Nr 31
JUGEND
1899
Ein nautischer Cicero
Ar: Bord des Schiffes war ein Passagier
gestorben. Der verstorbene war bei allen
Passagieren und bei der Mannschaft gleicher-
maßen beliebt gewesen; ganz besonders hatte
ihn aber der biedere Kapitän, eine echte, ge-
rade Seemannsnatur, in sein Herz geschlossen,
waren nun schon die anderen von dem plötz-
lichen Tode des Reisegefährten tief ergriffen,
so war der Führer des Schiffes so aus der
gewohnten Faßung gebracht, daß er auf die
vereinten Bitten der anderen sich bereit er-
klärte, dem Dahingeschiedenen bei der üblichen
Bestattung eine Rede zu halten.
Der wackere holte denn auch Bibel und^
Thoralbuch und alles, was sich an Bord irgend-
wie an gedruckten Sachen auftreiben ließ, zu-
sammen, schloß sich in seine Tabine ein und
studirte nicht nur die ganze Nacht durch, son-
dern nahm noch einen Theil des Morgens
hinzu. Dann kam die Stunde der Bestattung
heran. Das Brett mit dem eingehüllten Todten
wurde, von zwei Matrosen gehalten, auf die
Reeling gelegt, um auf den Wink des Kapitäns
in den Ozean versenkt zu werden. Die Leid-
tragenden standen im Halbkreis herum, und
der Kapitän erschien breiten und festen Schrittes.
„Geehrde Leidtroagende!" sprach er
mit fester Stimme. „Ich bidde um ein
ßtilles Gebet."
Die Leidtragenden folgten der Aufforderung.
Der Kapitän betete auffallend lange. Endlich
blickte er umher und sprach abermals:
„Geehrde Leidtroagende!"
Dann entstand eine lange und tiefe Stille.
Unb endlich, mit einem tiefen Seufzer aus
breiter Brust eine schwere Last von sich werfend
und sich kurz zu den beiden Matrosen wendend,
sprach er: „So! — Nui smit em man 'rin!"
R. R.
Wahre Geschichte
Die auch den Lesern der „Jugend" wohl-
bekannte Schriftstellerin Anna Ritter hatte
während ihrer Anwesenheit in Berlin bei
einer Wäscherin arbeiten lassen, der auch
ich mich anvertraut habe. Als die Frau
neulich bei mir war, um die tadellosen
Produkte ihrer Dhätigkeit abzuliefern, ent-
spann sich folgendes Gespräch zwischen uns.
Sie fing zögernd an: „Sagen Se mal, Sie
sin doch och so'n Dichter," — ich nickte mit
bedauernder Zustimmung, — „nu habe ick
jehört, was die Frau Regierungsrath Ritter
is, dat soll och eene sind, is dar wohl wahr?"
Ich bejahte ihre Frage und darauf philo-
sophirte sie: „Ja, der Dichten! Et is
neAnjc wohn heit, — ick habe se nich!"
B. V. M.
Ein Jrrthuin
Ein Leutnant, seit kurzem glücklicher Bräu-
tigam , gibt eines Abends beim verlassen
seiner Wohnung seinem Burschen Weisung:
Er gehe jetzt zu seiner Braut, und Morgen
um 5 solle er ihn wieder wecken.
Am nächsten Tage um die angegebene
Stunde ist vor dem Haus der jungen Dame
ein Höllenlärm. Auf die Frage des erschreck-
ten Fräuleins nach der Ursache des furchtbaren
Skandals tönt es von draußen: „wollt' Herr
Leitnant gestern gehen zu gnädigem Fräulein,
und sollt' ich heute wecken um 5 Uhr."
Hochmut!)
Auf, dem Güte ist ein neuer Schäfer an-
gestellt. Pünktlich versieht er sein Amt, er
ist still und gewissenhaft und dabei kann tfyt
doch der Hofmeister augenscheinlich nicht recht
leiden. Ein paar Wochen sind vergangen, da
erkundigt sich der Pächter beim Hofmeister
nach dem neuen Knecht. Der Hofmeister will
erst nicht mit der Sprache heraus. — „Tjä,
dat is ja allens ganz gaud, awer. . awer!"
„Na, wat is denn los mit em?" fragt der
Pächter aufmunternd. Und zögernd kommt'
die Antwort: „Tjä, dei Kirl is to hochmäudig,
de snöfft*) sichn in'n Daug."**)
*) idmemt. *5’M Tuck.
UTeycr im Vatikan Julius Diez (München)
„Das ist also der berühmte Zeus von Otricoli! Hm! nach der Reklame Hab' ich mir eigentlich mehr vorgestellt."
