Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben (4.1899, Band 1 (Nr. 1-26))

1899

JUGEND

Nr. 26

Hier liegt der Hund, oder vielmehr das
„höhere Feigenblatt" begraben, — cs sind
die alten horazischeu Vorurtheile,
die wir — Kultusminister und sonstige
Sterbliche — nicht mehr los werden kön-
nen. Es gibt keine Unsittsamkeit, die nicht
durch die Schönheiten irgend einer L e -
gcnde verklärt wäre. Müssen wir uns
solchen Zauberbann gefallen lassen? Wo-
zu braucht z. B. der Schwan, der auf die
Ledn znstcucrt, wirklich schwimmen zu kön-
nen? Solche und ähnliche Fragen drängen
sich dem unabhängigen Maler von selber
ans. Hier wie in so manchen Feigcnblatt-
fragen hat Meister Johann Wolsgang —
auch ein Olympier ! — den Nagel auf den
Kopf getroffen: „Die Kunst an und für
sich selbst ist edel, deshalb fürchtet sich der
Künstler nicht vor dem Gemeinen. Ja, in-
dem er es aufnimmt, ist es schon geadelt,
und so sehen wir die größten Künstler mit
Kühnheit ihr Majestätsrecht ausüben." Die
tiefsinnigen llnterstreichnngen kannst Du
selbst vornehmen. Mit dieser Formel, welche
sich in ihrem vierten Satze zu einer knnstge-
schichtlichen Apotheose erhebt, ist der neueste
Münchner Bilderstreit wie eine einfache Gleich-
ung zu lösen. Als irreduzibler Rest bleibt nur
das „Horazische Feigenblatt", das aber je nach
der Hitze, welche in den Ausstellungsräumen
herrscht, ans ein kaum störendes Minimum zu-
sammenschrumpfen kann. Ich wünsche Dir einen
recht heißen Sommer, lieber Thersites! Auf
Wiedersehen im Männerfreibad in den Jsnr-

E»! Dein Pastor

&

Der Druckfehlerteufel im Recht

In der Morgenausgabe der „Berliner Neue
sten Nachrichten" v. ((.Juni findet sich folgende
Notiz: „Nürnberg, 8. Juni. Nie zur Zeit
hier versammelte Allgemeine pastoralkon
ferenz evangelisch-lutherischer Geist
sicher Bayerns hat einstimmig eine Resolu-
tion angenommen, in welcher der Einspruch der
Geistlichkeit des Großherzogthums Mecklcnburg-
Strelitz gegen den Ronfektionswechscl der
Prinzessin Inta gebilligt wird."

L«

Der Bezirksarzt von
Triberg, Arzt der Re-
serve, erhielt zwei Tage
Stubenarrest, weil er
der Ordre zuwider nicht
auf der Commaudan-
tur erschien. Wie ver-
lautet, soll die Wöch-
nerin, die durch die un-
zeitige Geburt den Arzt
von der militärischen
Dienstpflicht abhielt, we-
gen vorsätzlicher Auf-
reizung zur Insubordina-
tion abgewandelt werde».

. Auf Sardinien hat es kii'rz-
lich ein Räuberhauptmann
durchgesetzt, daß eine Schule
geschioffen wurde, weil der
Lehrer ihm nicht genehm
war. — R. Abg. Gamp sitzt,
seitdem er das gelesen, den gan-
zen Tag über am Klavier und
singt:,Kennst Du das Land?'

Das Friedcnssouper

Zcitungsmelduug voin h. Juni: Herr von Szell und
Graf Thun sind gestern Abend nach Beendigung der
Ausglcichsverhandluugen miteinander in den Prater ge-
fahren. In „Venedig in Wien" wurde foupirt.

Bebel, der Pfuscher

Abg. Bebel: ...Last 17 Millionen Mark
sollen die Karolinen kosten. Auf diesen Inseln
wohnen etwa 46 000 Menschen. Also bezahl!
Deutschland für jeden der dortigen Einwohner
070 Mark. (Große Heiterkeit.). . .

