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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 4.1899, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 27 (1. Juli 1899)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3779#0008
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sie beziehen sich vorzugsweise meine Betracht-
ungen und Regeln, das Resultat langjähriger
Erfahrungen. Streife indessen gelegentlich auch
„höhere Richtung." Nur keine Einseitigkeit!

* *

*

Des Dramas Würze ist der Gegensatz.

Mehr als das: Sein Lebensnerv, sein Rück-
grat, seine Respirationsorgäne. Jede starke
Wirkung auf den Gegensatz zurückzuführen.

Daher empfiehlt sich der Gegensatz beson-
ders für das „Motiv" — als seelischer (Kon-
flikt im Träger der Handlung.

Beispiele: Ehebrecher aus Gattentreue,
Schwindler aus Ehrlichkeit,
Vatermörder aus Kindesliebe,
Antisemit aus Inowrazlaw

und dergl.

Gegensatz auch im Scenischen emxfehlens-
werth. Luxus und Elend hart aneinander
gestellt. Im glänzenden Salon der Tochter
der bäuerische Vater mit doppelsohligen Rinds-
lederstiefeln. Oder im Dachstübchen der hun-
gernden Familie die Tochter, Probirmamsell,
in rauschender Seide.

Desgleichen Gegensatz in der Situation,
während im ersten Stock gehochzeitet wird,
nimmt sich xm vierten die Entlobte das Leben.

Im Dialog: Tirade in getragenem Tempo,
gefolgt von knatterndem Kreuzfeuer.

Im Ausdruck: Trauriges lachend sagen.
Scherzhaftes mit tragischem Accente. Versagt
fast nie!

In den Charakteren: Greiser, verlebter
Jüngling, begehrlich verliebte „Alte" u. dgl.

* -r-

s

Grundbedingung jedes Kaffenerfolgs: Rollen.

Am zweckmäßigsten nur eine Rolle, die
dem beliebtesten Künstler des Tages auf den
Leib zu schreiben ist. Sogenannte B o m b en-
rolle. Gastspielvirtuosen besonders zu be-
rücksichtigen. (O Haase, wo bist Du geblieben!)
werde das nächste Stück für Kainz schreiben.
Nervös, plötzlich aufschäumend. Am dritten
Aktschluß rasselnde Prestissimo- Tirade. „Und
wollt ihr wissen, wer dieser Elende ist, der
Verleumder, der Ehrvergessene (noch einige
Synonyma), der in seiner frevlen Genußsucht
vor nichts zurückschreckt, der mit dem Glück
einer ganzen Familie spielt, (noch einige Relatir-
sätze) — (stark, mit niederschmetterndem Gestus)
Da steht er!"

wenn Kainz für den Winter schon besetzt,
kann auch Engels die Rolle spielen (oder
Konrad Dreher). Geringfügige Veränder-
ung. Lospoltern am dritten Aktschluß fällt
dann weg. Dafür kommt große Pause mit
stummem Spiel. Engels mit schiefer Kopf-
haltung, wie ein krähender Hahn, sieht dem
Abgehenden nach, wendet sich dann zum
Publikum, macht seinen Balkonblick, von unten
nach oben, der Wirkung nie versagt, erweitert
Mund bis zur äußersten Grenze der Leistungs-
fähigkeit, folgt dem Abgehenden mit langsamen,
großen Schritten, Oberkörper pendelnd, sagt
„Aha!" Vorhang.

Nachschrift: Sollte auch Engels anderweitig
verpflichtet sein, würde die Sorma die Rolle
bekommen. Im Falle der Verhinderung dieser

Künstlerin, die Geliebte der in Theatersachen
maßgebenden hochgestellten Persönlichkeit. Ge-
ringfügige Veränderung. Nur durch die Ver-
schiedenheit :es Geschlechtes bedingt. Das
weitere findet sich.

* *

-rr

Liebe zieht immer. Viel Liebe. Glückliche
macht Spaß. Unglückliche intereffirt.

Liebeserklärungen haben ihre Mucken.

Ernste, aus der Kiste des tiefen Gemüths,
können kurz sein. Da thun's Blicke u. dgl.
wahre Liebe ist wortkarg. (Siehe „Fortunios
Lied" : „Drmn schweigt inein Mund.") Küßchen,
Vorhang!

Es genügt, wenn er oder sie ein paarmal:
„O Du'... Du!" sagen. Kein Wort mehr.
„Du liebst mich? Liebst mich wirklich?" Ant-
wort: „O Du!... Du!" Umarmung. Vor-
hang fällt langsam. Bei einen Meter über
Manneshöhe, sie nochmals hauchend: „ODu!.."
Vorhang fällt schnell. (Am besten für zweiten
Aktschluß).

Lieber scene im Lustspiel viel complizirter.

wirk am: Combination der Liebeserklärung
mit irgend einer gewöhnlichen Hantirung.

Beispiel: Sie kocht Thee. Im Ueberschwang
des Gefühls gießt sie den Spiritus über. Er
erstickt die Flamme. Annäherung, während
das Wasser anfängt zu sieden, ergreift er ihre
Hand. Sie lächelt. Zittert. Verschüttet das
heiße Wasser. Thee wird zu stark, zieht zu
lange, da sie weltvergessen. Endlich füllt sie
das Glas. Sie hat den Zucker vergessen.
Er kostet. Schneidet komisches Gesicht. Sie
schäint sich, wirft sechs Stück Zucker in die
Taffe. (Lachpause.) Darauf erklärt er sich.
„Ewig Dein!"

