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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 4.1899, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 27 (1. Juli 1899)
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Nr. 27

JUGEND

1899

Dynamo's,"

erklärte mein Führer, „das sind die elektri-

„Uipere
scheu Zellen!"

Sie waren ähnlich eingerichtet wie die des gemischten Systems. Nur
ihr Mobiliar war einfacher: es bestand einzig ans einem bequemen Lehn-
sessel, der auf funkelnder Metallplatte stand. Die Arme des Stuhles
liefen in polirte Bronzegriffe aus und eine Art von Kopfhalter, wie sie die
Photographen haben, krönte die Lehne. Nebenan stand ein Stiefelzieher.

„Das erklärt sich von selbst, nicht wahr?" meinte mein Führer. Wer
sich behaglich in diesen Sessel znrücklehnt, ist in dem Augenblick dieser Welt
entrückt, in welchem er diese Handgriffe erfaßt Wer den Apparat scheut,
für den streckt sich dort ans der Wand eine Hand ans Bronze. Er zieht
Schuhe und Strümpfe aus, tritt auf jene Metallplatte und reicht jener
Bronzehand die Rechte. Ein Schlag und er ist allem Erdenweh entrückt!"

„Großartig!" sagte ich und verzog mich rückwärts aus der Thüre,
als mich der Herr mit einer gewohnheitsmäßigen Handbewegung einlud,
im Lehnstuhl Platz zu nehmen. Dann gingen wir weiter. Wir kamen
in Zellen mit geistreich konstruirten Oefen zur Erstickung mit Kohlengas,
mit Vorrichtungen zum Selbstguillotiniren, wir kamen in eine Art von
Badezelle, wo man in lauwarmen: Wasser sich die Adern öffnen und ver-
bluten konnte. — „Gänzlich schmerzlos, ja beinahe lieblich!" sagte der
alte Herr. Wir fuhren mit dem Lift auf die Plattform eines hohen
Thurmes, von dem man sich Herabstürzen konnte, wir sahen in einen,
von dicken Mauern umzogenen Hof für solche, welche Sprengstoffe anzu-
wenden wünschten. Wir sahen eine Art Schwimmbad mit tiefem, blau-
grünem Wasser; Schnürstiefel mit schweren Bleisohlen standen bereit. Wir
betraten einen entzückenden Garten, der exotische Blumen und schöne Bäume
enthielt und dazu alle erdenklichen Apparate, wie wir sie schon gesehen:

„Für solche, welche die Sache lieber unter freiem Himmel erledigen,"
— sagte mein Geleiter, immer im gleichen verbindlichen Ton. „Es
hat viel für sich, besonders wenn der Mond scheint. Heute wird
er übrigens gerade voll, wenn Sie romantische Neigungen haben."

„Ich danke!" sagte ich.

An den Garten schloß sich die Menagerie: ein Käfig mit Brillen-
schlangen, in schöner altägyptischer Ausstattung war bereit, den auf-
zunehmen, für den die Todesart der seligen Kleopatra Reiz hatte.
Und dann war ein Prachtstück von einem Königstiger da, vom Schnurrbart
bis zur Schwanzspitze seine drei Meter lang. Der liebenswürdige Greis
meinte: „Unser Stolz, dieser Bursche. Wer ihn mit
Erfolg besuchen will in seinem Käfig, der sagt sich
am Besten drei Tage vorher an. Dann lassen
wir das Kützlein hungern — gelt, Indra?"

Das Ungeheuer knurrte und sah mich
än, als wäre es and) ohne die vorbereiten-
den Fasttage geneigt, mich seinem Wesen
einzuverleiben. Wir gingen weiter — vor
einem luftigen Pavillon war ein schweigsamer
Japaner damit beschäftigt, die Schneide eines
kurzen Schwertes zu untersuchen —

„Harakiri." lautete die Erklärung meines Führers. „Es
ist jedenfalls lehr originell und durchaus nicht so schmerzhaft,
als man meint, aber merkwürdig unbeliebt."

