Nr. 48
JUGEND
1899
WWWW
Nacht voll Mond- und Sternenschein, Sanft, von LZinrmelsglanz erhellt, 6. E. Dodge f
Du verklärst die arnre Welt! Schläft des Tages Arrnuth ein. A. M.
DenriKsen und Denrtcbsen
von Theodor Andersen
^8^ährend eines Aufenthaltes in Dorfens
machte ich die Bekanntschaft von Schläch-
termeister Henriksen, dem lustigsten Burschen
der ganzen Stadt, voller Liedchen und Histör-
chen. Er hatte eine Liebste, eine wirkliche
kleine Knospe, wie er sagte; gesehen habe ich
sie nie. — Binnen Kurzem sollte die Hochzeit
sein, er hätte mich gerne dabei gehabt, aber
ich konnte nicht so lange bleiben, und so mußte ich
versprechen, ihn möglichst bald in seinem neuen
Heim zu besuchen, wir gaben uns die Hand
darauf und dann reiste ich ab. —
■ Drei Jahre vergingen, bis ich wieder nach
Dorfens kam. Ich wußte nicht, wo mein
Freund Henriksen wohnte, aber ein kleiner
Junge zeigte mir den weg. Henriksen war
nicht daheim, seine Frau empfing mich. Ich
war etwas überrascht bei ihrem Anblick, sie
war so groß, daß ich den Kopf zurückbiegen
mußte, um zu ihr hinaufzusehen, aber wohl-
beleibt war sie, wie eine Schlächtersfrau sein
soll. Und das hatte Henriksen eine wirkliche
kleine Knospe genannt; er mußte eigene Be-
griffe von kleinen Knospen haben — Gott
weiß, wie alsdann seine großen Knospen aus-
sahen! —
Ich erzählte, wer ich sei, und daß ich auf
der Durchreise Halt in Mörsens gemacht, um
meinen Freund Henriksen zu besuchen. — Ja,
das sei nun schade, daß er nicht mal zu Hause
sei und vor drei Tagen nicht zurückkomme.
— Ist er vielleicht auf's Land, um Vieh zu
kaufen? fragte ich. — Ich saß bereits und
schaukelte mich in einem amerikanischen Schau-
kelstuhle und das Mädchen brachte bayrisch
Bier. — Frau Henriksen war gastfreundlich
wie eine echte Jütländerin, das merkte ich gleich.
— Nein, er sei nicht auf's Land — antwortete
sie langsam und zögernd. — „Vater brummt!"
— tönte es von der Thüre her und ich erblickte
einen kleinen, dickköpfigen Jungen von etwa
sechs Jahren, der dort stand und mit dem
rechten Fuß an der Thüre scharrte. — Das
war die zweite Ueberraschung. Henriksen war
seit dritthalb Jahren verheirathet und hatte
schon einen sechsjährigen Sohn? — Sagen
wollte ich nichts zu der Frau — ich kann sehr
rücksichtsvoll sein, namentlich Damen gegenüber.
— was heißt das: er „brummt"?" — fragte
ich. — Die Frau lachte ein wenig: Sie wissen
ja, er hatte immer eine lockere Hand: wenn
er zornig wird, schlägt er eben drauf los und
wenn er alle die Geldstrafen zahlen wollte,
die er aus diesem Grunde erhält, dann könnten
wir unfern Laden nur gleich schließen, deshalb
sitzt er seine Bußen ab. Heute Morgen ist er
zum Brummen gegangen, drei Tage bleibt er
dort, und am Donnerstag in der Früh' kommt
er wieder. — Das war die dritte Ueberraschung
— das mit Henriksens lockerer Hand, ich hatte
ihn stets für den gutmüthigsten Menschen von
der Welt gehalten. — Madame war, wie ge-
sagt, sehr gastfreundlich, ich wurde sofort im
Gastzimmer untergebracht und wohnte während
der drei Tage, die Henriksen brummte, dort.
