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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 4.1899, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 28 (8. Juli 1899)
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Nr. 28

e

JUGEND

©

1899

Sudermaennliche Schüttelreime

Ein mnemotechnischer Beitrag
zur modernen Literaturgeschichte

Mit frischem Wagemuth ersann
„Die Ehre“ Hermann Sudermarn.

Noch kühner „Sodoms Ende“ schien —
Die Dummen schrie'n, das schände ihn!

Doch der Berühmtheit wahrer Mai hat
Ihm doch geblüht erst mit der „Heimath“.

O Maid, hab' auf die Schlingel Acht!
Dies lehrt der „Schmetterlinge

S c h 1 a c h t“.

Wie frech des Röcknitz Dünkel war,
Stellt uns das „Glück im Winkel“ dar.

Von dem Erfolg der „Morituri“

Weiss heut' selbst jeder Thor im Uri.

„Johannes“ zeigte, sehr gelungen,

Dass er noch lang nicht leer gesungen.

Und glänzend, gleich den Feuerrädern,
Ist der Effekt der „R e i h e r f e d e r n“.

Pips

Das Unwillkommene

Von Franz Adam Leyerlein

„Nein doch, nein."

Aber sie blättert doch in dem Buche.

Plötzlich legt sie's vor mich bin, unterstreicht
mit den: Hübschen Nagel des kleinen Fingers
ein paar Zeilen und läuft ius Schlafzimmer.

„Das lies mal!" sagt sie von der Thür her.

Ich nehme den Band her und besehe mir
ihn. — (5s ist der Blauveigeleinroman einer
Dame. Dann lese ich die.angemerkte Stelle:
,Da verbarg sie das über und über erglühende
Gesichtchen au der breiten Brust Egons und
flüsterte ihm das beseligendste Geständniß einer
jungen Gattin in's Ohr/-

Das versetzt mir einen gelinden Schlag, so
das; ich eine Weile unbeweglich sitzen bleibe.
Drüben aus dem Schlafzimmer meine ich einen
ängstlichen Herzschlag zu hören, wie ihn der
har, der lauschend den Athem anhält.

Wie mir da vieles klar wird! Und wie
das gar nicht in meinen Kram paßt! 2fber
n-cht im geringsten!!

Mit unschlüssigen Schritten trete ich endlich
über die Schwelle. Sie liegt schon in: Bett,
dem Licht abgewandt und den Kops unter die
Steppdecke gesteckt.

Nach einem kurzen Schweigen beginne ich:
„Aber wieso ist denn das nur gekommen?"

Unter der Decke hervor kommt es ziemlich
unwirsch: „Wieso denn nur?! — Dumme
Frage. Eben so!"

Ich bin still, ziehe mich ails und lege mich
nieder. — So etwas luirft mit einem Male


Wir kommen aus dem Konzert nach Hause.

Schön war es. Wunderschön.

Ich warte, bis sie das Kleid weggethan hat,
sitze in meinem Schreibstuhl und summe mir
eins. Sie kommt herein in weißem Unterzeug
und Schnürleib, hockt sich nieder und fängt an
in meinen Büchern zu krauten.

Ich frage sie erstaunt: „Willst Du nock
lesen?"

Das Soldarenkind J• ^ Witzti

Majorstöchlerchen: „Mama, kann eine Frau auch mit einem
militäruntauglichen Manne glücklich werdet:?"

alles über den Saufen; alles kehrt es um, und
die schönsten Pläne fallen in's Wasser.

Aber schließlich heißt es sich dareingeben,
und ich hebe von neuem an: „Weißt Du, das
Schlimmste ist es ja noch lange nicht. Es thut
mir nur um Deinetwillen leid."

„Ach. wenn es darum wäre!" stößt sie,
plötzlich in Thränen ausbrechend, hervor.

„Ja warum weinst Du denn nur?"

Unter Schluchzen tönt es zurück: „Das
arme Kind!"

„Welches arme Kind!"

„Nun das, das wir bekommen."

„Warum soll denn das auf einmal ein
,armes Kind' sein?"

„Weil es willenlos und energielos und
darum unglücklich sein wird."

„Weshalb aber nur in aller Welt?"

„Weil Kinder, die die Eltern nicht gewollt
haben, immer so sind. Sie haben halt dann
auch keinen Willen."

Ich bin ganz erstaunt und meine: „Das
ist mir ja ganz neu."

„Aber wahr ist es doch."

„So? — Woher weißt Du das nur?"

„Oh—h!! — Im Strindberg. — Im
,Vaters"

Jetzt empörte ich mich aber: „Mein Kind,
Strindberg ist ein Esel "

„Auf einmal?" spottet sie schluchzend.

„Jawohl. Er ist ja ein ganz großartiger
Kerl, aber so wie so nur mit Vorsicht zu ge-
nießen, und wenn er auf Mann und Weib
kommt, wird er entschieden anormal."

Sie beruhigt sich etwas und flüstert nach
einem kurzen Nachdenken: „Du könntest am
Ende Recht haben."

„Aber gewiß," beeile ich mich, sie zu be-
stärken.

Gleich fängt aber das Weinen verdoppelt
wieder an, und sie jammert: „Und wenn auch!
— Es thut mir nur so weh, daß wir uns vor-
dem kleinen Wesen geradezu entsetzen, kaum
daß es zum ersten Male zu merken gegeben hat:
ich bin da, — daß es aber auch nicht ein wenig
mit Freude und Liebe begrüßt wird."

Ich versuche sie zu trösten: „Nun ja. Aller-
dings war ein Erstauntsein unsere erste Em-
pfindung, aber das ist wohl meist )o. Und
gerade darum wollen wir es erst recht von
Herzen liebhaben, wenn es dann auf der
Welt ist."

Sie gibt sich zufrieden und bittet nur:
„Nicht-wahr, das wollen wir? Sonst wäre es
doch wirklich ein armes Kind?"

Am Ende legt sie den Kopf auf meine Brust,
ein paar Mal schluckt sie noch die Thränen
hinunter, dann schläft sie fest.

» * $

Tie Monate vergehen und bringen ihr viel
Schweres.

Wenn ich sie munter stimmen will, lächelt
sie mir unbeschreiblich gut zu und meint: „Es
mag schon alles sein, wenn jetzt nur Dein
Wunsch sich erfüllt, und ich Dir ein Mädel
schenke, das auch meinethalb mein rothes Haar
haben soll."

Endlich, an einem silberhellen Wintermittag,
ist die Zeit da.

Die weise Frau ist schon im Hause: eine
muntere, junge Person, die helle Zuversicht in
die Wochenstube trägt. Und sauber und pein-
lich ist sie. Sie führt das Sublimat in einer
Bierflasche mit sich und wäscht sich halbe Stun-
den lang die Hände.
Register
Franz Adam Beyerlein: Das Unwillkommene
Pips: Sudermaennliche Schüttelreime
Josef Rudolf Witzel: Das Soldatenkind
 
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