Nr. 51
Sprüche von ßaul Desse
Hafis auf seinem Pegasus
Sitzt stattlich fest, hat guten Schluß.
Doch wie er auch ihn sporn' und lenke,
Der Gaul hält an bei jeder Schenke.
#
©b du der Reue dich erwehrst,
Sie wie Gespensterfurcht verschwörst,
Hast in gewissen dunklen Stunden
Doch auch die Gänsehaut empfunden.
*
Der Christ soll seine Zeinde lieben.
Drum hat sich Mancher dem Teufel
verschrieben.
»
Leidenschaft klopft an der Liebe Haus.
Lin banges Stimmchen, ein ungewisses,
Antwortet drinnen: bin nicht zu Hausl —
Ach, arme Liebe, si tacuisses!
Das Rahenparadics
von Emile Zola
-rVlne Tante hat mir eine Angorakatze hintcr-
lassen, die wohl die dümmste Bestie ist,
die ich kenne. Diese Katze hat mir eines
Winterabends, vor dem verglimmenden Kamin-
fencr, folgende Geschichte erzählt.
I.
Ich war damals zwei Iahrc alt und wohl
die fetteste nnd naivste Katze, die man sich
denken konnte. In diesem zarten Alter be-
kundete ich noch den ganzen Ligendünkel eines
die Annehmlichkeiten des häuslichen Herdes
verachtenden Thicres. Und wie viel Dank schul-
dete ich doch der Vorsehung, die mich zu
Eurer Tante gebracht hattp! Die gute Frau
vergötterte mich. In der Tiefe eines Schran-
kes besaß ich ein echtes, rechtes Schlafzimmer
mit Federkissen und dreifacher Decke. Die Kost
war dein Lager ebenbürtig; nie Brod, nie Suppe,
immer nur Fleisch, gutes blutiges Fleisch.
Nun denn: inmitten all dieser Freuden und
Genüsse fühlte ich nur Linen Wunsch, hatte
ich nur Linen Traum: mich durchs gcöffmtc
Fenster hinauszuschleichen und auf die Dächer
zu flüchten. Die Liebkosungen schienen mir
fade, die Weichheit meines Bettes erregte mir
Lkel, ich war fett, daß mir's vor mir selbst
graute. Und den ganzen Tag langweilte ich
mich in meinem Glück.
Ich muß ermähnen, daß ich vom Fenster
aus, als ich den Hals nur ein wenig reckte,
das Dach gegenüber erblickte. Dort wälzten
sich an jenem Tage vier Katzen mit gesträubtem
Fell und hochaufgcrichtelrm Schwanz, mit
wildem Freudengeheul, im Sonnenglanz auf
den blauen Schiefern. Lin so wunderliches
Schauspiel hatte ich noch nie gesehen.
Seit jenem Tage stand meine Ueberzeugung
fest. Das wahre Glück war nur auf diesem
Dach zu finden, hinter diesem Fenster, das
man so sorgsam schloß. So, wußte ich, schloß
man auch die Thüren der Schränke, in denen
man das Fleisch verwahrte.
Ich faßte den Vorsatz, zu entfliehen. Ls
mußte im Leben noch anderes geben als blu-
tiges Fleisch. Dort winkte das Unbekannte,
das Ideal. Lines Tages vergaß man, das
Küchenfenstcr zu schließen. Ich sprang auf
ein kleines Vach, das sich unterhalb des Küchen-
fensters befand.
II.
wie waren die Dächer so schön: Breite
Dachrinnen begrenzten sie und strömten köst-
liche Düfte aus. Mit unsagbarer Wollust ver-
folgte ich diese Rinnen, während meine Pfoten
in einem feinen, unendlich weichen, mollig
warmen Kot versanken. Mir war, als wandle
ich auf Sammt. Und die Sonne schien so warm,
und ihre heißen Strahlen schmolzen mein Fett.
Ich darf Luch nicht verhehlen, daß ich an
allen Gliedern zitterte. ' Meine Freude war
eine mit Fuicht und Beklemmung gemischte.
Besonders deutlich entsinne ich mich einer ent-
schlichen Lrregung, die mich beinahe auf's
Pflaster geworfen hätte. Drei vom Giebel
eines Hanfes herabkollcrnde Katzen kamen mit
furchtbarem Miauen auf mich zu. Als sie mein
Erschrecken sahen, lachten sie mich aus und
sagten, sie hätten nur zum Spaß miaut. Ich
begann mitznmiauen. Ls war allerliebst. Die
Kerle besaßen nicht meine fette Durnmhcit.
Sie machten sich über mich lustig, als ich wie
eine Kugel auf den von der Sonne durch-
glühten Zinkplatlen umherrollte.
