1899
Nr. 50
Kaput I
Gestehen muß ich: Die Sehnsucht allein
Trieb nicht mich auf die Reise,
Ein Bischen Dichtereitelkeit
Sprach mit, wenn auch nur leise!
Ich wollte seh'n, wie lang mein Ruhm
Mein Leben überdauert,
Ich wollte seh'n, wo mir mein Volk
Ein Denkmal aufgemauert;
Und wie sie heute sprächen von mir,
Getaufte und Ungetanste
Und ob man bei Hoffmann und Kampe recht oft
Meine sämmtlichen Werke kaufte!
So flog ich nach meiner Geburtsstadt zuerst,
Nach Düsseldorf am Rheine,
Und fragte dort incognito:
„Wo steht das Denkmal für Heine?"
Sie sagten: „Ein Denkmal für Heine, der
So viel Frivoles gedichtet,
Das bot man wohl aus, wie saueres Bier —
Wir haben darauf verzichtet!
Der Heine, Sie wissen ja, der war
Ein Spötter, ein ganz vertrackter,
Talentvoll gewiß — er war ja von hier! —
Doch hatte er keinen Charakter!
Nie schimpfte aufs deutsche Vaterland
Ein Mensch in gröberem Stil je
Und außerdem war er noch dazu
Bon jüdischer Familie —
Doch gibt's des Sehenswerthen noch viel —"
Er zählte es auf, wie am Schnürchen:
Denkmäler für Schadow, Cornelius
Und fünfundzwanzig Kirchen —
Ich schüttelte aber sofort den Staub
Des KunstnesUs an der Düssel
Von meinen Schuh'n; — ich muß gestehn,
Es kränkte mich doch ein Bissel!
Doch bald wich dem Humor der Groll:
In dieser Stadt der Frommen,
Hätte mein Denkmal ja sicherlich
Vor Aerger Grünspan bekommen!
Kaput II
Von Düsseldorf begab ich mich
Nach Frankfurt an dem Maine.
Dort hat man mich immer hochgeschätzt
Und nannte mich: „Unfern Heine!"
Im kirchenreichen Düsseldorf,
Da, dacht' ich, betrachten sie kritisch
Als Juden mich — in Frankfurt ist
Man sicher nicht antisemitisch!
Doch als ich hier voll Neugier frug:
«Wo steht das Heinedenkmal?"
Da schrie der Mann, den ich gefragt,'
Erbost: „Nu kriegt die Kränk 'mal!
Dem Heinrich Heine in Frankfurt hier
Ein Denkmal zu setzen! Wieso ihm?
Er hat doch gehört zu unsere Leut
Und schwenkte dann ab zu den Gojim!"
Begütigend sprach ich: „Mein lieber Mann,
Nur nicht so stürmisch gewettert!
Herr Wolfgang von Goethe war auch getauft
Und jüngst erst habt ihr ihn vergöttert!"
Der Andere rief: „Obschon er ein Christ
Gewesen, wir dürfen ihn lieben,
Er hat doch ein feines, ein rührendes Stück,
Den ,Nathan den Weisen' geschrieben!
Drum waren wir auch außer Rand und Band
Bei seiner Geburtstagsfeier,
Wir schrieen uns heiser und zahlten uns arm —
Es war uns nix zu theuer!
Der Mann war gut, der Mann hats verdient
Um uns durch seine Verse —
Verzeihen Sie, Herr, halb zwölfe ist's,
Ich muß jetzt auf die Börse!"
. JUGEND •
Arpad Schmidhammer
Ich schüttelte denn auch Frankfurts Staub
Begeistert von den Stiebeln —
Nach solchem Empfange, denk' ich, kann
Mir das kein Mensch verübeln!
Kaput III
Rheinabwärts zog ich. Der traute Strom
Floß hin mit mächtigem Rauschen —
Mein Busen schwoll, mein Blick ward feucht
Und schauen mußt ich und lauschen.
Das war ein lieber, ein süßer Gesang,
Dies Brausen und Klingen der Wogen;
Mein Blick ward feucht und mein Herz ward weich,
Wie wir stromabwärts zogen.
Und als wir fuhren bei Rüdesheim,
Da frug ich einen Genossen:
„Was steht dort auf der Bergeshöh',
Von Sonnengold umflossen?"
„Das ist der Germania Riesenbild,
Errichtet zum Gedächtniß
An Deutschlands Sieg und Einigkeit,
Der Nachwelt ein Bermächtniß!
Sie weist eine Krone über den Rhein
Mit nichtzuverkennender Drastik;
Ihr Kunstwerth aber ist minder groß —
'§ ist königlich preußische Plastik!"
