwischen zwei alten Stists-Damen, die
er sofort in eine sehr animirte Unter-
haltung verwickelte. Anna Böckh war
bei der Jugend nntergebracht; da sie
für etwas exzentrisch galt, so hatte man
ihr einen älteren Maler und einen
musikalischen Leutnant zn Nachbarn
gegeben. Beide bemühten sich redlich
um sie. Nachdem sie jedoch sestgestellt
hatte, daß der eine Professor der Düssel-
dorfer Histvrienklassc, der andere Ver-
ehrer von Operettenmelodien war,
nahm sic ihre verbittertste Einsilbig-
keit an. Es interessirte sic viel mehr
zn horchen, was wohl Larisch dort
drüben znm Besten gab. Er behandelte
— sie tränte ihren Ohren kaum —
den neuesten Hofklatsch, ließ sich die
Verlobnngsgeschichte der Prinzessin X.
erzählen und zeigte lebhaftes Bedau-
ern, als er vernahm, daß es immer
schwerer werde, mit den männlichen
Dienstboten ansznkommen. Die Ge-
nerali» selbst schilderte ihm das un-
gebührliche Auftreten ihres Gärtners
in den grellsten Farben. Von den
modernen Dienstboten sprang das Ge-
spräch ans das Moderne im Allgemei-
nen über, und Anna Böckh mußte mit
anhören, daß Larisch dieses Thema keineswegs
ablehnte, vielmehr freundlich lächelnd sein Urthcil
anssprach, seine Perlen vor diese Gesellschaft warf.
Ans die fürchterlichsten Banalitäten ging er ganz
verbindlich ei»: als die älteste aller StistSdame»
erklärte, daß die Kunst doch erheben und erfreuen
solle, ließ er sich dazu herbei, diese Wirkung an
bekannten neueren Werken nachznwcisen.
Ein junges Mädchen voller Niedlichkeit und
Unschuld, das ihm schräg gegenüber saß, eiröthcie
bei jedem seiner Sätze nud faßte sich endlich,
mit Pnrpnr übergossen, das Herz, von ihren
eignen Eindrücken zn sprechen: ja, sie habe ganz
dasselbe empfunden; etwas mcrkwürdigErgrcifcn-
dcs müsse in dem Bilde liegen. — Anna Böckh
dachte: ,was bildet die Kleine sich ein? und
warum wird sic so dumm roth? wahrscheinlich,
weil sie von diesen Sachen nichts versteht!' Nun
aber richtete Larisch das Wort direkt an die
Kleine, mit einer solchen Herzlichkeit und Güte,
daß Fräulein Böckh anfing, an seiner Nüchtern-
heit zn zweifeln: vorhin erst hatte er mit eben
diesem Gänschen gescherzt, gekälbert wie ein
Fähnrich; jetzt zeichnete er es ans wie eine
geistes-verwandte Freundin. In Anna Böckh
befestigte sich die Ueberzengnng, daß selbst die
freiesten und differenzirtesten Männer im Grunde
Barbaren blieben, rohe Instinkt-Wesen, mit dem
unausrottbaren Zng zur Selbsterniedrigung.—
Sobald die Tafel aufgehoben war, eilte
Larisch mit ansgestrecktcn Händen ans seine
Freundin zu und führte sie nach einer Ecke, in
der sie ungestört plaudern konnten.
„Wie geht's? was treiben Sie?" fragte er
aufgeräumt; „was macht die Franenfrage? vor
allem, wie kommen Sie in diese Gesellschaft?"
„Ja, darnach wollte ich Sie eben fragen,
bester Larisch. Ich bin bloS hier, um Sie zu
treffen."
„Na, Sic sehen doch, ich amnsire mich."
„Das sehe ich. Schlimm genug!"
„Aber warum soll ich denn nicht?"
