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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 4.1899, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 44 (28. Oktober 1899)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3779#0280

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1899

Nr. 44

JUGEND

Latull-ZZerze

Don Gustav kühl
I. Der Dichterling
(Lholiainbisch)

Du kennst, mein lieber Heinz, den guten

Mießhaber:

Ein netter Mensch soweit, ein Hauptgesellschafter.
Nur leider Gottes auch Derseschmied, und

wie fruchtbar!

wenn ich taxiren soll: ein Stricker zehntausend
Gewiß! denn keinen läßt er untern Tisch fallen,
Und jede Kleinigkeit verräth den Liebhaber:
Buntfarbige Initialen, seidne Einbände,
Japanisches Papier die ganze Auflage.

Nun schlägst Du auf: Der witzige Gesellschafter
Mießhaber, er entpuppt sich als ein Steinklopfer,
Ein Ziegenhirt, eilt . . . Jeglicher Dergleich

scheitert.

wie soll man das erklären? Dort das Monocle
Und Pointen, Süßholz, Schnurrbart comme

il füllt, schneidig —
Und hier ein Tölpel, geistlos wie ein Heuschober,
Sobald er's mit dem Dichten kriegt. Und,

merkwürdig,

Der Kunde kennt kein höheres Glück als

Schriftstellern

Und kniet beseligt vor sich selbst —

Geniekrüppel!

Indeß, wer weiß! am Ende bin auch ich

gleichfalls

Und sind wir alle irgendworin Mießhabers.
Natürlich! Jedem wackelt 'ne Geh.irnschraube,
Und Niemand kann sich selbst von hinten

angucken.

Suffenus iste, Vare, quem probe nosti, / Homo
est venustus et dicax et urbanus / Idemque
longe plurimos facit versus. / Puto esse ego
illi milia aut decem aut plura / Perscripta,
nec sic ut fit in palimpsestos / Relata; chartae
regiae novae libri, / Novi umbilici, lora, rubra
membrana, / Derecta plumbo et pumice omnia
aequata. / Haec cum legas tu, bellus ille et
urbanus / Suffenus unus caprimulgus aut
fossor / Rursus videtur: tantum abhorret ac
mutet. / Hoc quid putamus esse? Qui modo
scurra / Aut si quid hoc venustius videbatur, /
Idem infaceto est infacetior rure, / Simul
poemata attigit; neque idem umquam / Aeque
est beatus ac poema cum scribit: / Tarn
gaudet in se tamque se ipse miratur. / Nimirum
idem omnes fallimur, neque est quisquam, /
Quem non in aliqua re videre Suffenum / Possis:
Suus cuique attributus est error, / Sed non
videmus manticae quod in tergo est.

V7euee von Serenissimus

Serenissimus wird von einem benachbarten
Prinzen besucht. Dieser, ein Literaturfreund,
bringt bei Tisch das Ge-
spräch — matt denke! —
aus Gerhart Haupt-
mann. Dabei richtet
er an Serenissimus die
Frage: „Haben Durch-
laucht schon ,Vor Son-
nenaufgang' gel.sen?"

„Vor Sonnenaufgang?

— Äh, nein! Ist auch
nicht nothweudig, äh,
habeja amTage Zeit
genug dazu." P.

e.e.

E. Ewerbeck

TOindroschcti

Mus dem TageßuD eines
Rekruten-Ofsiziers

von Freiherr v. Schlicht.

13. Oktober.

Die schönen Tage, die wir armen Sol-
daten nicht in Aranjuez, sondern Gott weiß
wo in welchem posemuckcl zubringen, sind
nun vorüber. Die soldatcnlose, die köstliche
Zeit ist nun zu Ende, übermorgen kommen
die Rekruten. Mir graut vor ihnen. Aber
was klage ich, der morgige Tag gehört ja
noch mir. Ich werde den Tag festlich be-
gehen.

14. Oktober.

Mir ist so, als wenn ich heute im Ka-
sino etwas viel getrunken hätte, mir ist nicht
ganz extra, sollte das von demäry des Greno
kommen? Zum ersten Mal in meinem Leben
habe ich den Sekt, den ich trank, gleich be-
zahlt — ich bin billig davon gekommen,
ich habe die Anderen bei dem Knobeln mit
der ganzen Zeche hineingclegt. Morgen
kommen die Rekruten — mir graut vor
ihnen.

