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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 4.1899, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 29 (15. Juli 1899)
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m 29

JUGEND

1899

#

«

gerichtet. — Alles leer zwischen den Lusern,
„was willst denn du hier? Aushorchen?
Oder treibt dich die Eifersucht?"

Langsam tritt es vor, bleibt stehen, den
zierlichen Lauf gehoben, wendet den schlanken
Hals hin und her, das sprechende Geheimniß
der Buche zu ergründen, — ein lüsterner Back-
fisch, weiter nichts. —

Noch näher, ganz näher — ein leises Zittern
bewegt das rothe Fell, — unsere Blicke bannen
sich gegenseitig, — plötzlich fällt ein rother
Schimmer von seitwärts in mein Auge, —
ich wende es vorsichtig, — da steht er auf
50 Schritte vor mir mitten im Schlag. Hasel-
braun das starke Gehörn, den Hals gereckt,
starres Erstaunen im schwarzen Glanzauge. —

Ich athme nicht, die boshafte kleine Mücke
hat mich wieder gefunden und fetzt sich mir
auf die Nase, gerade wo ein kleiner „Blutiger"
von Linst-sie besonders empfindlich macht. —
Ich ertrage sie gelassen. — Mantegazza rathe!
helfe! —

wenn ich noch einmal die Begierde weckte,
ganz leise — den Blatter habe ich im Munde.
— Sanft drücke ich die Lippen, lege meine
ganze Seele hinein, als ob ich selbst — o weh l
der verdammte Backfisch hat mich erkannt,
schmählend in hohen Fluchten geht's dahin,
neben mir nur mehr ein rothes Aufblitzen,
dann hebt drinnen im Gebüsch ein rauhes,
rohes Schelten an, und der Backfisch mit seiner
gellen Stimme sekundirt, daß
der ganze Wald rebellisch
wird.

Ich begreife die moralische
Entrüstung über so schnöden
Betrug und ziehe beschämt
weiter, — lange noch hallt
hinter mir der wüste Lärm.

Meine Musik wirkt nicht
mehr, der ganze Wald ist
mißtrauisch, höchstens daß
mich die Nußhäher höhnen
und meine Kunst xarodiren.

Einmal xoltert's durch das
Stangenholz, dicht an mir
vorüber in wilder Hast, wie-
der zurück im Bogen, aber
nicht möglich, den heißen
Werber auf seine Schußbar-
keit anzusprechen oder gar
auf's Korn zu bringen. —

Die Mittagsgluth brütet
im Wald, jedes Blatt senkt
sich ermattet, ein heißer feuch-
ter Dunst steigt auf, selbst
die Mücken ruhen. Der Sitz
wird immer bequemer, den
ich mir wähle bei meinem
rastlosen Streifen, — die
Augen fallen mir zu. —

Ich muß lange geschlafen
haben, das goldige Geflimmer
ringsum ist erloschen, schwere
Schatten lagern in drückender
Schwüle. — Fernes Gewitter-
grollen weckt mich völlig, ich
blicke aufwärts, — der Hinu
mel hat sich gebräunt, doch
kein Lüftchen regt sich. Er-
wartung liegt über dem schwei-
genden Wald.

Bor mir senkt sich ein junger struppiger
Fichtenbestand zu einem moosigen Grund.
Schweres blaues Licht liegt auf den Erlen,
wie aus Erz gegossen jedes Blatt. — Probir'
es noch einmal, zu guter Letzt, das wär' }o
ein heimliches Liebesnest da unten. — piu —
piu. —

Nur abwarten! Der Starke folgt nicht
dem ersten Lockruf. Da muß erst Alles ge-
lockert werden von Grundsätzen und Vorsätzen,
Mannesstolz und willen, langsam aufgeweicht,
und die Phantasie erhitzt, die ewig heißen Bilder
heraufbeschworen, die nie halten, was sie ver-
sprechen, die Erfahrung, getödtet zu werden
von ewiger Enttäuschung und Neue, piu —
piiiuu. —