„Ach, thnn Sie doch nicht so! — Sie hecheln
mit den Damen hier den Hofklatsch durch; Sie
lassen sich Dienstboten-Geschichten erzählen; zu
guter letzt ziehen Sie noch die ernstesten Fragen
in den Staub, unsere Fragen, an denen wir
uns das Gehirn zermartern, ohne daß eine dieser
Puppen hier je daran dächte es uns zu danken."
„Erlauben Sie, verehrte Freundin . . . so-
zusagen sind das doch auch Menschen . . ."
„Aber was für welche!"
„Nun, meinetwegen minderwerthige. Aber
sic leben doch nun einmal, und selbst wenn sie
mir vegetirten, ich freue mich an ihrer bloßen
Erscheinung, an ihren Lebensänßernngen."
„Die sich kläglich genug ansnehmen."
„Wieso? Wirken sie nicht frischer und charak-
teristischer als sic ein Künstler je bilden könnte?
Wir danken es unseren Malern und Dichtern,
wenn sie uns das alles getreulich schildern. Nun,
hier haben tvir die leibhaftigen Originale, eine
ganze Kollektion der lebendigsten Bilder."
„Langweilige, znm sterben langweilige."
„Ich weiß doch nicht," bemerkte er lächelnd;
„znm Theil — znm Theil sogar entzückende."!—
Ein Diener trat heran, um den Mokka und
den Lignenr zu serviren. Frank Larisch schlürfte
mit Behagen einen Cognac und rührte dann
still, verklärten Gesichtes, das goldene Lösselchen
in seiner Tasse. Seine Gedanken waren offen-
bar noch immer bei jenen Bildern, die er ent-
zückend fand.
„Sie gefallen sich darin," begann Fräulein
Böckh wieder, „diesen Leuten als Überlegener
Geist und Lehrer zu imponiren. Anders kann
ich es mir nicht erklären."
„Nein, das wahrhaftig nicht!" antwortete
er lachend. „Aber wenn ich schon mit Ver-
gnügen beobachte, wie Gesträuch und Bäume
treiben — die erbärmlichste Zwerg-Kiefer sehe
ich mir an, wenn sie Helle Spitzen kriegt — um
wie viel mehr die Menschen und wären's auch
nur Leutnants und alte Räthinnen; sie reden
meist verkehrt, aber sie reden doch wenigstens
ihre eigene Sprache, haben einen Stil für sich,
der entwicklungsfähig ist und den man thatsäch-
lich reifen sieht, wenn man nur ohne Verbitter-
ung die Angen anfthnt. Und schließlich —
schließlich findet man auch einmal ein ganz un-
beschriebenes Blatt; und darauf die eigenen,
meine Züge zn prägen, mit List und Gewalt
es für mich und meine Welt zu gewinnen —
das ist der Gipfel aller Lust!"
„Ja, als unbeschriebenes Blatt können Sie
mich freilich nicht mehr benützen. Mit meinen
fünfnnddreißig Jahren . . ." Anna Böckh sagte
das fast gereizt.
„O, bitte, bitte, liebste Freundin,"
entgegnete er; „je älter Sie werden,
desto höher verehre ich Sie. Wir sind
doch Freunde; dazu kann man gar
nicht alt genug sein. Glauben Sie
mir: keiner Frau werde ich je mein
intellektuelles Leben so rückhalt-
los anvertranen lvie Ihnen!"
Diese schmeichelhafte Versicherung
besänftigte Fräulein Böckh vollständig.
Und nun besprachen sie, vertrant wie
sonst, mit klarem Blick und manch
gutem Einsall die Kultur der letzten
und der nächsten Jahre. —
Man war hier bei der Generalin
so halb und halb ans dem Lande. Des-
halb galt es für gcmüthlich, nach dem
Diner noch beisammen zn bleiben bis
gegen Abend. Die Väter zogen sich ins
Rauchzimmer zurück, um die neuesten
Anekdoten anszntanschen, die junge
Welt zerstreute sich im Garten, und
Fräulein Böckh mußte sich wohl oder
Übel zn den alten Damen halten, die
ans der Veranda beim Kaffee blieben.