496
JUGEND
1899
Ein nautischer Cicero
Ar: Bord des Schiffes war ein Passagier
gestorben. Der verstorbene war bei allen
Passagieren und bei der Mannschaft gleicher-
maßen beliebt gewesen; ganz besonders hatte
ihn aber der biedere Kapitän, eine echte, ge-
rade Seemannsnatur, in sein Herz geschlossen,
waren nun schon die anderen von dem plötz-
lichen Tode des Reisegefährten tief ergriffen,
so war der Führer des Schiffes so aus der
gewohnten Faßung gebracht, daß er auf die
vereinten Bitten der anderen sich bereit er-
klärte, dem Dahingeschiedenen bei der üblichen
Bestattung eine Rede zu halten.
Der wackere holte denn auch Bibel und^
Thoralbuch und alles, was sich an Bord irgend-
wie an gedruckten Sachen auftreiben ließ, zu-
sammen, schloß sich in seine Tabine ein und
studirte nicht nur die ganze Nacht durch, son-
dern nahm noch einen Theil des Morgens
hinzu. Dann kam die Stunde der Bestattung
heran. Das Brett mit dem eingehüllten Todten
wurde, von zwei Matrosen gehalten, auf die
Reeling gelegt, um auf den Wink des Kapitäns
in den Ozean versenkt zu werden. Die Leid-
tragenden standen im Halbkreis herum, und
der Kapitän erschien breiten und festen Schrittes.
„Geehrde Leidtroagende!" sprach er
mit fester Stimme. „Ich bidde um ein
ßtilles Gebet."
Die Leidtragenden folgten der Aufforderung.
Der Kapitän betete auffallend lange. Endlich
blickte er umher und sprach abermals:
„Geehrde Leidtroagende!"
Dann entstand eine lange und tiefe Stille.
Unb endlich, mit einem tiefen Seufzer aus
breiter Brust eine schwere Last von sich werfend
und sich kurz zu den beiden Matrosen wendend,
sprach er: „So! — Nui smit em man 'rin!"
R. R.
Wahre Geschichte
Die auch den Lesern der „Jugend" wohl-
bekannte Schriftstellerin Anna Ritter hatte
während ihrer Anwesenheit in Berlin bei
einer Wäscherin arbeiten lassen, der auch
ich mich anvertraut habe. Als die Frau
neulich bei mir war, um die tadellosen
Produkte ihrer Dhätigkeit abzuliefern, ent-
spann sich folgendes Gespräch zwischen uns.
Sie fing zögernd an: „Sagen Se mal, Sie
sin doch och so'n Dichter," — ich nickte mit
bedauernder Zustimmung, — „nu habe ick
jehört, was die Frau Regierungsrath Ritter
is, dat soll och eene sind, is dar wohl wahr?"
Ich bejahte ihre Frage und darauf philo-
sophirte sie: „Ja, der Dichten! Et is
neAnjc wohn heit, — ick habe se nich!"
B. V. M.
Ein Jrrthuin
Ein Leutnant, seit kurzem glücklicher Bräu-
tigam , gibt eines Abends beim verlassen
seiner Wohnung seinem Burschen Weisung:
Er gehe jetzt zu seiner Braut, und Morgen
um 5 solle er ihn wieder wecken.
Am nächsten Tage um die angegebene
Stunde ist vor dem Haus der jungen Dame
ein Höllenlärm. Auf die Frage des erschreck-
ten Fräuleins nach der Ursache des furchtbaren
Skandals tönt es von draußen: „wollt' Herr
Leitnant gestern gehen zu gnädigem Fräulein,
und sollt' ich heute wecken um 5 Uhr."
Hochmut!)
Auf, dem Güte ist ein neuer Schäfer an-
gestellt. Pünktlich versieht er sein Amt, er
ist still und gewissenhaft und dabei kann tfyt
doch der Hofmeister augenscheinlich nicht recht
leiden. Ein paar Wochen sind vergangen, da
erkundigt sich der Pächter beim Hofmeister
nach dem neuen Knecht. Der Hofmeister will
erst nicht mit der Sprache heraus. — „Tjä,
dat is ja allens ganz gaud, awer. . awer!"
„Na, wat is denn los mit em?" fragt der
Pächter aufmunternd. Und zögernd kommt'
die Antwort: „Tjä, dei Kirl is to hochmäudig,
de snöfft*) sichn in'n Daug."**)
*) idmemt. *5’M Tuck.
UTeycr im Vatikan Julius Diez (München)
„Das ist also der berühmte Zeus von Otricoli! Hm! nach der Reklame Hab' ich mir eigentlich mehr vorgestellt."
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