15. Oktober.

Sie sind da. Entsetzlich.

IS. Oktober.

Sie sind immer noch da, obgleich ich sie
inzwischen wenigstens schon zwanzigtausend-
mal zum Teufel gewünscht habe.

17. Oktober.

Sie bleiben, ich sehe es ein. Ich ent-
gehe meinem Geschick nicht und muß auch
in diesem Jahr versuchen, aus der kostü-
mirten Heerde, die auf dem Kasernenhof





c


/. Diez (München)

herumläuft, Soldaten zu machen. Na, sie
sollen es gut bei mir haben, sie sollen die
Engel im Himmel pfeifen hören, wenn sie
ihre verdammte Pflicht und Schuldigkeit
nicht thun.

19. Oktober.

Heute habe ich von meinem Hauptmann
den ersten Anpfiff bekommen. Er stellte
mich darüber zur Rede, daß der Meier —
einem Meier entgeht kein Rekruten-Offizjer

— die Nase nicht genau über der Knopf-
reihe trüge. Meier's Nase ist gerade, ganz
gerade und sie sitzt ihm auch mitten im Ge-
sicht. Es wird ein Leichtes sein, die Nase
mit der Knopfreihe in Einklang zu bringen.

39. Oktober.

Meier's Nase sitzt immer noch schief.
Ich bekam heute den zweiten Rüffel, und in
längerer Rede setzte der Hauptmann mir
auseinander, daß er Meier's Nase nun bald
am richtigen Fleck zu sehen wünsche. Auch
sonst war der Häuptling sehr wenig zu-
frieden, nach seiner Meinung müßten die
Rekruten schon viel weiter sein, wie der
Hauptmann zu dieser Meinung kommt, ist
mir ein vollständiges Räthsel. wie man
von einem neugeborenen Kind nicht verlan-
gen kann, daß es auf Stelzen über den
Niagarafall geht und seine Eltern in einer
Schubkarre vor sich herschicbt, so kann man
auch von einem Rekruten nicht verlangen,
daß er nach kaum vierzehn Tagen schon
weiß, wozu er vom lieben Herrgott seine ein-
zelnen Gliedmaßen bekommen hat. Unsere
Leute sind schwer, sehr schwer von Begriff.
Kann man es ihnen verdenken? Ich bilde
mir gerade nicht ein, klüger zu sein als
irgend ein anderer Mensch, ich glaube aber
die für einen Sekondleutnant nöthigen
geistigen Fähigkeiten zu haben und mit der
Zeit auch noch einmal ein mittelmäßiger
Kompagniechef zu werden — ein „guter"
Kompagnicchcf werden zu wollen, ist ein
Unding, denn gute Kompagniechefs gibt cs
überhaupt nicht, wenigstens nicht nach An.
ficht der Vorgesetzten. Nun bin ich in's
Philosophiren gekommen und habe, ohne
mit Ariadne, geborene von Kreta, verwandt
oder verschwicgert zu sein, den von ihr er-
fundenen Faden verloren. Halt, ich weiß,
was ich sagen wollte. Man darf es den
Rekruten nicht verdenken, daß fie nicht Alles
verstehen, was die Vorgesetzten ihnen sagen

— ich verstehe z. B. auch nicht Alles, was
mir gesagt wird. Erst neulich hielt mir
mein Oberst eine donnernde Strafredc, weil
ich, ohne die Handschuhe angezogen zu haben,
auf der Straße gegangen sei, und während
der Kommandeur mich heruntermachte, als

ob ich das Vaterland
in Gefahr gebracht
hätte, dachte ich: „Ich
verstehe Dich nicht, wie
kann man sich nur we-
gen solcher Kleinigkeit
aufregen? wie kann
man sich überhaupt
nur aufregen."

15. November,
wenn das lange
noch so weiter geht.

710

.
Register
Frh. v. Schlicht: Aus dem Tagebuch eines Rekruten-Offiziers
Ernst Ewerbeck: Windröschen
Julius Diez: Lustige Jagd
Gustav Kühl: Catull-Scherze
[nicht signierter Beitrag]: Neues von Serenissimus
 
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