»I
1809
Vor einem M!de
Von Detlev von Liliencron
Den großen park durchglüht die Julisonne,
Und still ists so: Die Schlangen hör ich athmen.
Die, schlafend, sich die Schuppen brennen lassen.
Sag Du, vor dem ich jetzt im Saal allein
In dieser schwülen, heißen Stunde stehe:
Du warst mein Ahn. Hab ich von Deinem Sinn?
von Dir durch Kind und Kindeskind herab
Tropft mir Dein Blut; durch Kind und Kindeskind
Ists fortgestckert bis in meine Adern.
Li, welch ein großer Herr und Zeldmarschall
Schaut würdevoll-hochmüthig auf mich nieder:
Im Panzer, wie die Zeit es damals liebte,
wenn auch der sammtne Rock, die Lscarpins,
Das Lifenkleid, die Stacheln längst verdrängten.
Die mächtige perrücke, wohlgekräuselt,
Zällt auf die Schulterschienen, ah, pompös!
Links steht der goldne Helm, mit reichen Zedern.
Auf kleinem Marmortisch. Die Rechte zeigt,
Den Marschallstab umfassend, in die Lbne.
Im Hintergründe führt der wahr den Schecken.
Gewaltiger, nun bitt ich, steh mir Rede:
Zuvörderst möcht ich wissen, was von Dir,
von Deinem Geiste mir, von Deinem Herzen
Ins Blut gegangen ist; was ich von Dir
In meinem ganzen Wesen in mir habe.
Den Hochmuth? Die grandiose Würdigkeit?
Das unbeschränkte, reiche Selbstbewußtsein?
Den unfehlbaren Ligendünkel? Wie?
Ich fühle nichts davon, Du kannst mirs glauben.
Doch da entdeck ich einen leisen Zug
Um Deine Mundwinkel, der mir vertraut ist.
was? Weltverachtung? Dder zeigt er nur,
Daß Du die Menschen kanntest, ihre Schliche,
Mit denen wir, wir ärmsten, uns betrügen,
Um halbwegs nur im Leben zu bestehn?
Ja, nun erkenn ich: Dieser leise Zug,
Der kaum ein Lächeln unterdrücken kann,
Das ist Humor, der war zu eigen Dir.
vielleicht, daß mir, der Himmel fei gepriesen.
Davon ein wenig in den Augen kitzelt,
Das also hätt ich denn von Dir, Seigneur.
Und wer Humor hat, darf dein Schicksal danken,
Lr bringt ihn über manche Stunde weg,
Die unerträglich sonst zu leben wäre.
Run möcht ich wissen, wer von Deinen Ahnen
Dir das gegeben, was Du mitgeführt hast:
. JUGEND -
D
•s.i'r
M
jif
m
m
sr
yy »
Etz
«w*
st?
Nr. 49
von dem die würde, und von dem die Prunksucht,
von dem die Tapferkeit und die Verschwendung?
Ja, was für Zragen möcht ich noch Dir stellen.
Vielleicht stammst Du von Hermann, dem Cherusker,
vielleicht von einem Bettler, der so arm,
Daß er nicht wußte, ob er morgen Brod,
Db er ein widderfell zum Schlafen habe,
vielleicht von einem Räuber, der sein Gut
Durch Mord und Totschlag tüchtig sich erworben,
Und dessen Sohn, ein braver Hausvater,
Sich seinen Reichthum mehrte durch Verstand?
CD all die Zragen, mir wird wunderlich
Dabei zu Muthe. Aber das ist sicher:
von unsern vordern, mir wie Dir, Zeldmarschall,
Steckt Blut in Dir und mir. Höchst amüsant:
wem ich mein eigen Herz und meine Sinne.
Und alle meine vielen schlimmen Triebe
Und meine wenigen guten wohl verdanke
von all den Vätern, die vor mir auf Lrden
Bis in die höchste Vorzeit sich 'rumtrieben?
Du schweigst. Ich schweige auch. Denn nichts zu wissen
Ist unser aller Lrbantheil hienieden.
Den großen park durchglüht die Julisonne,
Und still ists so: Die Schlangen hör ich athmen,
Die, schlafend, sich die Schuppen brennen lassen.
Am vierten Tage
Von Peter Rosegger
'lso gut, sprechen wir von etwas Anderem. Sage mir
einmal, lieber Freund, in welcher Zeitepoche hättest
Du am liebsten leben mögen?
Ich? Du kannst Dir's denken. In der ersten Jugend
der Welt natürlich.
So l Am Ende wohl gar als Zeitgenosse von Adam
und Eva?
Noch etwas früher.
Noch früher? wie wäre das? Du würdest doch nicht
dem lieben Gott Vater beim welterschaffen haben helfen
wollen?
So etwas. Aber damit ist eigentlich nicht viel ge-
sagt. wir helfen ihm jeden Tag beim welterschaffen.
Auch heute. Denn der Herr ist noch lange nicht fertig
damit und wird nicht fertig. Die Vollendung der Welt
wäre ihr Ende. Nein, da möchte ich nicht dabei sein.
Lassen wir das. Meine Antwort auf diese Frage ist
— da wir schon dabei sind — in der That etwas bib-
lisch. Ich möchte gelebt haben in der ersten Schöpfungs-
woche, etwa so nach dem vierten Tag.
Aber Mensch! Damals war ja noch Alles ganz und
gar unfertig. Du wärest dem Weltschöpfer nur im Wege
gestanden.
V
7*9
Wanda v. Kanowski (München)