Lin alter Kater aus der Gesellschaft fühlte
sich in besonderer Freundschaft zu mir hinge-
zogcn. Lr machte sich erbötig, meine Erziehung
zu übernehmen, ein Anerbieten, das ich mit
Dank annahm.
Ach! wie weit lag das mollige Heim Lurcr
Tante hinter mirl Ich trank aus der Dach-
rinne, und keine gezuckerte Milch hatte mir
je so süß geschmeckt. Alles erschien mir gut
und schön. Lin Kaheirfräulein spazierte vor-
bei, ein ganz entzückendes Geschöpf, dessen
Anblickmichmitungckannter Lrregung erfüllte.
Bis dahin waren diese Geschöpfe mit dem
so gottvoll geschmeidigen Fell mir nur im
Traume erschienen, wir stürzten der Neu-
ankommenden entgegen, meine drei Genossen
und ich. Ich eilte den Anderen voran und
wollte der entzückenden Katzenjnngfrau mein
Kompliment machen, als einer meiner Ka-
meraden mich entsetzlich in den Hals biß. Ich
stieß einen Schmerzensschrei aus.
„Bahl" beruhigte mich der alte Kater,
indem er mich fortzog, „du wirst noch genug
andere sehn."
III.
Nach einstündigem Spaziergang spürte ich
einen Riesenhunger.
„was speist man denn auf den Dächern?"
fragte ich meinen Freund, den Kater.
„was man findet", belehrte mich dieser.
Diese Antwort brachte mich in Verlegen-
heit, denn so eifrig ich auch suchte — ich fand
nichts. Endlich fand ich in einer Mansarde
eine junge Arbeiterin, die ihr Frühstück be-
reitete. Auf dem Tisch vor dem Fenster lag
ein schönes Lotelett von appetitlichstem Rosa.
„Das ist mein Fall", dachte ich in aller
Unschuld. Und ich sprang auf den Tisch und
ergriff das Lotelett.
Die Arbeiterin aber versetzte mir, sobald
sie mich erblickte, mit dem Kehrbesen einen
8)4
Grossmutter will ihr €{nkelkind
Hinein ins Hieben fahren.
furchtbaren Schlag auf das Fell. Ich
das Fleisch fahren und suchte mit einem ent-
setzlichen Fluche das Weite.
„Was denkst du nur?" schalt mich »er
Kater. „Vas Fleisch auf den Tischen ist nur
dazu da, von Ferne angeschmachtet zu werden.
In den Dachrinnen mußt du suchen."
Daß das Fleisch in den Küchen nicht den
Katzen gehörte, das war eine Wahrheit, die
mir stets unbegreiflich blieb. Mein ^9CI1
begann ernstlich, sich zu empören. Der Kater
brachte mich mit der Versicherung, daß man
Die JE[ahrt in’s lieben
Doch wenn der*<£>od auf Reute sinnt,
Da fragt er nicht nach fahren.
CCCir müssen sterben, CCCeib und Mann,
Der Arme wie der 1-^eiche,
Lcop. Graf v. Kalckreuth (Stuttgart)
Der Alte muss, der Junge kann:
Im <3runde ist’s das Gleiche. k. t.
die Nacht abwaiten müsse, vollends zur Ver-
zweiflung. In der Nacht würden wir in die
Straße hinabsteigen, die Kehrichthaufen durch-
wühlen. Die Nacht abwarten — wie ruhig er
das sagte, mit welch verhärteter Philosophie I
Ich fühlte mich einer ©hnmacht nahe bei
dem bloßen Gedanken an dieses endlose Faste».
IV.
Langsam kam die Nacht heran, eine Nebel-
nacht, die mir die Glieder erstarren machte.
Bald fing der Regen zu fallen an, ein feiner,
durchdringender, von heftigen Windstößen ge-
peitschter Regen. Durch die verglaste ©eff-
nung einer Treppe stiegen wir von unseren
Dächern herab.
wie häßlich die Straße mir erschien I Das
war nicht mehr die wohlige Wärme, der Helle
Sonnenschein, das waren nicht mehr diese
glänzenden, lichlübergossenen Dächer, auf
denen sich's so köstlich faulenzen ließ. Meine
Pfoten glitten auf dem feuchten Pflaster aus.
Mit bitterer wehmuth gedachte ich meiner drei-
fachen Decke und meines Federkissens.
Kaum waren wir auf der Straße anae-
langt, als mein Freund, der Kater, zu zittern
begann. Er machte sich klein, ganz klein nnd
schlich verstohlen die Häuser entlang, indem
er mir befahl, ihm so schnell als möglich zu
folgen. Id das erste Hausthor, das er fand,
flüchtete er sich in größter Eile und ließ ein
zufriedenes Brummen hören. Als ich ihn
über diese Flucht befragte, antwortete er mir:
„Hast du jenen Mann mit der Butte und
dem Haken gesehen?"