Näher grollt der Donner, die Blätter der
Erlen kehren ihre weißen Seiten auf — höchste
Zeit! Trotz aller Erhabenheit, ich liebe die
Wetter nicht im Hochwald. —

Noch einmal, das letzte Mal, — die stärkste
von meinen Künsten, — das Geschreiblatten!
Das ist der Angstruf des Weibchens vor der
Brutalität des Männchens, mehr vielleicht, die
Klage um die ersterbende Scham, der Jammer
über eine ewige, unbewußt übernommene
Schuld, die dunkle Ahnung vom Fluche des
Werdens. — Sie werden mir zugeben, ein
Tonstück, würdig des größten Meisters.

Der Wald erklingt von meiner Klage, —
da knackt ein Aestchen, — noch eins —

Ich mache mich schußfertig, — er kommt,
— er muß kommen! —

Dort zwischen den Erlen — im fahlen
blauen Licht, — schleichend wie ein Fuchs,,
jede Deckung benützend. — Ich schweige —
noch einmal bleibt er stehen, das Gehörn hoch
und stark. — Die Vorsicht kämpft mit dem
Wahn. Er zieht den wind ein, — dann wie
von einem plötzlichen mächtigen Gedanken er-
faßt stürmt er aufwärts heran, lechzend vor
Begierde, — das schwarze Auge leuchtet, —
jede Bewegung strotzt von Energie. — Jetzt
hat er mich eräugt. — was mag jetzt wohl
Vorgehen in diesem Gehirn, irgend ein unklares
Aufleuchten der Gefahr, ein heftiger Kampf
der Instincte. —

Ich warte den Ausgang nicht ab. Knall
und Dampf, — der heiße Werber liegt gefällt,
aus dem brechenden Auge blickt noch das starre
Erstaunen. Opernhaft, wie vom Inspizienten
bestellt, grollt der Donner, stößt der wind in
die Wipfel, kommen schwere Schatten über das
Moos gelaufen, umfangen mich und meine
Beute.

Nasch hinein in den Nucksack mit dem
Stückchen Liebesglück, in dem es noch pulst
von stürmischem Verlangen.

Ein rings sich breitendes Brausen erhebt
sich, erst in der Ferne, dann immer näher.
Vögel kreischen und flattern, schwarze Wolken
wälzen sich herauf. Der Sturm kommt geflogen
und löst die brütende Angst
durch entscheidende That. Es
saust, knistert und splittert, in
kühnen Bogen peitschen die
Wipfel, knatternd schleudert
Thor seine Keule mitten hin-
ein, flammenumzüngelt, —
die erste Wolke birst, und
nun kommt der Segen, die
Erlösung über den lechzen-
den Wald, der Millionen durst-
ige Lippen öffnet.

Ein zerfallener Ninden-
kobel, den die Holzer verlassen,
nimmt mich auf mit meiner
Last. Da steh' ich und blicke
hinaus. Nie fühlte ich mich
noch so Eins mit Allem, so
als ein Stück von ihm. —
Ein kühler grauer Schleier
verhüllt den Wald, den hie
und da ein Blitz zerreißt,
wenn er sich hebt, welche Ver-
änderung! Sattkräftige Far-
ben, betäubender Duft, Jubel
im Geäst, geschäftiges Trei-
— Langsam
schleicht der Abend in den
erfrischten Wald.

Befreit von jedem Mord-
gelüste, selbst ausgewittert,
schreite ich durch die dam-
pfenden Felder dem heimat-
lichen Dorfe zu. Hie und
da zuckt es noch auf über
dem fernen Wald, ein lichter
Gedanke, dann nimmt die
Nacht ihn auf, — die sanfte
Erlöserin.

ben am Boden.

Ein junger Löwe

'Mie beneide ick> die Nachwelt um Mlchl"

Rud. Wilke
Register
Rudolf Wilke: Ein junger Löwe
 
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