Die Worte sind mir zunächst nicht recht
Verständlich vorgekommen:
„Von Deutschlands Sieg und Einheit, mein Herr,
Hab' ich noch nie was vernommen!"
Da rief er dröhnend — wir waren bereits
Umstanden von vielen Gassern:
„Es scheint, Sie lebten bis heutigentags
Bei Botokuden und Kaffern!
Sonst wüßten Sie doch, daß unser Land .
Nun einig schon dreißig Jahr ist —
Das ist so lange, mein lieber Herr,
Daß es schon bald nicht mehr wahr ist!"
Ich schwieg —und das war das Klügste noch,
Sonst hielt man mich für 'nen Esel —
Da stieg der Loreleifels aus der Fluth
Bei Goar und Oberwesel.
Nun fragte ich schlau: „Ich hörte einmal
Ein Lied von der Fei am Rheine,
Vor alter Zeit — der Dichter des Liedes
Hieß Heymann — oder Heine"
Da lachte der Mann: „Die Lorelei!
Das schönste Lied, das wir haben!
Und kennen Sie's nicht, so lassen Sie
Sich lieber gleich begraben!"
Dann huh er an mit gewaltigem Baß
Des Liedes traute Weise,
Ein Zweiter siel und ein Dritter ein —
Ein Fräulein sang süß und leise. —
Und schließlich wurde mein altes Liek
Gesungen von hundert Leuten
Und übertönte das Wogengebraus:
„Ich weiß nicht, was soll es bedeuten!"
In meinem Herzen quoll es heiß —
Dann Hab' ich, lies ergriffen,
Getrost auf ein Denkmal in Düsseldorf
Und Frankfurt am Maine gepfiffen.
Kaput IV
Im Uebrigen fand ich die Pfaffengass'
Nicht klüger und Heller jetzunder,
In Trier und Aachen noch schwärzer sogar -
Sie glauben noch immer an Wunder!
In Köllen erlebte ich selber eins:
Wie vor den Kopf geschlagen,
Sah ich den gewaltigen Riesendom
Vollendet zum Himmel ragen!
Vollendet bis zum letzten Knauf,
Bis zum letzten, steinernen Laube!
Da griff mir ein Ahnen an's zuckende Herz
Ein schöner, beglückender Glaube.
Nr. 50
Kaput I
Gestehen muß ich: Die Sehnsucht allein
Trieb nicht mich auf die Reise,
Ein Bischen Dichtereitelkeit
Sprach mit, wenn auch nur leise!
Ich wollte seh'n, wie lang mein Ruhm
Mein Leben überdauert,
Ich wollte seh'n, wo mir mein Volk
Ein Denkmal aufgemauert;
Und wie sie heute sprächen von mir,
Getaufte und Ungetanste
Und ob man bei Hoffmann und Kampe recht oft
Meine sämmtlichen Werke kaufte!
So flog ich nach meiner Geburtsstadt zuerst,
Nach Düsseldorf am Rheine,
Und fragte dort incognito:
„Wo steht das Denkmal für Heine?"
Sie sagten: „Ein Denkmal für Heine, der
So viel Frivoles gedichtet,
Das bot man wohl aus, wie saueres Bier —
Wir haben darauf verzichtet!
Der Heine, Sie wissen ja, der war
Ein Spötter, ein ganz vertrackter,
Talentvoll gewiß — er war ja von hier! —
Doch hatte er keinen Charakter!
Nie schimpfte aufs deutsche Vaterland
Ein Mensch in gröberem Stil je
Und außerdem war er noch dazu
Bon jüdischer Familie —
Doch gibt's des Sehenswerthen noch viel —"
Er zählte es auf, wie am Schnürchen:
Denkmäler für Schadow, Cornelius
Und fünfundzwanzig Kirchen —
Ich schüttelte aber sofort den Staub
Des KunstnesUs an der Düssel
Von meinen Schuh'n; — ich muß gestehn,
Es kränkte mich doch ein Bissel!
Doch bald wich dem Humor der Groll:
In dieser Stadt der Frommen,
Hätte mein Denkmal ja sicherlich
Vor Aerger Grünspan bekommen!
Kaput II
Von Düsseldorf begab ich mich
Nach Frankfurt an dem Maine.
Dort hat man mich immer hochgeschätzt
Und nannte mich: „Unfern Heine!"
Im kirchenreichen Düsseldorf,
Da, dacht' ich, betrachten sie kritisch
Als Juden mich — in Frankfurt ist
Man sicher nicht antisemitisch!
Doch als ich hier voll Neugier frug:
«Wo steht das Heinedenkmal?"
