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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 4.1899, Band 2 (Nr. 27-52)

DOI Heft:
Nr. 48 (25. November 1899)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3779#0352
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JUGEND

Nr. 48

An Karl May

Ein Prager Blatt veröffentlicht einen Brief
des bekannten Jugendschriftstellers Karl May
ans Ceylon, worin dieser behauptet, in einer
unbewohnten Gegend ungeheure Goldfelder
entdeckt zu haben. Er fährt dann fort: „Ich
bin nicht im Mindesten erregt über diese Ent-
deckung, sondern vollständig kalt. Nur wenn
fick) die Ausbeutung durch eine deutsche An-
siedelung ermöglichen ließe, »vürde mich mein
Patriotismus vielleicht veranlassen, nähere An-
gaben zu machen."

Du hast schon mancherlei berichtet,
wobei man schütteln mag das Haupt
Und denken mag, das war' erdichtet,

Ich aber Hab Dir doch geglaubt,
von Heldenthaten, Ungeheuern,

Jenseits des Meers, hast Du erzählt,

Aus den fatalsten Abenteuern
Gingst Du hervor stets neu gestählt.

So schweres oft wurde Dir zu glauben,

Ich glaubte dennoch Dir, Karl May,

Doch diesmal mußt Du mir erlauben,

Zu zweifeln, daß es Wahrheit sei!

Du sagst, Du hättest Gold in Massen
Entdeckt, doch lasse dies Dich kalt,

Denn Jeder sei von Gott verlassen,
wem Dämon Gold das Herz umkrallt.

Nicht im Geringsten zu beneiden,

So sagst Du, sei ein solcher Mann,
weil Leib und Seele Schaden leiden
Unfehlbar in des Goldes Bann.

Sehr gut gebrüllt, Karl May! Doch weiter:
Dich selber läßt das Gold zwar kühl,

So fährst Du fort — das find' ich heiter —
Jedoch Dein Nationalgefühl,

Das würde Dich vielleicht bewegen,

Uns Deutschen — ha, ich les' und staun' —
Den Fluch, der aussieht wie ein Segen,

Das schnöde Gold.anzuvertrau'n! —

Ich warf das Blatt auf den Bureau-Tisch,
Das dies erzählt, und rief empört:

„wieso? Das nennt er patriotischst
wenn er uns Leib und Seel' zerstört?"

Doch milder sprach ich dann: „Nicht glauben
Kann ich Dir diesesmal, verzeih!

Du selbst verschmähst die sauren Trauben —
Du bist ein alter Fuchs, Karl May!"

Bohcmund

cv«Bo

vom Terrorismus

Max N o r d a u hat vor einiger.Zeit mit
der Stirn eines Nicht-Entarteten protestirt
gegen den Terrorismus, dendiemo-
der ne Kunst gegen die alte aus übe.
Er hat recht. Das ist der alte Terrorismus,
unter dem die Welt seit ihrer Entstehung
seufzt, der Terrorismus des Lämmleins gegen
den armen Wolf, der sich solcher Vergewaltig-
ung nur dadurch erwehren kann, daß er es
frißt. Zehn, fünfzehn Jahre lang hat die
moderne Kunst nichts als Püffe und Schimpfe
bekommen, und das sollte nun mit einem
Male anders werden? Dieses verlangen muß
in der That als ein unerträglicher Terroris-
mus bezeichnet werden. Aber ist es etwa nur
in der Kunst so? Rat der große Max etwa
nicht die Krankheit der Zeit erkannt? Terroris-
mus überall, wohin wir blicken! was ist
aber Terrorismus? Terrorismus ist:
wenn man sich ihn nicht mehr gefal-
len lass e n will!! Und dagegen sollten
wir nicht Front machen? Ich dächte doch!
Und ich dächte auch, wir sollten dabei weniger

das Wort „Schreckensherrschaft" als das Wort
„Terrorismus" brauchen. „Terrorismus"
hat diese prächtig schnurrenden „rrr", die an
das Knurren eines Bluthundes erinnern, be-
sonders, wenn man sie fett druckt, wir sind
in der angenehmen Lage, sogleich ein paar
Fälle von krassem Terrorismus anzuführen
und zugleich die übliche Form des Protestes
hinzuzufügen.

