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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 4.1899, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 50 (9. Dezember 1899)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3779#0394
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Nr. 50

JUGEND



1899

Zur gefl. Beachtung!

Der Schlilß des auf Seite 816 dieser
Nummer veröffentlichten „Neuen Winter-
märchens" erscheint in der nächsten Nummer
der „Jugend" (Nr. 51). _

Der neue plutnrcfe»

Große Männer lassen meist schon in
früher Jugend ihre spätere Entwicklung
vorausahnen.

Heinrich Heine war bekanntlich zeit-
lebens dem Iudenthum mehr zugethan als
dem Lhristenthum. Schon als kleines Rind
bethätigte er diese seine Gesinnung, indem
er sich nicht taufen, sondern beschneiden ließ.

Auf einer Rheinfahrt wurde kleine
die Erklärung zu Theil, daß der Felsen
dort zur Rechten Loreley heiße.

Der seltsame Name fiel ihm auf und
er beschloß, später im Ronversationslexikon
nachzuschlagen. Um es nicht zu vergessen,
schrieb er in sein Notizbuch:

„Loreley — weiß nicht — was soll es
bedeuten." So hatte er unbewußt bereits
Titel und Anfang seines herrlichen Gedich-
tes niedcrgeschrieben.

Ein Fremder kam nach Hamburg. Im
Austernkcllcr fiel ihm ein Herr auf, der
auf das Feinste tafelte. Der Rellner flüsterte
ihm zu, daß es Heine sei. Freudig erregt
eilte der Fremde auf denselben zu und pries
sich glücklich, den großen Mann kennen ge-
lernt zu haben. Hierauf begann er dessen
Dichtungen zu lobpreisen; da riß dieser
verwundert die Augen auf und sagte ent-
täuscht:

„VTa, na, ich danke! Sie meinen wohl
nur meinen Neffen! Ich bin nämlich, Gott
sei Dank, der Saloinon, der Millionär!"

Ein Hauptfehler seines war feine
Eitelkeit, und doch hatte diese manchmal
Gutes im Gefolge.

In einer Rritik war er als Lyriker
Goethe an die Seite gesetzt worden. Seit
dieser Zeit sann er hin und her, was er thun
könne, um Goethe noch mehr zu gleichen.

Eines Tages blätterte Mathilde, mit
der er schon jahrelang zusammenlebte, in
der Gocthebiographie, die jetzt ständig auf
dem Tische lag, und fragte dann, wer denn
eigentlich die Vulpius gewesen sei.

„Heureka!" rief Heine. „Das war ja
seine spätere Frau! Tildchen, zieh Dich an,
wir gehen stante pede auf's Standesamt!"

Heine gegenüber wurde behauptet, es
sei gar keine Runst, solche Verse wie die
scinigen zu drechseln. Das hätten ihm denn
auch schon Viele bereits nachgemacht.

„Allerdings," schmunzelte der Dichter,
„aber fragt mich nur nicht wie!"

Heine schämte sich seiner jüdischen Ab-
kunft nicht und war charakterfest genug,
sie niemals zu verleugnen.

In einer Gesellschaft trug ein Herr
Tiroler Lieder vor. Eine Dame fragte den
Dichter, ob er bei seinen vielen gesellschaft-
lichen Talenten auch so schön jodeln könne.

„Nein," sagte Heine, „jodeln nicht, aber
jüdelnl"

Heine las in seiner „Matratzengruft"
eben von neuen Ordensverleihungen in
Preußen.

„warum," sagte er, „schickt denn der
Rönig gerade mir keinen Orden? Mir
fehlt's doch auch ganz bedenklich im Rück-

^ ' (Zeichnungen von A. Schnridhammer)

An Ibeinncb Deine

Du hast ja clen schönsten Goldschnitt
dx\ meiner Bibliothek,

So dass ich für meine Besucher
Dich auf den Salontisch leg'.

Du hast ja den reichsten Prachtband
Viel reicher als irgendwer,

Du hast sogar Bcken von Leder,

Oh Heine, was willst Du noch mehr?

Du hast ja das schönste Plätzchen
In jedem Boudoir,

Du ruhst auf dem Spitzenkissen
Der gnädigen frau sogar,

Du wohnst in des Studios Bude,
vlnd wäre sie noch so leer,

Du liegst in des £eutenants Racbttisch,
Oh Heine, was willst Du noch mehr?

Du weilst in Palast und Hütte,

Vor Königen singt man Dein Lied.

Du ziehst durch des Urwaldes fißitte,
Mo irgend ein Deutscher zieht.

Du lebst im funkeln des Meines,

Huch bist Du sehr populär

Huf jeglichem Dampfer des Rheines:

Herzliebchen, was willst Du noch mehr?

Du hast in Dew-^ork einen Brunnen,
Viel hundert Centner schwer,

Du hast in Paris ein Grabmal,

Oh Heine, was willst Du noch mehr?
Du hast ja sogar ein Standbild
Hm Strande von Corfu —

Dun willst Du ein Denkmal in

Deuts chland?

Herzlieb eben, wie kommst Du

dazu?
Kory Towska

cv£Bc

Aus dem lyrischen Tagebuch des
Leutnants von Dersewitz

Zur Heine-Feier

Heine — ja Todfeind von Leutnant!

Uns immer scheußlich behandelt!

Hass' ihn! — Doch Luch von ihm in

der Hand:

Umseh'n wie umjewandelt!

Iottvoller Witz doch! Enormer Sprit!
Uedermuth — unwiderstehlich!

Reißt Einen schließlich zu Allem mit,

Selbst wenn noch so krakehlig!

Iroßer Poet auch! Stimmungsmacht,
Ioethe jleichwerthig — reichlich!
Sprachmusik, Farbenduft, Lilderpracht,
Irazie — unverjleichlich!

weiß wohl: Lejeist'rung oft Ironie!

Frecher Dachs, falscher Semite!

Fraglos ja! — Aber doch Vollgenie,

Dichter von erster Jute!

Sage mir oftmals: Charakterlos! -

So was nich auch noch ermuntern!

Zieht sonst nur undeutsches Wesen jroß-

Hilft nichts! — Doch wieder bewundern!

Immer von Neuem mich aufjerafft:

Liederbuch von ihm zerrissen-

Lald d rauf mir wieder anjeschafft:
Scheußlich — aber zum Rüssen!

Rlar jemacht schließlich, was es heißt:

Rerl zum Lieben un Hassen —

Sicheres Zeichen, daß selt'ner Ieist!
Mindeste: Leben ihn lassen!

Lasse ihn leben un hoch leben d'rum,

Schon weil nich todt zu machen.

Einer versuch's mal un bring' ihn um:
Rann Reiner nich — vor Lachen!

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Register
Arpad Schmidhammer: Kleine Illustrationen zum Text "Der neue Plutarch"
Leutnant v. Versewitz: Aus dem lyrischen Tagebuch des Leutnants von Versewitz
Kory Towska: An Heinrich Heine
Plutarch [Pseud.]: Der neue Plutarch
 
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