„Von hier aus sehen Sie übrigens auch unseren Ofen
— ein Wunder der Technik! Was er aufnimmt, wird nicht
zur Asche verbrannt, sondern in Gas verwandelt. Darum
haben wir hier auch keinen Friedhof nöthig. Sie steigen
diese Wendeltreppe hinauf, öffnen die dicke eiserne Thür und
gelangen dann durch eine selbstthätige Klappe in den Gluth-
raum — eine Stunde später schweben Sie als leichtes
Wölkchen über unserer guten Stadt. Auf die gleiche Weise

verflüchtigen wir unsere Clienten aus bei: übrigen Abteilungen. Reinlich-
keit, Appetitlichkeit möchte man sagen, ist der erste Grundsatz unseres Be-
triebes. So spurlos, ohne den Gedanken an Würmer und Verwesung, an
Staub und Asche, ans der Welt zu gehen, das hat doch geradezu etwas
Verlockendes, es ist Poesie darin!"

Ich fand das nicht. Trotz der Nähe des großen Ofens klapperten
mir die Zähne, gerade um dieser entsetzlichen „Appetitlichkeit" des Be-
triebes willen. Aber ich wollte meinen Begleiter nicht kränken und sagte:
„Ja. Ihr Etablissement ist prima. Ich wüßte nichts, was ihm
fehlte, als höchstens die Gemüthlichkeit! Und es heißt ja auch ein Bischen
viel verlangen, daß — alles — dies — auch noch gemüthlich sein solle."

„Jedenfalls," sagte mein Gönner, „ist der Humor durchaus nicht
ganz aus unserer Anstalt verbannt. Wünschen Sie in Malvasier zu
ertrinken, wie der Herzog von Clarence? Es ist dafür gesorgt. Haben
Sie Lust, die wundervollste Habanna zu rauchen, in welcher plötzlich
eine kräftige Melinitpatrone losgeht, die Ihren Kopf in Atome zer-
schmettert? Sie steht zur Verfügung. Wollen Sie sich todtlachen?
Wir haben auch dazu eine eigene Zelle, in der Sie Julius Stetten-
heims sämmtliche Werke finden —"

„Lassen Sie mich zufrieden!" schrie ich. „Ich finde Sie zudringlich
wie den Agenten einer Lebensversicherung — und Sie sind doch das
Gegentheil davon!"

Der alte Herr lächelte sehr eigeuthümlich.

„Sie wollen unser Etablissement unbenutzt verlassen?"

„Ja! und auf dem nächsten Wege! Das dort sieht aus, wie eine
Hinterthür'!"

Ich wies auf eine schmale Eisenpforte. Der Alte nickte:

„Ist auch eine! Aber Sie müssen sich doch erst Ihren Schirm und
Paletot wieder holen."

„Ich danke! Behalten Sie ihn zum Andenken. Und nun, bitte,
lassen Sie mich gehen! Ich habe heute Kegelabend und muß Strafe
zahlen, wenn ich fehle!"

Er zog einen Schlüssel aus der Tasche und schloß das eiserne Thür-
chen auf. Und immer eigenthümlicher lächelte er, immer boshafter —
aber es war doch ein deutlicher Schuß Gutmüthigkeit in seinem bos-
haften Lachen. Er klopfte mir auf die Schulter:

„Gehen Sie, mein lieber Freund, Sie sind doch kein Client
für uns — so wenig wie die Andern! Sie sind
Alle noch zu dieser Pforte hinausgegangen, die
da kamen, auch jeue, die das Reisegeld im
Voraus bezahlten. Auch Jene, die sich bereits
eine Zelle ausgesucht hatten, haben noch zur
rechten Zeit geklingelt." Und immer selt-
samer lächelnd fügte er bei:

„Und das ist ja auch der Zweck dieser
Anstalt! Nur in der Zelle zum Todtlachen ist
uns einmal Einer geftorbeit Unser Hausarzt
behauptet — aus langer Weile."

Schon stand ich draußen. Er reichte mir die Hand:

„Leben Sie recht vergnügt weiter. Und wenn Sie uns
wieder einen solchen Clienten wissen, empfehlen Sie uns —
gelt, das Leben ist doch schön?"

Ich stand jenseits der Mauer. Kein Park, kein räthsel-
hafter Bau, keine fremde Gegend. Wohlbekannte, nüchterne
Gassen. Ich wanderte fort, leichter geworden, ich wanderte
fort und freute mich der Sonne —

Ich wanderte fort, bis mir eine derbe Hand die Stiefel
gegen die Thüre warf und eine Stimme rief:

„Treiviertel auf sieben Uhr! Es ist Zeit zum Aufstehen!"

Zritz v. Dstini


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Gertrud Kleinhempel
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Gertrud Kleinhempel: Blumenornament
 
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