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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 4.1899, Band 1 (Nr. 1-26)

DOI Heft:
Nr. 26 (24. Juni 1899)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3778#0410

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1809

JUGEND

Nr. 26

Julius Diez

Ich glaube mitten in der Welt
zu sitzen, im Bcrzcil der Schöpfung.

Rings um mich wölbt sich der lsiin-
mel, breitet sich die Erde. Die Sonne
geht vor mir unter, hinter inir
steiqt der Mond empor. Wären die Sterne
sichtbar, sie würden mich umkreisen. Ich
träume, der Mittelpunkt des Alls zu sein,
von dein Bügel, auf dem ich sitze, eilen Ströme
und Flüsse nach allen Windrichtungen; von
dort schlingen die Wege ihr Helles Band über
die Ebenen hinaus zum Borizonte. Einer läuft
schnurgerade hinein in das rothe Meer des
Sonnenuntergangs.

von dem Hügel, wo ich einsam sitze, in
Ruhe unter allein Erschaffenen, das sich stille,
unmerklich um mich dreht. Stille wie iiii Traum
— im stummen Genüsse seiner ruhigen Be-
wegung, seiner gedämpften Kraft.

Da erhebt sich ein schwacher wind irgendwo
im Walde jenseits der Ebenen. Ich höre ihn
wie fernen Donner. Ich sehe ihn wie ein
sachtes Wehen in der feinen Luft. Er nähert
sich — er schwebt über die Felder wie ein
Habicht auf ruhenden Schwingen. Er tanzt
in die Laubhaine zu meinen Füßen — da
wird Leben und Spiel laut, ich höre das Lachen
junger Stimmen erklingen, höre das Echo
tanzender Füße und die schwankenden Töne
einer Geige. Doch der Wind schlängelt sich
geschmeidig durch Hecken
und Gestrüpp — er klettert
den Ejiigcl empor —- und
als er zum Gipfel hinauf-
kommt —-eine

überströmende Fluth von
Duft, einen mächtigen
Schwarm von Tönen
streut er über inich.

Ich spanne alle Siiine aus, ich trinke Düfte und
Töne und Bilder in vollen, berauschenden
Zügen. Es breitet sich aus, es schwillt an,
ein strömeiides Meer — Düfte von frischen
Blättern, von vogelbcereir und Birke und
blühendem Faulbaum siiid die tiefe» dunklen
Gewässer, Syringen und Thallilicn sind die
leichten blauen Wellen, und Narcissen und
Jasmin der Gärten geben den prikelnden,
golduen Sonnenschein, der über die Wellen
hüpft... Eine mächtige, volltönende Syin-
phonie — über den brausenden Akkorden trillert
eine klare, sonnige Melodie — trillert und
zwitschert in Luft und belaubten Kronen. Alle
Vögel schlafen, das Lachen und die Geigenlaute
siiid verstummt — wer ist cs, der spielt? Ist
es das Rascheln in den Halmen, ist es das
Rauschen in Büschen und Blättern? Sind es
des Sommers blühende Blüthen, die singen,
der Erde üppiger, farbenreicher Zauber, der
indcr Sommernacht eine Dithyrambe des Lebens
spielt — der Wind, der Sommerwind, der sei»
hohes Lied des sprudelnden Lebens, der ewigen
Jugend summt — während die Akkorde der
Düfte den Raum durchfluthen .. .

Ich ivciß nicht, ich denke nicht. Ich triiikc
Du't und Ton und Bild, für mich singen sie,
um mich sammelt sich aller Sommerzauber der
Welt, von mir strömt er aus. . . Ich um-
arme in einer Sekunde mit all meinen Sinnen
Himmel und Erde, und es dünkt mir, daß
ich mit ihnen verschmelze, mit dem 2111 v>r-
schmelze . . . wie ich da ans dem f^ügcl liege,
am Herzen der Schöpfung — initten in der Welt.

violett in der Ferne, in saftigem
Grün hier vorne. And ganz nahe
um den Bügel ist ein Wall von
Wald. Ich sehe hinaus über die
dichten Wölbungen, die üppig reichen
Kronen.

Dort herrscht ein großes, all-
umfassendes Schweigen. Es ist eins
mit der Natur. Es schließt sich mit
einer milden blauen Schattirung an
die Kuppel des Raums und legt einen
hellgrünen bebenden Schleier über
die Ebenen. Doch in den Hainen
rings um den Bügel löst es sich in
tausend Laute, die jeder für sich
nicht vernehmbar wären, die aber
zusammen eine Musik bilden, schwach
wie die, die man im halben Schlum-
mer hört. Es rauscht int Laub,
es raschelt in den Baimett, es flüstert
und tanzt in der Stille.

Volkslieder

aus Triest und Venedig

Quando eri piccinina
Als Du noch ein kleines Mädchen,
Li, wie thatest Du so fein!
laschtest zierlich Dein Salätchen
Mit dem spitzen Gäbelein.

Doch es ändern sich die Zeiten,
2luf der Welt ist kein Bestand,
Und nun ißt Du ganz bescheiden
Die Polenta mit der Hand.

Und bin ich auch ein armes Blut,
Das kümmert mich nicht viel;

Mein Schatz der ist ein Maler,

Lr malt mir, was ich will.

Lin Seidenkleid und Goldgeschmeid,
Line Krone, wenn ich will —

Und bin ich auch ein armes Blut,
Das kümmert mich nicht viel.

Und wohn' ich oben unterm Dach,
Was mach' ich mir daraus?

Mein Schatz der ist ein Maler,

Lr malt mein Zimmer aus.

Lr malet fein mein Kämmerlein
Zum Paradiese aus —

Und wohn' ich oben unterm Dach,
Was mach' ich mir daraus?

Und hat kein Priester uns getraut,
Madonna wird verzeih'»;

Mein Schatz der ist ein tJTRaler,

Lr malt das Jesulein,

So nackt und bloß in ihrem Schooß
Das süße Jesulein —

Und hat kein Priester uns getraut,
Madonna wird verzeih'». a. mo.

Cosa m’importa
mi che non son bella

Und bin ich auch nicht schön,

nicht schön,

Das macht mir keine 7?oth;
Mein Schatz der ist ein Maler,
Lr malt mich weiß und roth.

Lr malt mich weiß, wie ein

Blüthenreis

Wie eine Rose roth —

Und bin ich auch nicht schön, nicht schön
Das macht mir keine Notiz.
Register
Julius Diez: Zeichnung ohne Titel
A. Mo.: Volkslieder aus Triest und Venedig
Fritz Rehm: Medaillon
 
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