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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 4.1899, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 31 (29. Juli 1899)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3779#0069
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UGEN D

Das Namenszeichen

Don Henrik Mranär

'er Schneider Martin hatte seine „Häuser",
in die er „nähen ging", wie das da-
mals so Sitte war. Er machte Jahr für Jahr
dieselbe Runde, arbeitete Neues und flickte
Altes und befand sich sehr gut dabei.

Aber da er ein Erwerbsgenie war. wußte
er sich immer noch kleine Nebenverdienste zu
verschaffen. Er verstand es, nicht nur am
Sonnabend seine gewöhnliche Milchration und
sein Stück Butter oder, wenn in einem seiner
„Häuser" gebacken wurde, das Stückchen Rüchen
„zum Schmecken", oder einen kleinen übrig
gebliebenen „Flicken" zur Jacke für seine
Jungen zu erlangen — nein, er war noch er-
findungsreicher:

Er kaufte fast umsonst ein Ferkelchen oder
wußte sich ein Gänschen zu beschaffen, und
dann gingen die bei dem Verkäufer im Herbst
auf die Meide, bis sie fett wurden. Und dann
bekam er sie dafür zurück, daß er eine Jacke
umwendete oder ein neues Hintertheil in ein
Paar Arbeitshosen setzte oder etwas dergleichen.

Auf diese Meise hatte er fast immer eine
Gans, wenn die Martinszeit herankam. Es
fiel ihm nicht etwa ein, sie selbst zu essen,
oder daß die Seinigen sich daran gütlich rhun
durften, soweit es sich nicht um den Ropf,
die Füße und die schwarze Suppe handelte —
nein, den Rumpf trug er zur Stadt und ver-
kaufte ihn dort. Aber in jedem Fall schmeckte
man auch etwas davon, und dann gab es
Geld dafür.

Eines Jahres hatte er eine vortreffliche Gans
zu verkaufen, und dann sprach er mit dem
Schulzen, ob er nicht mit ihm zur Stadt
fahren dürfte. Natürlich gestattete es dieser.

Martin kam früh am Morgen zu ihm,
bekam sein Frühstück und ein Schnäxschen,
und dann ging es fort.

Aber auf dem halben Wege zur Stadt
lag ein Rrug, und da der Tag neblig und
feuchtkalt war, beschlossen die Beiden hinein-
zugehen und „einen hinter die Binde zu gießen."

Die Pferde wurden an den Steinpfeiler
vor der Treppe gebunden, und dann gingen

die beiden Alten hinein. Die Gans des Schnei-
ders lag unter dem verdeck des Vordersitzes
und war in einen roth und weiß karrirten
Shawl eingewickelt.

Und sie „hoben einen" und sie „hoben
zwei", und dann setzten sie sich wieder auf
den Magen und fuhren weiter.

Ja, das Bündel des Schneiders lag noch
auf seinem Platz.

So kamen sie denn zur Stadt, und der
Dorfschulze kehrte bei demselben Raufmann,
ein, wie immer, wurde, wie gewöhnlich, mit
Eognak bewillkommnet, und der Schneider
bekam auch ein Gläschen, da er mit einer so
angesehenen Person, wie der Dorfschulze, fuhr.

Der Schneider nahm dann sein Bündel
und wollte zum Markt gehen. Der Dorfschulze,
der die Gans am Morgen genau besehen,
batte anerkennen müssen, daß es ein Pracht-
kerl von einer Gans sei, und sich ausgeschüttet
vor Lachen, als Martin ihm zeigte, daß er
den ausgeschnittenen Hintertheil der Gans mit
einem kunstreichen Saum zugenäht hatte, der
die Form eines M. bildete.

„Seht, das ist mein Namenszeichen!" sagte
der Schneider.

Als er aber sein Bündel aufhob, war es
leicht, wie ein Schneidergeselle, und als er
den Shawl ausknüpfte, war nichts weiter als
Heu darin. Er sah den Dorfschulzen an,
wurde leichenblaß und schrie verzweifelt:

„Meine Gans ist davon geflogen."

Und der Dorfschulze, der ein lustiger Rum-
xan war, besonders wenn er einen Eognak
getrunken hatte, erwiderte:

„Da siehst Du, daß alles Fleisch Heu ist!"

Sie dachten über die Geschichte nach und
bekamen bald heraus, daß Jemand die Gans
gestohlen haben müßte, während sie drinnen
im Rrug waren. Jemand, ja. Aber wer?

Der Schneider rannte wie besessen auf dem
ganzen Markt umher, besah alle Gänse von
vorn und von hinten — besonders von hinten
—- fluchte und jammerte, fand aber nirgends
sein „Namenszeichen".

eeweRBecK.*?«?.

Plötzlich erblickte er einen Zigeuner, und ihm
fiel sogleich ein. daß sie an dem Rerl vorbeige-
fahren waren, kurz bevor sie zum Rrug kamen.

„Das ist der Dieb!" flüsterte der Schneider
dem Dorfschulzen zu. „Nun kommt es nur
darauf an, ihn festzunehmen."

„Ja, das ist bisweilen eine schwere Runst,"
sagte der Schulze, der sich darauf verstand.

„Ja, wartet nur. wir können mit ihm
zu handeln anfangen. Ist es meine Gans, so
haltet Ihr ihn mit Geschwätz auf, während
ich nach dem Polizisten laufe."

Und sie kamen vorsichtig zu dem Zigeuner
hin, der seine Gans gerade einer dicken Frau
anbot. Der Schneider warf nur einen Blick
auf die Gans — natürlich war es die seinige.
Da saß ja das „Namenszeichen".

„Ueberbietet sie!" sagte er und lief nach
einer Ecke hin, wo ein Schutzmann stand. In
drei kurzen Minuten wäre er wieder zurück.

Die Frau war ärgerlich. Sie wollte die
Gans haben und sagte gerade zu dem Schulzen:

„Ich meine, Ihr Bauern habt selbst Gänse
und braucht nicht daher zu kommen und uns
armen Smdtern noch die Maaren zu vertheuern
— ich gebe rund q. Mark. Und nun her damit."

„Nein, hierher damit!" schrie der Schneider.
„Das ist meine Gans!" Der Zigeuner drehte
sich um, erblaßte, als er den Schutzmann sah,
faßte sich aber sogleich:

„Deine Gans? Mas fällt Dir ein, Bauer!"

„Der Herr Schutzmann soll selbst sehen!"
sagte der Schneider. „Beseht Euch den Steiß
der Gansl Da steht mein Namenszeichen,
ein deutliches M.! Iaha! Und der Dorfschulze
sah es auch heut Morgen und kennt es eben-
falls wieder!"

„Sind Sie Dorfschulze?"

„Ja, Jonas Monsen aus Hönsberg. Und
Raufmann Seegrün kennt mich genau."

„Komm mit in's Bureau!"

Und damit packte er den Zigeuner bei der
Jacke. Auf dem Polizeibureau verwickelte sich
dieser in allerhand Widersprüche und wurde
dann festgenommen. Aber die Herren auf der
Polizei amüsirten sich über den Schneider
mit seinem „Namenszeichen".
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Ernst Ewerbeck: Lawn Tennis
Henrik Wranér: Das Namenszeichen
 
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