Also:

In einer öffentlichen Versammlung zu
Groß-Kleckerheim wurde mit 352 gegen 3
Stimmen die Einführung einer regelmäßigen
Straßenreinigung beschlossen. Gegen diesen
unerhörten Terrorismus rc.

Die Münchener Zeitschrift „Jugend" lehnte
das Gedicht eines selbst bei Pose angesehenen
ehrwürdigen Dichters ab, weil der Gedanke,
daß die Liebe ein schönes Gefühl sei, ver-
braucht (!!) wäre und die Zeilen:

„Der Liebe huldigt die gesammte Menschheit
Vom Uapoa-Archipel bis Remscheid"
nicht für völlig einwandfrei gelten könnten. (!!)

Daß die echte, wahre, die hohe Kunst nicht
gedeihen kann, wenn der moderne Terroris-
mus rc.

In Pockendorf hatte ein junger, lebens-
lustiger Schneidergeselle in 3 Tagen q. Knopf-
löcher genäht, darunter mehrere ungenügend.
Er wurde von seinem Meister kurzweg ent-
lassen. wenn die Arbeiter sich einen solchen
Terrorismus gefallen lassen rc.

Auf der Zeche „Arbeiterglück" kamen an
einem Morgen wegen nicht völlig ausreichen-
der Schutzvorrichtungen 5 Arm-, 9 Bein- und
t8 Genickbrüche vor. Die Arbeiter erklärten,
nicht eher wieder anfahren zu wollen, als bis
für genügenden Schutz gesorgt wäre. Jeder,
der selber Herr in seinem kaufe sein möchte,
muß sich sagen, daß die Negierung ganz ein-
fach ihre Pflicht thut, wenn sie gegen einen
derartigen Terrorismus der Arbeiter rc.

Ein Herr von E., Großgrundbesitzer in
Schlesien, hatte in einem Berliner Restaurant
mit \5 Freunden ein Sekt-Frühstück einge-
nommen. vor einigen Tagen erhielt er von
dem Besitzer des Restaurants eine Rechnung
zugestellt. Man kann es den Landwirthen
wahrhaftig nicht verdenken, wenn sie gegen
den Terrorismus der unproduktiven Stände rc.

In Eravattenstedt wurde ein Mann ver-
haftet, der Geld gegen 3000 °/o Zinsen aus-
geliehen hatte, wenn man schließlich nicht
'mal mit seinem eigenen Gelde thun kann,
was man will, so müssen wir doch sagen,
daß ein solcher Grad von Terrorismus rc.

In einer Dorfschule bei Aachen oder Trier
hatte der geistliche Schulinspektor einen Knaben,
der auf Antrag seiner Eltern aus der Schule
entlassen werden sollte, geprüft und ihm, nach-
dem er ein kleines deutsches a für eine röm-
ische V angesehen und auf die Frage nach
einer Giftpflanze den sauren Aal genannt,
auch sonst in Glaubenssachen sich wohlbe-
wandert gezeigt hatte, das Zeugniß der Reife
ertheilt. Auf Veranlassung des Kreisschul-
inspektors ist aber jetzt den Eltern aufgegeben
worden, den Knaben noch weiterhin zur Schule
zu schicken. Den wahren Freund der Frei-
heit muß es mit tiefer Besorgniß erfüllen,
wenn er bedenkt, daß die bedrängten Gewissen
der Eltern schließlich in einer furchtbaren
Eruption gegen diesen Terrorismus rc.

Jan de Orient

O^

Z e r 0 lt I e b e hatte sich für die Verhandlung
vor dem Staatsgerichtshof drei Vertheidiger
genommen. Ein Irrenarzt wäre heilsamer
gewesen.

Selbsterkennmiß

Dame: Nun, Herr Studiosus, jetzt können
Sie also De. ing. werden, nicht wahr?

Studiosus Süffel: I ch g l a u b e ni cht.
Register
[nicht signierter Beitrag]: Selbsterkenntniß
Bohemund: An Karl May
Jan de Grient: Vom Terrorismus
Monogrammist Frosch: Aus der englischen Geschichte: Krieg gegen die Buren 1899
[nicht signierter Beitrag]: Déroulède hat sich...
[nicht signierter Beitrag]: Déroulède hatte sich...
Signatur nicht identifiziert: "Splendid Isolation!"
 
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