Oder: Sie steckt Gardinen auf. wird nie
damit fertig, vom Gefühl überwältigt. Sie
auf der Leiter. Er unten. Als die Gefühls-
chose brenzlich wird, verliert sie das Gleich-
gewicht, rutscht, fällt... in seine Arme.

Kann stark variirt werden. Neckische Nu-
ance: Sie kehrt den Teppich, fegt ihn mit
dem Besen zur Thür hinaus. (Lachpause.)

Oder: Vierstündiges Klavierspiel — mit
Uebergriffen. Kommen natürlich auseinander.
Vereinigen sich in rauschendein Schlußakkord.

1-

Hauxtsache: Poesie muß durch Prosa
lieblich unterbrochen werden.

Geht also auch so: Er hat ihr Pfirsiche
mitgebracht, in der Rocktasche. (Publikum
muß wissen, wo die Früchte stecken.) Setzt
sich. (Lachpause.) Merkt noch nichts. Im
feierlichen Momente fühlt er die Nässe des
eindringenden Fruchtsaftes. Kann sich das
Phänomen nicht erklären. Blickt beunruhigt
um sich. (Lachpause).

„Fehlt Ihnen etwas?"

„O ... es ist nichts!"

„Sie sitzen wohl schlecht? Soll ich Ihnen
einen härteren Stuhl holen?" (Lachpause).

„Um Gotteswillen nicht!" (Lachpause).

Plötzlich geht ihm ein Licht auf ... (An-
haltende Heiterkeit. Vorhang schnell!)

NB. Es können auch Erdbeeren sein.
(Im Winter Apfelkuchen.)

* *

weitere Mittel zurB elebung der Liebes-
fcenen.

Die contagiöse Liebeserklärung.

Einfachstes Beispiel: Sie stehen stumm
mit klopfendem Kerzen am offenen Fenster.
Auf dem Dache gegenüber schnäbeln sich Tauben.
Sie seufzt, er lächelt.

„wie sagt die Schrift? Seid ohne Falsch
wie... nun? .. wie..."

Sie, kaum hörbar hauchend: „wie die
Tauben."

Sinkt erröthend in seine Arme. Küßchen,
Vorhang.

Die indirekte Liebeserklärung:

Ein ahnungsloser Mittelsmann und die
Liebenden.

Am einfachsten ist der Mittelsmann der
alte Onkel, der vielleicht seinen Koffer packt;
die jungen Leute sind ihm dabei behilflich.
Bei jedem Gegenstände, den sie ihm reichen,
beziehungsvolle Aeußerungen, deren geheimen
Sinn nur sie verstehen.

wenn alles gepackt ist, macht es sich gut,
daß sich die Drei auf den Koffer setzen: der
Onkel in der Mitte.

Dann merkt er was, schmunzelt pfiffig,
steht auf. Die Beiden avanciren nun gegen
einander. Bei gegenseitiger Berührung elek-
trischer Schlag. Umarmung. Onkel kommt
lachend hinzu: „Na also!"

(Mehr für feineres Lustspiel.)

Zu jedem guten Stück gehört Empfindung.
Etwas für's Herz und Gemüth.

Freude an der XXatut ist immer gut.

Als geeignetstes Organ dafür: Der Städter,
der während der Sommerferien in's Gebirge
kommt. Treuherziger Ausdruck.

Er duzt die Berge, die in der Ferne
blauen. („Blauen" ist gut!)

Er läßt die Pronomina gewöhnlich wegfallen.

Beispiel einer Ansprache an den Berg:
„was schaust (nicht „siehst!") mich so ver-
wundert an, alter Schlingel? (auch „Bursch"
oder „Gesell"). Hast mich wohl ganz ver-
gessen? Heh?... Schäm dich, Gesell! (oder
„alter Schlingel.") Hab' allweil dein gedacht,
daheim, in der dumpfen, rußigen.." u. s. w.

„Allweil" ist auch gut! „Allzeit" geht
noch. Aber „immer" und „stets" müssen ge-
mieden werden.

Sprache muß überhaupt ländlich anheimeln,
von einem fauche vor: Deutsch- und Alter-
thümelei gestreift sein.

Man sage daher „dieweil" für „während,"
„Born" für „Brunnen," „Baute" für „Haus,"
„mein alter Serr" für „Vater," „Dirne" für
„Mädchen," „Bub" für „Junge," „Krug" für
„wirthshaus," „Fidel" für „Geige." Man
spreche vom „Schlot," „Rinnsal," „Gezweig,"
einem „lustigen Spielmann," „fahrendem Volk"
und rufe jauchzend dazwischen „Heia!" und
„hui!" („juchheh!" weniger charakteristisch,
besser „juh!")

Man darfauch fromm werden und „dem
lieben Herrgott, der das Alles so schön ge-
macht, aber'so recht aus vollem, vollem Kerzen
danken." (Zweimal „vollem" macht sich besser.)

*
Register
Arpad Schmidhammer: Zeichnungen zum Text "Das Buch im Tisch-Kasten"
 
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