— Ich hatte es wie die perle im Golde und
ging Abends mit der Hausfrau und dem kleinen
Gle spazieren. —
Am Donnerstag Morgen machte ich mich
nach dem Gefängniß auf, um meinen Freund
Henriksen in Empfang zu nehmen, wir trafen
uns auf halbem Wege. Die Freude war groß
auf beiden Seiten. — Guten Tag, mein lieber
Henriksen — ich soll Dich von Deiner Frau
grüßen, ich wohne bereits drei Tage bei Dir,
währenddem Du brummtest.-Henriksen
trat erschrocken einen Schritt zurück: — Bist
Du verrückt? Dann hast Du ja nicht bei mir
gewohnt, sondern bei Henrichsen mit ch —
einem Menschen, den Du gar nicht kennst! —
Mach' daß Du fort kommst — der schlägt Dich
todt, wenn er Dich erwischt; seine Frau wird
ihm gleich erzählen, daß Du hellgraue Bein-
kleider und hellgrauen Hut hast. Geh mit mir
heim, ich borge Dir ein paar dunkle Hosen und
meinen Bräutigamshut und dann sieh', daß
Du baldmöglichst aus der Stadt kommst, wenn
Du nicht Lust hast, Arme und Beine entzwei
geschlagen zu bekommen. — So etwas! —
Das war die schlimmste Ueberraschung! —
Als ich mich umgekleidet, in dunkle Hose
und hohen Hut, und aus dem Wege zur Bahn
war, sagte mein Freund Henriksen zu mir: Du
wirst sehen, wir treffen Henrichsen auf dem
Bahnhof. — von Zeit zu Zeit drehte er sich
um und plötzlich sagte er: Richtig — dort
kommt er — nun sei nur ruhig. — Ich konnte
es nicht lassen, mich umzusehen: Ja, da kam
ein großer Mann mit mächtigen Schaftstiefeln
und langen Schritten. — Guten Tag, Henrichsen
— sagt Henriksen. — Guten Tag, Freund
Henriksen — keine Zeit — muß hin und einen
Hallunken durchbläuen! — Er rast vorbei,
wendet sich aber gleich wieder um: Stell' Dir
nur vor, irgend so ein Gauner benützt meine
Abwesenheit, drei Tage lang auf meine Kosten
zu leben, gibt sich für meinen Freund aus,
liegt in meinen Betten, ißt an meinem Tisch,
raucht meine Pfeifen und lustwandelt nach
Karolinelund mit meiner Frau und. meinem
Kind. Ich schlage ihn todt allermindestens,
das Recht wird mir Keiner ableugnen können.
— Kennst Du ihn denn überhaupt? — Frei-
lich kenne ich ihn — hellgraue Hosen, hell-
grauen Hut! Todtschlagen thue ich ihn! —
Henrichsen wollte weiter, doch Henriksen hielt
ihn zurück: wart ein wenig, wir gehen ja
mit, ich will meinen Freund zur Bahn begleiten.
— Henrichsen reichte mir die Hand: Freut
mich, Ihre Bekanntschaft zu machen! — So
gingen wir zusammen. Ich war nicht sehr
entzückt über diese Begleitung und ärgerte mich,
daß Freund Henriksen seinen Spaß mit uns
trieb. —
Als wir den Bahnhof betraten, schnüffelte
Henrichsen — mit dem ch — wie ein Ratten-
fänger nach einem Mann mit hellgrauem Hut.
Lin Schaffner glaubte einen hellgrauen Hut
gesehen zu haben, er mußte bereits im Eoupe
sitzen. Henrichsen löste ein Billet nach Iving-
strup und setzte sich zu mir. Als der Zug in
Ivingstrup hielt, stürmte er hinaus und guckte
in so viele Eoup^s, als er deren bewältigen
konnte, nahm Billet nach Hovedgaard, setzte
sich wieder zu mir. So machte er es, bis wir
nach Aarhus kamen, dann meinte er, der Mann
mit dem hellgrauen Hut müsse noch in Horsens
sein. Beim Abschied drückte er mir die Hand:
Sie können mir's glauben, ich finde ihn und
dann schlage ich ihm alle Knochen entzwei,
wenn Sie mal wieder nach Horsens kommen,
kehren Sie ein bei uns, wir haben immer ein
Gastzimmer bereit. —
Aber ich bin seither nicht mehr in Horsens
gewesen, ich warte lieber damit, bis Schlächter-
meister Henrichsen — mit dem ch — aus der
Stadt fortgezogen ist. —
(Aus dem Dänischen von Hans Jürgens)
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Nacht voll Mond- und Sternenschein, Sanft, von LZinrmelsglanz erhellt, 6. E. Dodge f
Du verklärst die arnre Welt! Schläft des Tages Arrnuth ein. A. M.
