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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 4.1899, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 50 (9. Dezember 1899)
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Nr. 50

JUGEND

1899

Das ließ eine hshe Frau erstch'n,

Eine kaiserkronengeschmückte.

Ihr Herzblut verrann, und in reinen

Höh'n

weilt jetzt die weltentrückte.

Befreit von Leid und von Wahn und

Schuld,

Zu Füßen ihr laß ich mich nieder
lind singe von edler Frauen Huld
Andere schönere LiederI

Bohemund

«8.

Deinrich Leine's Seele

Von Otto Ernst

® Heine's hundertjähriger Geburtstag
in dieses Jahr oder ob er zwei Jahre
früher fällt, das ist für uns eine der denk-
bar gleichgültigsten Fragen. Er gehört zu
denen, die zwei Jahre und noch viel länger
auf die verdiente Würdigung warten
können. Er weiß, daß sie ihm sicher ist.

Er wußte das schon damals, als
er noch unter den Irdischen weilte.
Denn er war ein unendlich kluger
Mann. Er hatte nicht nur ein geni-
ales Gefühl, sondern auch einen geni-
alen Intellekt. Er hatte — wie schon
Gutzkow bemerkte, aber nicht entfernt mit
Konsequenz begriff — die Gabe des doppel-
seitigen Blickes, den Blick für beide Seiten
des Dinges. Der fanatische Parteimann,
der beschränkte Fraktionspolitiker, der ästhe-
tische Richtungspfaffe sieht nur das Recht
seiner Partei und nicht das Recht seiner
Gegner, oder wenn er es sieht, ist er zu
unehrlich, es anzuerkennen. Wenn dies das
Erforderniß für einen Politiker ist, dann
war Heine kein Politiker. Er sah nicht nur
das Recht der Gegner; er war auch offen
und ehrlich und rücksichtslos genug, zu sagen
und zu schreiben, was er gesehen hatte. Er-
griff auf das Schonungsloseste die Fürsten,
die Kirchen und ihr Dogma, den Adel und .
seine Prätensionen an und geißelte sie mit
der ganzen Schärfe seines Spottes; aber er
war Zeit seines Lebens ein überzeugter
Monarchist, hatte ein tiefes Verständnis für
das religiöse Bedürfniß der Menschheit, für
die großen Momente des Christenthums
und des Judenthums und war in seinen
sozialen Ansprüchen durchaus Aristokrat.
Solche Menschen sind selten sehr beliebt;
sie werden von den Metternichs ebenso
schlecht behandelt wie von den Börnes;
aber sie können verdammt interessant, ihre
Bücher können viel gelesen sein, und eine
spätere Zeit vermag sie and) zu lieben.

Die Satire sieht die Schwächen des Fein-
des und lacht; der Humor sieht die Schwä-
chen bei Freund und Feind und — lächelt.
War denn nun Heine, der beide Seiten sah,
ein Humorist? Fr. Th. Bischer hat uns in
Anlehnung an den Goethesichen „Faust"
den Humor erklärt als das feste Vertrauen
daß, mag es in der Welt noch so toll
darunter und d'rüber gehen und das Böse
oder Schlechte noch so viele Theilsiege er-
ringen, das Gute doch immer und endlich
die Oberhand behält. Ist nun der allein
ein Humorist, in dem dieses Vertrauen nie-
mals wankt und der den Weltlauf mit ujf

Lin Glückwunlch-Lkluch

Ich-

Freund Heine, zum hundertsten

Wiegenfest

Mein Gruß Dir entgegenfliege.

Bleib froh und gesund in dem

wohligen Nest,

In der prächtigen Ienseitswiege.

Er.

Ich dank' Dir, gelehriger Papagei,
Gar viele gibt's Deines Gleichen,

Ihr plappert nach meiner Melodei
Und glaubt, Ihr könnt mich erreichen.

Ich.

Das liegt mir ferne, wie Du zu sein,
Dies wünschen war' unverständig.

Denn soll ich als Todter unsterblich sein,
Da bleib' ich doch lieber lebendig.

Er.

Du imitirst mich — es thut mir leid —
Schon wieder. Ich wär' Dir verbunden,
wenn Du mir thätest im Ernste Bescheid,
wie's Euch jetzt geht dort unten?

Ich.

Auf Erden geht Alles den alten Gang,
Doch Deutschland, das einst so

zerstückelt

Und stumpfsinn-beherrscht war

— nun Gott sei Dank —

Es hat sich recht nett entwickelt.

Er.

Und der Fortschritt der Menschheit?

Ich.

Der hält sich brav,
Darüber ist nicht zu klagen,

Erfunden wurde der Phonograph
Und der selbst sich bewegende wagen.
Schon telegraphiren wir ohne Draht
Und leuchten mit Röntgen'schen

Strahlen

Und reiten einher auf dem rollenden Rad,
Das ist kein Flunkern und prahlen.
Die Luftschiffreise zum nördlichen Pol
Und im Haag der ewige Frieden.

Fast wär' uns bereits das Eine sowohl
Als das Andre gewesen beschieden.

Er.

Und sag' mal, was macht denn der

Atta Troll?

Gedenkt er noch manchmal meiner?

Ich.

Er ist noch immer charaktervoll
Und riecht noch immer nicht feiner.

Und daß Du ein Denkmal ihm hast gefetzt.
Das hat seinen Groll noch gesteigert,
Er rächt sich, indem er Dir selber jetzt,
(!) Heine, ein Denkmal verweigert!

Er.

was thut's? Versagt auch der Bär

mir den Rranz,
So ist doch in fernen Landen
Unterm tiefblauen Himmel Griechenlands
Ein Denkmal mir erstanden.

— „ßo, in holden Hindernissen
ÖDCmd’ ich mich mit Iiust und Iieid,

OOCährend Andre kämpfen müssen
In dem grossen Kampf der Len."

(Prolog zu „Neuer Frühling“)
Register
Bohemund: Ein Glückwunsch-Besuch
Max Bernuth: Zeichnung zum Prolog zu "Neuer Frühling"
Otto Ernst: Heinrich Heine's Seele
 
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