»Ja."
Sprüche von ßaul Desse
Hafis auf seinem Pegasus
Sitzt stattlich fest, hat guten Schluß.
Doch wie er auch ihn sporn' und lenke,
Der Gaul hält an bei jeder Schenke.
#
©b du der Reue dich erwehrst,
Sie wie Gespensterfurcht verschwörst,
Hast in gewissen dunklen Stunden
Doch auch die Gänsehaut empfunden.
*
Der Christ soll seine Zeinde lieben.
Drum hat sich Mancher dem Teufel
verschrieben.
»
Leidenschaft klopft an der Liebe Haus.
Lin banges Stimmchen, ein ungewisses,
Antwortet drinnen: bin nicht zu Hausl —
Ach, arme Liebe, si tacuisses!
Das Rahenparadics
von Emile Zola
-rVlne Tante hat mir eine Angorakatze hintcr-
lassen, die wohl die dümmste Bestie ist,
die ich kenne. Diese Katze hat mir eines
Winterabends, vor dem verglimmenden Kamin-
fencr, folgende Geschichte erzählt.
I.
Ich war damals zwei Iahrc alt und wohl
die fetteste nnd naivste Katze, die man sich
denken konnte. In diesem zarten Alter be-
kundete ich noch den ganzen Ligendünkel eines
die Annehmlichkeiten des häuslichen Herdes
verachtenden Thicres. Und wie viel Dank schul-
dete ich doch der Vorsehung, die mich zu
Eurer Tante gebracht hattp! Die gute Frau
vergötterte mich. In der Tiefe eines Schran-
kes besaß ich ein echtes, rechtes Schlafzimmer
mit Federkissen und dreifacher Decke. Die Kost
war dein Lager ebenbürtig; nie Brod, nie Suppe,
immer nur Fleisch, gutes blutiges Fleisch.
Nun denn: inmitten all dieser Freuden und
Genüsse fühlte ich nur Linen Wunsch, hatte
ich nur Linen Traum: mich durchs gcöffmtc
Fenster hinauszuschleichen und auf die Dächer
zu flüchten. Die Liebkosungen schienen mir
fade, die Weichheit meines Bettes erregte mir
Lkel, ich war fett, daß mir's vor mir selbst
graute. Und den ganzen Tag langweilte ich
mich in meinem Glück.
Ich muß ermähnen, daß ich vom Fenster
aus, als ich den Hals nur ein wenig reckte,
das Dach gegenüber erblickte. Dort wälzten
sich an jenem Tage vier Katzen mit gesträubtem
Fell und hochaufgcrichtelrm Schwanz, mit
wildem Freudengeheul, im Sonnenglanz auf
den blauen Schiefern. Lin so wunderliches
Schauspiel hatte ich noch nie gesehen.
Seit jenem Tage stand meine Ueberzeugung
fest. Das wahre Glück war nur auf diesem
Dach zu finden, hinter diesem Fenster, das
man so sorgsam schloß. So, wußte ich, schloß
man auch die Thüren der Schränke, in denen
man das Fleisch verwahrte.
Ich faßte den Vorsatz, zu entfliehen. Ls
mußte im Leben noch anderes geben als blu-
tiges Fleisch. Dort winkte das Unbekannte,
das Ideal. Lines Tages vergaß man, das
Küchenfenstcr zu schließen. Ich sprang auf
ein kleines Vach, das sich unterhalb des Küchen-
fensters befand.
II.
wie waren die Dächer so schön: Breite
Dachrinnen begrenzten sie und strömten köst-
liche Düfte aus. Mit unsagbarer Wollust ver-
folgte ich diese Rinnen, während meine Pfoten
in einem feinen, unendlich weichen, mollig
warmen Kot versanken. Mir war, als wandle
ich auf Sammt. Und die Sonne schien so warm,
und ihre heißen Strahlen schmolzen mein Fett.
Ich darf Luch nicht verhehlen, daß ich an
allen Gliedern zitterte. ' Meine Freude war
eine mit Fuicht und Beklemmung gemischte.
Besonders deutlich entsinne ich mich einer ent-
schlichen Lrregung, die mich beinahe auf's
Pflaster geworfen hätte. Drei vom Giebel
eines Hanfes herabkollcrnde Katzen kamen mit
furchtbarem Miauen auf mich zu. Als sie mein
Erschrecken sahen, lachten sie mich aus und
sagten, sie hätten nur zum Spaß miaut. Ich
begann mitznmiauen. Ls war allerliebst. Die
Kerle besaßen nicht meine fette Durnmhcit.
Sie machten sich über mich lustig, als ich wie
eine Kugel auf den von der Sonne durch-
glühten Zinkplatlen umherrollte.