DenriKsen und Denrtcbsen
von Theodor Andersen
^8^ährend eines Aufenthaltes in Dorfens
machte ich die Bekanntschaft von Schläch-
termeister Henriksen, dem lustigsten Burschen
der ganzen Stadt, voller Liedchen und Histör-
chen. Er hatte eine Liebste, eine wirkliche
kleine Knospe, wie er sagte; gesehen habe ich
sie nie. — Binnen Kurzem sollte die Hochzeit
sein, er hätte mich gerne dabei gehabt, aber
ich konnte nicht so lange bleiben, und so mußte ich
versprechen, ihn möglichst bald in seinem neuen
Heim zu besuchen, wir gaben uns die Hand
darauf und dann reiste ich ab. —
■ Drei Jahre vergingen, bis ich wieder nach
Dorfens kam. Ich wußte nicht, wo mein
Freund Henriksen wohnte, aber ein kleiner
Junge zeigte mir den weg. Henriksen war
nicht daheim, seine Frau empfing mich. Ich
war etwas überrascht bei ihrem Anblick, sie
war so groß, daß ich den Kopf zurückbiegen
mußte, um zu ihr hinaufzusehen, aber wohl-
beleibt war sie, wie eine Schlächtersfrau sein
soll. Und das hatte Henriksen eine wirkliche
kleine Knospe genannt; er mußte eigene Be-
griffe von kleinen Knospen haben — Gott
weiß, wie alsdann seine großen Knospen aus-
sahen! —
Ich erzählte, wer ich sei, und daß ich auf
der Durchreise Halt in Mörsens gemacht, um
meinen Freund Henriksen zu besuchen. — Ja,
das sei nun schade, daß er nicht mal zu Hause
sei und vor drei Tagen nicht zurückkomme.
— Ist er vielleicht auf's Land, um Vieh zu
kaufen? fragte ich. — Ich saß bereits und
schaukelte mich in einem amerikanischen Schau-
kelstuhle und das Mädchen brachte bayrisch
Bier. — Frau Henriksen war gastfreundlich
wie eine echte Jütländerin, das merkte ich gleich.
— Nein, er sei nicht auf's Land — antwortete
sie langsam und zögernd. — „Vater brummt!"
— tönte es von der Thüre her und ich erblickte
einen kleinen, dickköpfigen Jungen von etwa
sechs Jahren, der dort stand und mit dem
rechten Fuß an der Thüre scharrte. — Das
war die zweite Ueberraschung. Henriksen war
seit dritthalb Jahren verheirathet und hatte
schon einen sechsjährigen Sohn? — Sagen
wollte ich nichts zu der Frau — ich kann sehr
rücksichtsvoll sein, namentlich Damen gegenüber.
— was heißt das: er „brummt"?" — fragte
ich. — Die Frau lachte ein wenig: Sie wissen
ja, er hatte immer eine lockere Hand: wenn
er zornig wird, schlägt er eben drauf los und
wenn er alle die Geldstrafen zahlen wollte,
die er aus diesem Grunde erhält, dann könnten
wir unfern Laden nur gleich schließen, deshalb
sitzt er seine Bußen ab. Heute Morgen ist er
zum Brummen gegangen, drei Tage bleibt er
dort, und am Donnerstag in der Früh' kommt
er wieder. — Das war die dritte Ueberraschung
— das mit Henriksens lockerer Hand, ich hatte
ihn stets für den gutmüthigsten Menschen von
der Welt gehalten. — Madame war, wie ge-
sagt, sehr gastfreundlich, ich wurde sofort im
Gastzimmer untergebracht und wohnte während
der drei Tage, die Henriksen brummte, dort.