Abg. Aich ter: ... Die Karolinengruppe wird
von uns viel zu hoch bezahlt; die Iahl der Deut-
schen ist dort so gering, daß uns jeder nicht

weniger als 170 000 Mark kostet_

(Reichstags-Sitzung vom 6. Juni.)

Mein lieber Bebel, mit Vcr-czunst —

Ich will Dich keineswegs verkleinern,

Doch in der edlen Bkörgelkunft,

Da mußt Du Dich »och sehr verfeinern.

Ich sag' cs ohne Spott und Hohn:

Du bist in Ränke», Rniffcn, Schlichen -
Besonders in der „Division" —

Ein Stümper, mit Eugen verglichen.

So dividierst Du bcispiclsweis
Durch alle Leute, die dort wohnen,

Den Rarolincn Vletto Preis
Von circa 17 Millionen.

Der nationalliberale
Abgeordnete Or. Paasch e,
bekannt durch feilte heftige
Religiosität, ist nunmehr zum
entschiedenen Lieberalis-
mus übcrgctrcteu.

Der Löwe und der ckucbs

John Bull: „Ich kann doch, weiß Gort, mein Maul weit genug auf-
rcißen, aber den dicken Burcnschädcl bring' ich, schcinr's, doch nicht hineinI"

42;

Das gibt 270 Mark
pro Ropf. wem willst Du imponieren
Mit so beschcid'ncm Ziffern-G.uark?
Man muß ganz anders dividieren.

Sich' den Eugen: der dividiert
Nicht durch die Zahl der Insulaner,

Er nimmt dafür ganz ungeniert
Blos jene braven wcgcbahner,

Die Deutschland dort bisher besitzt,

Und weiß nun schlau zu kalkulieren,
Daß das Erwerben uns nichts nützt,
weil wir dadurch nur stets verlieren.

Ja, will man wissen, wie man's macht,
Ein 2lrgumcnk herauszuschlagcn,

Daß Schwarz wird weiß — und Dag
wird Nacht —

Da muß man den Eugcnius fragen!

Loki

Zum Goethe-Iubiläums-Iahr

hat Heer L. Stilgebauer an die Stadt Lrank-
furt einen Dithyrambus gerichtet, der mit fol-
gender geschmackvollen Variante schließt:

Neige, neige
Du Bhnegleiche,

Du Strahlenreiche,

Dein Antlitz freundlich deinem Glück,
Der Frühgeliebte,

Nicht mehr Getrübte,

Er kouiiut zurück!

Warum hat der „Dichter" nicht gleich den ganzen
Schluß von der Tragödie zweitem Theil verwendet,
wie er auf obige Verse folgt? Etwa so:
Red-3elige Knaben
(In Gedanken-Sprüngen sich nähernd)

Er überragt uns hoch
An mächtigen Gliedern,

Aber er wird uns doch
Dankend erwidern.

Sind wir auch nicht einmal
Werth, ihn zu ehren,
von seinem Licht ein Strahl
Wird uns verklären!

Sine Spötterin (sonst „Jugend" genannt)
von cdlein Geisterchor umgeben,

Wird er die Thoren kaum gewahr,

Die ihm in lächerlichem Streben
Mit Phrasen räuchern, Jahr um Jahr
Er, der sich seines Geistes Reine
Gebadet in der Wahrheit Licht,

Ahnt die bedenkliche Gemeine
Der schwülstigen Schmarotzer nicht.
Vergönne mir, sie ihm zu zeigen,

Die Näscher hier au seinem Ruhm ..

Maier gloriosa poetarum

Um Pimmelswillen! willst

Du schweigen!
Er dreht sich sonst im Grabe um!

Doctor Germanicus
paltet Euch die Augen hell,
Fern von jenen Tröpfen,

Seines Geistes wnnderquell
Dankend auszuschöpfen!
wie Du auch besungen wirst
Ueberhör' den Stiebet —
Meister, Vater, Dichterfürst,
Goethe, nimm's nicht übel!

Ghorii8 mysticus

Auch dem Unendlichen
Nahen Pygmäen,

Die es mit schändlichen
Versen umkrähen.

Daß unbeschreibliches
Volk es beschrie,
was Unausbleibliches
Ist's dem Genie!

Finis Pips