Lin alter Kater aus der Gesellschaft fühlte
sich in besonderer Freundschaft zu mir hinge-
zogcn. Lr machte sich erbötig, meine Erziehung
zu übernehmen, ein Anerbieten, das ich mit
Dank annahm.
Ach! wie weit lag das mollige Heim Lurcr
Tante hinter mirl Ich trank aus der Dach-
rinne, und keine gezuckerte Milch hatte mir
je so süß geschmeckt. Alles erschien mir gut
und schön. Lin Kaheirfräulein spazierte vor-
bei, ein ganz entzückendes Geschöpf, dessen
Anblickmichmitungckannter Lrregung erfüllte.
Bis dahin waren diese Geschöpfe mit dem
so gottvoll geschmeidigen Fell mir nur im
Traume erschienen, wir stürzten der Neu-
ankommenden entgegen, meine drei Genossen
und ich. Ich eilte den Anderen voran und
wollte der entzückenden Katzenjnngfrau mein
Kompliment machen, als einer meiner Ka-
meraden mich entsetzlich in den Hals biß. Ich
stieß einen Schmerzensschrei aus.
„Bahl" beruhigte mich der alte Kater,
indem er mich fortzog, „du wirst noch genug
andere sehn."
III.
Nach einstündigem Spaziergang spürte ich
einen Riesenhunger.
„was speist man denn auf den Dächern?"
fragte ich meinen Freund, den Kater.
„was man findet", belehrte mich dieser.
Diese Antwort brachte mich in Verlegen-
heit, denn so eifrig ich auch suchte — ich fand
nichts. Endlich fand ich in einer Mansarde
eine junge Arbeiterin, die ihr Frühstück be-
reitete. Auf dem Tisch vor dem Fenster lag
ein schönes Lotelett von appetitlichstem Rosa.
„Das ist mein Fall", dachte ich in aller
Unschuld. Und ich sprang auf den Tisch und
ergriff das Lotelett.
Die Arbeiterin aber versetzte mir, sobald
sie mich erblickte, mit dem Kehrbesen einen
8)4
Grossmutter will ihr €{nkelkind
Hinein ins Hieben fahren.
furchtbaren Schlag auf das Fell. Ich
das Fleisch fahren und suchte mit einem ent-
setzlichen Fluche das Weite.
„Was denkst du nur?" schalt mich »er
Kater. „Vas Fleisch auf den Tischen ist nur
dazu da, von Ferne angeschmachtet zu werden.
In den Dachrinnen mußt du suchen."
Daß das Fleisch in den Küchen nicht den
Katzen gehörte, das war eine Wahrheit, die
mir stets unbegreiflich blieb. Mein ^9CI1
begann ernstlich, sich zu empören. Der Kater
brachte mich mit der Versicherung, daß man
Die JE[ahrt in’s lieben
Doch wenn der*<£>od auf Reute sinnt,
Da fragt er nicht nach fahren.
CCCir müssen sterben, CCCeib und Mann,
Der Arme wie der 1-^eiche,
Lcop. Graf v. Kalckreuth (Stuttgart)
Der Alte muss, der Junge kann:
Im <3runde ist’s das Gleiche. k. t.
die Nacht abwaiten müsse, vollends zur Ver-
zweiflung. In der Nacht würden wir in die
Straße hinabsteigen, die Kehrichthaufen durch-
wühlen. Die Nacht abwarten — wie ruhig er
das sagte, mit welch verhärteter Philosophie I
Ich fühlte mich einer ©hnmacht nahe bei
dem bloßen Gedanken an dieses endlose Faste».
IV.
Langsam kam die Nacht heran, eine Nebel-
nacht, die mir die Glieder erstarren machte.
Bald fing der Regen zu fallen an, ein feiner,
durchdringender, von heftigen Windstößen ge-
peitschter Regen. Durch die verglaste ©eff-
nung einer Treppe stiegen wir von unseren
Dächern herab.
wie häßlich die Straße mir erschien I Das
war nicht mehr die wohlige Wärme, der Helle
Sonnenschein, das waren nicht mehr diese
glänzenden, lichlübergossenen Dächer, auf
denen sich's so köstlich faulenzen ließ. Meine
Pfoten glitten auf dem feuchten Pflaster aus.
Mit bitterer wehmuth gedachte ich meiner drei-
fachen Decke und meines Federkissens.
Kaum waren wir auf der Straße anae-
langt, als mein Freund, der Kater, zu zittern
begann. Er machte sich klein, ganz klein nnd
schlich verstohlen die Häuser entlang, indem
er mir befahl, ihm so schnell als möglich zu
folgen. Id das erste Hausthor, das er fand,
flüchtete er sich in größter Eile und ließ ein
zufriedenes Brummen hören. Als ich ihn
über diese Flucht befragte, antwortete er mir:
„Hast du jenen Mann mit der Butte und
dem Haken gesehen?"
»Ja."