Dies Mal gab sie sich redlich Mühe,
an den Gesprächen theilznnehmen. Diese
Wesen als Objekte psychologischer Un-
tersuchung zn benutzen, das war schließ-
lich ein Gesichtspunkt. Die Damen er-
örterten Vorzüge und Fehler ihrer
Schneiderinnen, kamen dadurch ans
Sehnsuchtsvoll ln den Frühlingsabend flötet’ der Bocksfuss
Nach der Nymphe, doch hört leider ein Käuzchen nur zu.
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Nr. 25
Wie sie nun dastand in dem Empfangs-
Zimmer der Frau Generalin, eingepfercht
zwischen Brokat-Toiletten und Uniformen, und
er noch immer nicht erschien, kam sie sich über-
aus unnütz und verlassen vor. Keiner der Gaste
kannte sie mehr recht: wenige hielten cs der
Mühe werth, sie mit einer höflichen Phrase an-
znsprechen; sie war sich wohl bewußt, hier für
nichts anderes gehalten zn werden als für eines
der älteren Mädchen, die nothwendig mal mit
eingeladen werden müssen.
Sie dachte: ,wie mag unser Frank Larisch
nur an diese Leute gerathen sein? Er könnte
doch ebenbürtigere Gesellschaft finden. Sank
unter den Propheten!'
Da trat er herein. — Das erste, was Anna.
Böckh ansfiel, war, das; er einen tadellos sitzen-
den ont away trug. Sie kannte ihn in allen
möglichen und unmöglichen Flans-Röcken, aber
im GesellschaftS-Anzng und noch dazu in einem
von solch bewußter Tadellosigkeit, hatte sie ihn
noch nie gesehen. Das war ihr säst ärgerlich.
Und nun beobachtete sie mit wachsender Ver-
blüffung , daß er der Frau vom Hanse unter
tiefer Verbeugung — er, der radikalste aller
Umstürzler — die dicken Finger küßte, dann den
übrigen Matronen sich znwandte, ersterbend in
Unterwürfigkeit, darnach den jungen Mädchen,
scherzend und neckisch, als angenehmer Schwere-
nöther! Alle kannten ihn und freuten sich offen-
bar, ihn zu sehen. Die jungen Offiziere schüttelten
ihm die Hand, horchten ans, wenn er sprach und
stimmten lächelnd zu, voll seltener Bescheidenheit.
Nur ein paar alte Rcgiernngsrathe betrachteten
ihn mißgünstig. Sie allein schienen an seine
Harmlosigkeit nicht recht glauben zu wollen.
Aber soviel ließ sich erkenne», daß er ein gern
gesehener Gast war, noch dazu einer, den man
als Persönlichkeit schätzte, nicht bloß als Tanz-
bein oder als Partie; denn er besaß ja weder
Reichthümer, weder Namen noch Stellung.
Natürlich war er, wie zn jeder feierlichen
Veranstaltung, als Letzter gekommen. Man
hatte sogar ans ihn gewartet. Der Sohn vom
Hanse, der mit dem Tisch-Ordnnngs-Zettel, ganz
Kammerherr vom Dienst, zwischen den Herr-
schaften nmhcrstrich, flüsterte ihn; rasch noch den
Namen seiner Dame zn. Dann setzte sich der
Zng nach dem Speisezimmer in Bewegung. Seine
Freundin Anna Böckh konnte Larisch
nur im Vorübergehen begrüßen.
