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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 4.1899, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 51 (18. Dezember 1899)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3779#0401
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W'


Nr. 51

„Nun denn, wenn er uns erblickt hätte,
er hätte uns gepackt, am Spteg gebraten und
verspeist."

„Am Spteg gebraten und verspeist!" rief ich.
„Aber gehört denn die Straße nicht uns?
Man ißt nicht und man wird gegessen!

Indessen hatte man die Kehrichthaufen vor
den Häusern geleert, verzweifelt wühlte ich
in diesen Haufen. Ich fand zwei oder drei
magere Knochen in Schult und Asche vergraben.

Da begriff ich, wie köstlich das frische Fleisch
ist. Mein Freund, der Kater, durchwühlte die
Misthaufen mit künstlerischem verständniß.

Bis zum Morgen ließ er mich umherlaufen,
hetzte mich auf jedes Pflaster. Zehn Stunden
lang blieb ich im Regen, an allen Gliedern
zitterte ich vor Kälte, verdammte Straße,
verdammte Freiheit, — wie sehnte ich mich
nach meinem Gefängnißl

Als der Tag kam und er mich kraftlos
schwanken sah, fragte er mich mit seltsamer
Miene:

„hast du genug daran?"

„(D ja!" erwiderte ich.

„Du willst nach Hause zurückkehren?"

„Gewiß, wie aber das Haus wieder finden?"

„Komm. Als ich dich gestern Morgen
von dort herauskommen sah, wußte ich wohl,
daß eine fette Katze wie du nicht für die
Freuden der Freiheit geschaffen sei. Ich kenne
deine Wohnung, ich will dich bis vor deine
Thür führen."

Er sprach das mit solcher Einfachheit, der
würdige Kater. Als wir angelangt waren,
sagte er mir Lebewohl, ohne die geringste
Rührung zu bekunden.

„Nein!" rief ich, „so können wir uns nicht
trennen. Du mußt mit mir kommen, wir
wollen dasselbe Bett und dasselbe Fleisch
miteinander theilen. Meine Herrin ist eine
brave Frau. . .."

Er ließ mich uicht ausreden.

„Schweig!" sagte er barsch, „du bist
ein Narr. Iu deiner weichen Wärme
gienge ich zu Grunde. Euer Treibhaus-
leben ist gut für entartete Katzen. Die
freien Katzen werden nie um den Preis
eines Gefängnisses deine Leckerbissen und
deine Federbetten erkaufen... Adieu!"

Und er kehrte auf die Dächer zurück.

Ich sah seine große magere Silhouette
unter den Liebkosungen der aufsteigenden
Sonne sich vor Behagen schütteln.

Als ich eintrat, ergriff Eure Tante die
Ruthe und verabreichte mir eine Züchtig-
ung, die ich mit tiefer Freude empfing.

Ich schwelgte in dem köstlichen Ge-
fühl, warm zu haben, und geschlagen zu
werden, während sie mich schlug, ge-
dachte ich mit Entzücken des Bratens, den
sie mir hernach geben würde.

„Seht Ihr," schloß meine Katze, sich
vor dem Kamin ausstreckend, „das wahre
Glück, das Paradies, mein lieber Herr,
besteht darin, eingesperrt zu werden und
Schläge zu bekommen in einem Raum, in
dem ein Stück Fleisch sich befindet."

Ich spreche im Sinne der Katzen.

(Einzig autorisirte Uebersetzung

von U. Fricke.)

. JUGEND .
Einsame I[eier

Km diese CCCeihnachtsabendstunde
Dasst meine Stube dunkel sein;

Da stellt sich eine Ifestesrunde
~V*on seligen Gestalten ein.

Dringt jede still ein Dicht getragen
TXnd hütet lächelnd seinen (Slanz —

Ihr dürft nicht flüstern, dürft nicht fragen !
Schon ist der Daum erleuchtet ganz.

Knd alte, längst zerbrochne Gaben
Sind wieder hell und heil und bunt,
Knd ÖCCorte, die geschlafen haben,,
Gehn wieder froh von CLu ld zu £E>und,


1869

Und jlugenpaare stehn in Gluthen,

Die schon geblickt ins jBchattenland,

Knd Hände, die ermattet ruhten,
ßlnd wieder treu in meiner Hand.

Und fClle wandeln auf und nieder,
Deglückt vom holden Kerzenschein,

XXnd fallen in die alten Dieder
CDit leisen, leisen ^Stimmen ein.-

Doch die sich mir genähert hatten,

J3ehn ängstlich fragend in das Dicht —
Da sinkt ein's hin — im schmalen JSchatten
Erstirbt ein liebes Dingesicht.

Knd immer wenn nun in den Zweigen
€(in gelbes ^Sternchen matt verblinkt,
Geht eines aus dem frohen feigen,

Das wehmuthsvoll mir Grüsse winkt.

'Verflackernd löscht die letzte Kerze
Die letzte schwindende Gestalt,

Die zögernd, wie im Abschiedsschmerze,
Ins Dunkel mir vorüberwallt.

Franz Langheinrich

praktischer Vorschlag

Vorsitzende des Wohlthäti g keits-
v er eins: „Meine Damen, ich möchte mir er-
lauben, Sie in einer wichtigen Sache um einen
Rath zu bitten. Das von uns gegründete
„Erholungshaus für Damen" ist überfüllt und
dreht, noch voller zu werden, wenn wir Einige
von Denen aufnehmen, die sich schon am läng-
sten vergeblich darum bewerben. Da muß Ab-
hilfe geschaffen werden. Wer von Ihnen weiß
also irgend einen Rath?"

Vereinsdame: „Ich weiß ihn; ändern
wir den Titel des Hauses."

Vorsitzende: „Und wie sollen wir es
nennen statt ,Erholungshaus für Damen'?"

Vereinsdame: „Erholungshaus für —
alte Damen."

Aus der guten alten Zelt

Die längst verstorbene Landesmntter eines
nunmehr mediatisirten Fürstenthums, die ihre
enorme Frömmigkeit am bestell durch ununter-
brochenes, heftiges Kirchenbauen bethätigen zu
können glaubte, fuhr einmal durch die Straßen
der Residenz. Das Publikum bildete Spalier,
und ein alter Herr mit einer lllärchenhaften
Glatze zog tief den Hut. Iu seiner Nähe aber
stand eili zufällig anwesender, mit den verhält-
lliffen wohl vertrauter Berliner, und dieser rief
alsbald die geflügelten Worte: „Männeken, blei-
ben Se um Iotteswillen bedeckt! wo die 'n
frei'n Platz sieht, da setzt se 'ne Kirche druff!"

Rocher Humor

Polizei-Beamter: Sie sind also Sozia-
list? Schon 'mal gesessen?

Sozialist: Iawohl — im Reichstag.

Aus der Schule

Der Lehrer (eine Rechenaufgabe dikti-
rend): . . . wie groß war der Verkaufspreis,
wenn der Gewinn \oo% betrug?

Der kleine Isaak (schreibt): wie groß
war der Verkaufspreis, wenn der Gewinn
\oo°lo Betrug?

M. v. Brauchitsch (Halle)
Register
[nicht signierter Beitrag]: Rother Humor
[nicht signierter Beitrag]: Aus der Schule
Margarethe v. Brauchitsch: Zierleiste
Franz Langheinrich: Einsame Feier
[nicht signierter Beitrag]: Aus der guten alten Zeit
[nicht signierter Beitrag]: Praktischer Vorschlag
 
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