— Ich hatte es wie die perle im Golde und
ging Abends mit der Hausfrau und dem kleinen
Gle spazieren. —
Am Donnerstag Morgen machte ich mich
nach dem Gefängniß auf, um meinen Freund
Henriksen in Empfang zu nehmen, wir trafen
uns auf halbem Wege. Die Freude war groß
auf beiden Seiten. — Guten Tag, mein lieber
Henriksen — ich soll Dich von Deiner Frau
grüßen, ich wohne bereits drei Tage bei Dir,
währenddem Du brummtest.-Henriksen
trat erschrocken einen Schritt zurück: — Bist
Du verrückt? Dann hast Du ja nicht bei mir
gewohnt, sondern bei Henrichsen mit ch —
einem Menschen, den Du gar nicht kennst! —
Mach' daß Du fort kommst — der schlägt Dich
todt, wenn er Dich erwischt; seine Frau wird
ihm gleich erzählen, daß Du hellgraue Bein-
kleider und hellgrauen Hut hast. Geh mit mir
heim, ich borge Dir ein paar dunkle Hosen und
meinen Bräutigamshut und dann sieh', daß
Du baldmöglichst aus der Stadt kommst, wenn
Du nicht Lust hast, Arme und Beine entzwei
geschlagen zu bekommen. — So etwas! —
Das war die schlimmste Ueberraschung! —
Als ich mich umgekleidet, in dunkle Hose
und hohen Hut, und aus dem Wege zur Bahn
war, sagte mein Freund Henriksen zu mir: Du
wirst sehen, wir treffen Henrichsen auf dem
Bahnhof. — von Zeit zu Zeit drehte er sich
um und plötzlich sagte er: Richtig — dort
kommt er — nun sei nur ruhig. — Ich konnte
es nicht lassen, mich umzusehen: Ja, da kam
ein großer Mann mit mächtigen Schaftstiefeln
und langen Schritten. — Guten Tag, Henrichsen
— sagt Henriksen. — Guten Tag, Freund
Henriksen — keine Zeit — muß hin und einen
Hallunken durchbläuen! — Er rast vorbei,
wendet sich aber gleich wieder um: Stell' Dir
nur vor, irgend so ein Gauner benützt meine
Abwesenheit, drei Tage lang auf meine Kosten
zu leben, gibt sich für meinen Freund aus,
liegt in meinen Betten, ißt an meinem Tisch,
raucht meine Pfeifen und lustwandelt nach
Karolinelund mit meiner Frau und. meinem
Kind. Ich schlage ihn todt allermindestens,
das Recht wird mir Keiner ableugnen können.
— Kennst Du ihn denn überhaupt? — Frei-
lich kenne ich ihn — hellgraue Hosen, hell-
grauen Hut! Todtschlagen thue ich ihn! —
Henrichsen wollte weiter, doch Henriksen hielt
ihn zurück: wart ein wenig, wir gehen ja
mit, ich will meinen Freund zur Bahn begleiten.
— Henrichsen reichte mir die Hand: Freut
mich, Ihre Bekanntschaft zu machen! — So
gingen wir zusammen. Ich war nicht sehr
entzückt über diese Begleitung und ärgerte mich,
daß Freund Henriksen seinen Spaß mit uns
trieb. —
Als wir den Bahnhof betraten, schnüffelte
Henrichsen — mit dem ch — wie ein Ratten-
fänger nach einem Mann mit hellgrauem Hut.
Lin Schaffner glaubte einen hellgrauen Hut
gesehen zu haben, er mußte bereits im Eoupe
sitzen. Henrichsen löste ein Billet nach Iving-
strup und setzte sich zu mir. Als der Zug in
Ivingstrup hielt, stürmte er hinaus und guckte
in so viele Eoup^s, als er deren bewältigen
konnte, nahm Billet nach Hovedgaard, setzte
sich wieder zu mir. So machte er es, bis wir
nach Aarhus kamen, dann meinte er, der Mann
mit dem hellgrauen Hut müsse noch in Horsens
sein. Beim Abschied drückte er mir die Hand:
Sie können mir's glauben, ich finde ihn und
dann schlage ich ihm alle Knochen entzwei,
wenn Sie mal wieder nach Horsens kommen,
kehren Sie ein bei uns, wir haben immer ein
Gastzimmer bereit. —
Aber ich bin seither nicht mehr in Horsens
gewesen, ich warte lieber damit, bis Schlächter-
meister Henrichsen — mit dem ch — aus der
Stadt fortgezogen ist. —
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