Er saß am oberen Ende der Tafel
zwischen zwei alten Stists-Damen, die
er sofort in eine sehr animirte Unter-
haltung verwickelte. Anna Böckh war
bei der Jugend nntergebracht; da sie
für etwas exzentrisch galt, so hatte man
ihr einen älteren Maler und einen
musikalischen Leutnant zn Nachbarn
gegeben. Beide bemühten sich redlich
um sie. Nachdem sie jedoch sestgestellt
hatte, daß der eine Professor der Düssel-
dorfer Histvrienklassc, der andere Ver-
ehrer von Operettenmelodien war,
nahm sic ihre verbittertste Einsilbig-
keit an. Es interessirte sic viel mehr
zn horchen, was wohl Larisch dort
drüben znm Besten gab. Er behandelte
— sie tränte ihren Ohren kaum —
den neuesten Hofklatsch, ließ sich die
Verlobnngsgeschichte der Prinzessin X.
erzählen und zeigte lebhaftes Bedau-
ern, als er vernahm, daß es immer
schwerer werde, mit den männlichen
Dienstboten ansznkommen. Die Ge-
nerali» selbst schilderte ihm das un-
gebührliche Auftreten ihres Gärtners
in den grellsten Farben. Von den
modernen Dienstboten sprang das Ge-
spräch ans das Moderne im Allgemei-
nen über, und Anna Böckh mußte mit
anhören, daß Larisch dieses Thema keineswegs
ablehnte, vielmehr freundlich lächelnd sein Urthcil
anssprach, seine Perlen vor diese Gesellschaft warf.
Ans die fürchterlichsten Banalitäten ging er ganz
verbindlich ei»: als die älteste aller StistSdame»
erklärte, daß die Kunst doch erheben und erfreuen
solle, ließ er sich dazu herbei, diese Wirkung an
bekannten neueren Werken nachznwcisen.
Ein junges Mädchen voller Niedlichkeit und
Unschuld, das ihm schräg gegenüber saß, eiröthcie
bei jedem seiner Sätze nud faßte sich endlich,
mit Pnrpnr übergossen, das Herz, von ihren
eignen Eindrücken zn sprechen: ja, sie habe ganz
dasselbe empfunden; etwas mcrkwürdigErgrcifcn-
dcs müsse in dem Bilde liegen. — Anna Böckh
dachte: ,was bildet die Kleine sich ein? und
warum wird sic so dumm roth? wahrscheinlich,
weil sie von diesen Sachen nichts versteht!' Nun
aber richtete Larisch das Wort direkt an die
Kleine, mit einer solchen Herzlichkeit und Güte,
daß Fräulein Böckh anfing, an seiner Nüchtern-
heit zn zweifeln: vorhin erst hatte er mit eben
diesem Gänschen gescherzt, gekälbert wie ein
Fähnrich; jetzt zeichnete er es ans wie eine
geistes-verwandte Freundin. In Anna Böckh
befestigte sich die Ueberzengnng, daß selbst die
freiesten und differenzirtesten Männer im Grunde
Barbaren blieben, rohe Instinkt-Wesen, mit dem
unausrottbaren Zng zur Selbsterniedrigung.—
Sobald die Tafel aufgehoben war, eilte
Larisch mit ansgestrecktcn Händen ans seine
Freundin zu und führte sie nach einer Ecke, in
der sie ungestört plaudern konnten.
„Wie geht's? was treiben Sie?" fragte er
aufgeräumt; „was macht die Franenfrage? vor
allem, wie kommen Sie in diese Gesellschaft?"
„Ja, darnach wollte ich Sie eben fragen,
bester Larisch. Ich bin bloS hier, um Sie zu
treffen."
„Na, Sic sehen doch, ich amnsire mich."
„Das sehe ich. Schlimm genug!"
„Aber warum soll ich denn nicht?"
„Ach, thnn Sie doch nicht so! — Sie hecheln
mit den Damen hier den Hofklatsch durch; Sie
lassen sich Dienstboten-Geschichten erzählen; zu
guter letzt ziehen Sie noch die ernstesten Fragen
in den Staub, unsere Fragen, an denen wir
uns das Gehirn zermartern, ohne daß eine dieser
Puppen hier je daran dächte es uns zu danken."
„Erlauben Sie, verehrte Freundin . . . so-
zusagen sind das doch auch Menschen . . ."
„Aber was für welche!"
„Nun, meinetwegen minderwerthige. Aber
sic leben doch nun einmal, und selbst wenn sie
mir vegetirten, ich freue mich an ihrer bloßen
Erscheinung, an ihren Lebensänßernngen."