Da schrie der Mann, den ich gefragt,'
Erbost: „Nu kriegt die Kränk 'mal!
Dem Heinrich Heine in Frankfurt hier
Ein Denkmal zu setzen! Wieso ihm?
Er hat doch gehört zu unsere Leut
Und schwenkte dann ab zu den Gojim!"
Begütigend sprach ich: „Mein lieber Mann,
Nur nicht so stürmisch gewettert!
Herr Wolfgang von Goethe war auch getauft
Und jüngst erst habt ihr ihn vergöttert!"
Der Andere rief: „Obschon er ein Christ
Gewesen, wir dürfen ihn lieben,
Er hat doch ein feines, ein rührendes Stück,
Den ,Nathan den Weisen' geschrieben!
Drum waren wir auch außer Rand und Band
Bei seiner Geburtstagsfeier,
Wir schrieen uns heiser und zahlten uns arm —
Es war uns nix zu theuer!
Der Mann war gut, der Mann hats verdient
Um uns durch seine Verse —
Verzeihen Sie, Herr, halb zwölfe ist's,
Ich muß jetzt auf die Börse!"
. JUGEND •
Arpad Schmidhammer
Ich schüttelte denn auch Frankfurts Staub
Begeistert von den Stiebeln —
Nach solchem Empfange, denk' ich, kann
Mir das kein Mensch verübeln!
Kaput III
Rheinabwärts zog ich. Der traute Strom
Floß hin mit mächtigem Rauschen —
Mein Busen schwoll, mein Blick ward feucht
Und schauen mußt ich und lauschen.
Das war ein lieber, ein süßer Gesang,
Dies Brausen und Klingen der Wogen;
Mein Blick ward feucht und mein Herz ward weich,
Wie wir stromabwärts zogen.
Und als wir fuhren bei Rüdesheim,
Da frug ich einen Genossen:
„Was steht dort auf der Bergeshöh',
Von Sonnengold umflossen?"
„Das ist der Germania Riesenbild,
Errichtet zum Gedächtniß
An Deutschlands Sieg und Einigkeit,
Der Nachwelt ein Bermächtniß!
Sie weist eine Krone über den Rhein
Mit nichtzuverkennender Drastik;
Ihr Kunstwerth aber ist minder groß —
'§ ist königlich preußische Plastik!"
Die Worte sind mir zunächst nicht recht
Verständlich vorgekommen:
„Von Deutschlands Sieg und Einheit, mein Herr,
Hab' ich noch nie was vernommen!"
Da rief er dröhnend — wir waren bereits
Umstanden von vielen Gassern:
„Es scheint, Sie lebten bis heutigentags
Bei Botokuden und Kaffern!
Sonst wüßten Sie doch, daß unser Land .
Nun einig schon dreißig Jahr ist —
Das ist so lange, mein lieber Herr,
Daß es schon bald nicht mehr wahr ist!"
Ich schwieg —und das war das Klügste noch,
Sonst hielt man mich für 'nen Esel —
Da stieg der Loreleifels aus der Fluth
Bei Goar und Oberwesel.
Nun fragte ich schlau: „Ich hörte einmal
Ein Lied von der Fei am Rheine,
Vor alter Zeit — der Dichter des Liedes
Hieß Heymann — oder Heine"
Da lachte der Mann: „Die Lorelei!
Das schönste Lied, das wir haben!
Und kennen Sie's nicht, so lassen Sie
Sich lieber gleich begraben!"
Dann huh er an mit gewaltigem Baß
Des Liedes traute Weise,
Ein Zweiter siel und ein Dritter ein —
Ein Fräulein sang süß und leise. —
Und schließlich wurde mein altes Liek
Gesungen von hundert Leuten
Und übertönte das Wogengebraus:
„Ich weiß nicht, was soll es bedeuten!"
In meinem Herzen quoll es heiß —
Dann Hab' ich, lies ergriffen,
Getrost auf ein Denkmal in Düsseldorf
Und Frankfurt am Maine gepfiffen.
Kaput IV
Im Uebrigen fand ich die Pfaffengass'
Nicht klüger und Heller jetzunder,
In Trier und Aachen noch schwärzer sogar -
Sie glauben noch immer an Wunder!
In Köllen erlebte ich selber eins:
Wie vor den Kopf geschlagen,
Sah ich den gewaltigen Riesendom
Vollendet zum Himmel ragen!
Vollendet bis zum letzten Knauf,
Bis zum letzten, steinernen Laube!
Da griff mir ein Ahnen an's zuckende Herz
Ein schöner, beglückender Glaube.