Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 4.1899, Band 2 (Nr. 27-52)

DOI Heft:
Nr. 42 (14. Oktober 1899)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3779#0246
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. 42

JUGEND

1899

Hans Rossmann (München)

Manövertag

von Nurt Lainlah

' ^hoffnungsloser kalter Regen! von den Apfel-
bäumen rinnen Bäche und rieseln wie kleine
hurtige Schlangen in den grauen Schlamm der
öden endlosen Chaussee. Die munteren Gesänge
in der Batterie sind verstummt, selbst der begei-
sterte Sänger des Brommelbeerenliedes schweigt
und drückt mißmuthig das Wasser aus den voll-
gesogenen Tuchaufschlägen, pfeifen und Ci-
garren sind ausgegangen, verdrossen blicken die
Leute in den grauen Nebel. Die Pferde dampfen,
ihre Aufschläge senden Kothspritzer auf die
blauen ungeschützten Röcke, denn der Mantel
ist vorschriftsmäßig gerollt. Dumpf dröhnen
die Geschütze auf der Basaltschotterung, da-
zwischen leises Klingen und Klirren der Ketten
und des Zaumzeugs.

„Schauderhafte Schweinerei" lautet das Ur-
iheil des Batteriechefs, der wie eine verregnete
Nebelkrähe auf seinem Halbblut hockt und ver-
geblich dem feuchten Schnurrbart die standes-
gemäß emporgebürstete Form zu geben versucht.
„So'n Sauwetter! Batterie Tera-a-b!"

Zögernd setzen sich die Pferde in die ge-
wünschte Gangart, das Wasser quietscht in den
hohen Stiefeln der Reiter beim Auf- und Nie-
derwippen des Fußes im Bügel, und der Chaus-
seeschlamm übersät die auf dem Geschütz kau-
ernden Kanoniere mit grauen Klümpchen. Cin
Muthiger beginnt zu singen.

„Laß man, Dir regnets doch nur das Maul
voll!" knurrt ein Unteroffizier und gibt seinem
braunen Wallach verdrießlich die Sporen.

„Leutnant Rübe, haben Sie noch einen
Schnaps?"

„Zu Befehl, perr Pauptmann!"

Im Linksgalopp, denn „das verdammte
Biest springt immer falsch an," naht der Jüngste
im Regiment. Während des perankommens
versucht er den Kork von der Flasche zu ziehen
— quatsch, sie liegt im Schlamme, der tiefgelbe
Inhalt mischt sich mit der zähen Masse. Cin
Grinsen erhellt die Gesichter der Kanoniere des
ersten Geschützes.

„Donnerwetter, Rübe, Sie find ein Engel
von. Geschicklichkeit! Fragen Sie mal den Som-
merleutnant, der hat immer noch was!"

Der dicke Assessor hat sogar noch sehr viel,
aber im Nu ist seine Flasche geleert. „Noch
ein paar Kilometer!" sagt der Pauptmann.

Die drei reiten schweigend nebeneinander
und lassen sich den Regen an den Nasenspitzen
herunterlaufen, hinter ihnen ist es lebhafter
geworden. Der Vorderreiter des ersten Ge-
schützes hat einem Mädchen zugenickt, das ver-
legen lachend aus dem kleine!: Fenster eines
Bauernhauses hervorlugt. Derbe Worte fallen:

„Strammes Mächen! Willste mit? Dunner-
fchlag, bei der im Tuartier!" Der Kanonier
auf der letzten Lafette wirft eine Kußhand und
benutzt die Gelegenheit zum putzen der Nase
ohne Taschentuchanwendung. Dann wird es
wieder still in der Batterie. Am Pimmel wech-
seln dunkle, zerrissene Wolken mit gleichförm-
igem Grau, aber unablässig strömt der Regei:.
Keii: Mann hat den bekannten trockenen Fadei:
am Leibe. Die Gesichter sind gelbgrau gewor-

den. Die Fahrer habe,: sich durch den langen
Trab einigermaßen warm gehalten, die Zügel
glitsche:: ihnen durch die Finger. Das paar
der Pferde gleicht dem Fett des eben dem Wasser
entstiegenen Bibers, und das Geschirr ist grün-
schmutzig.

„Da unten liegt das Nest!" ruft der Bat-
teriechef. Der Sommerleutnant knurrt nur.
Aus dem gleichmäßigen Grau ragen röthliche
Dächer, unbestimmte Umrisse eines Kirchthurmes
verschwimmen im Nebel. Nach einer kleinen
Viertelstunde marschiren die Geschütze an der
Dorfstraße unter großer Theilnahme der Jugend
nebeneinander auf. Kurze Kommandorufe, Ras-
seln der Geschirre, Traxpeli: der ungeduldiger:
Pferde.

„peute Abend Grog und Skat in meinem
Tuartier, meine perren!"

Und der Pauptmann folgt eiligst dem führ-
e::dei: Burschen. Traurig blickt der Assessor auf
die verregnete neue Uniform: „Komme,: Sie,
Rübe, auf den Schreck erst eilten Cognak!"

„Ja, nun denke,: Sie mal erst im Kriege—"

„Ach, Unsinn! Krieg gibt's überhaupt nicht
mehr! Die Völker nehmen doch immer mehr
verstand an, kommen Sie nur rasch!"

Die Beiden verschwinden in der Dorfkneipe.
Der Regen fällt gleichmäßig nieder und ver-
treibt die neugierige Jugend. Cr wäscht den
Koth von den blauen Rädern und bald stehen
die Geschütze in einen: kleinen See. Mürrisch
geht her Posten auf und nieder, er klappert
mit den Zähnen und denkt an das Bauern-
mädchen am kleinen Fenster: „Dunnerschlag,
bei der jetzt im (Quartier!"

„Halb Murrn erschient, kalb Jlßolcb und Drache44

Fritz Rehm (München)
Register
Fritz Rehm: Halb Wurm erschien's
Kurt Kamlah: Manövertag
Hans Rossmann: Landschaft
 
Annotationen