„Die sich kläglich genug ansnehmen."
„Wieso? Wirken sie nicht frischer und charak-
teristischer als sic ein Künstler je bilden könnte?
Wir danken es unseren Malern und Dichtern,
wenn sie uns das alles getreulich schildern. Nun,
hier haben tvir die leibhaftigen Originale, eine
ganze Kollektion der lebendigsten Bilder."
„Langweilige, znm sterben langweilige."
„Ich weiß doch nicht," bemerkte er lächelnd;
„znm Theil — znm Theil sogar entzückende."!—
Ein Diener trat heran, um den Mokka und
den Lignenr zu serviren. Frank Larisch schlürfte
mit Behagen einen Cognac und rührte dann
still, verklärten Gesichtes, das goldene Lösselchen
in seiner Tasse. Seine Gedanken waren offen-
bar noch immer bei jenen Bildern, die er ent-
zückend fand.
„Sie gefallen sich darin," begann Fräulein
Böckh wieder, „diesen Leuten als Überlegener
Geist und Lehrer zu imponiren. Anders kann
ich es mir nicht erklären."
„Nein, das wahrhaftig nicht!" antwortete
er lachend. „Aber wenn ich schon mit Ver-
gnügen beobachte, wie Gesträuch und Bäume
treiben — die erbärmlichste Zwerg-Kiefer sehe
ich mir an, wenn sie Helle Spitzen kriegt — um
wie viel mehr die Menschen und wären's auch
nur Leutnants und alte Räthinnen; sie reden
meist verkehrt, aber sie reden doch wenigstens
ihre eigene Sprache, haben einen Stil für sich,
der entwicklungsfähig ist und den man thatsäch-
lich reifen sieht, wenn man nur ohne Verbitter-
ung die Angen anfthnt. Und schließlich —
schließlich findet man auch einmal ein ganz un-
beschriebenes Blatt; und darauf die eigenen,
meine Züge zn prägen, mit List und Gewalt
es für mich und meine Welt zu gewinnen —
das ist der Gipfel aller Lust!"
„Ja, als unbeschriebenes Blatt können Sie
mich freilich nicht mehr benützen. Mit meinen
fünfnnddreißig Jahren . . ." Anna Böckh sagte
das fast gereizt.
„O, bitte, bitte, liebste Freundin,"
entgegnete er; „je älter Sie werden,
desto höher verehre ich Sie. Wir sind
doch Freunde; dazu kann man gar
nicht alt genug sein. Glauben Sie
mir: keiner Frau werde ich je mein
intellektuelles Leben so rückhalt-
los anvertranen lvie Ihnen!"
Diese schmeichelhafte Versicherung
besänftigte Fräulein Böckh vollständig.
Und nun besprachen sie, vertrant wie
sonst, mit klarem Blick und manch
gutem Einsall die Kultur der letzten
und der nächsten Jahre. —
Man war hier bei der Generalin
so halb und halb ans dem Lande. Des-
halb galt es für gcmüthlich, nach dem
Diner noch beisammen zn bleiben bis
gegen Abend. Die Väter zogen sich ins
Rauchzimmer zurück, um die neuesten
Anekdoten anszntanschen, die junge
Welt zerstreute sich im Garten, und
Fräulein Böckh mußte sich wohl oder
Übel zn den alten Damen halten, die
ans der Veranda beim Kaffee blieben.
Dies Mal gab sie sich redlich Mühe,
an den Gesprächen theilznnehmen. Diese
Wesen als Objekte psychologischer Un-
tersuchung zn benutzen, das war schließ-
lich ein Gesichtspunkt. Die Damen er-
örterten Vorzüge und Fehler ihrer
Schneiderinnen, kamen dadurch ans
Sehnsuchtsvoll ln den Frühlingsabend flötet’ der Bocksfuss
Nach der Nymphe, doch hört leider ein Käuzchen nur zu.
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