Nr. 51
1899
JUGEND
tatton „Heber den Zusam-
menhang der thierischen
Natur des Menschen mit
seiner geistigen" schon
deutlich entwickelt finden. Freilich bekundet
der Brief eine so tiefe Erfassung der Welt-
anschauung Kant's, wie nur wenige Fach-
xhilofoxhen sie bisher gezeigt haben; doch be-
weist gerade dieser Brief, in welchem das Trans-
fcendentale und das Empirische (ohne den Ge-
brauch dieser abschreckenden Namen) einander
entgegengesetzt und gegen einander abgewogen
werden, wie völlig unabhängig Schiller ist.
Kant hat den Denker in Schiller geweckt;
außerdem bildete der heilige Ernst des Lebens
ein rein menschliches Band zwischen beiden
Männern; doch wo Anfangspunkt und End-
punkt verschieden sind, muß auch der weg ein
verschiedener sein. Das ist auch der Fall. Das
was Kant weder konnte noch — bei der beson-
deren Natur seines Lebenswerkes — hätte wollen
dürfen, nämlich das Gestalten des Lebens, bildet
den Inhalt von Schiller's Werk. „Ein Marmor-
block, obgleich er leblos ist und bleibt, kann darum
nichts desto weniger lebende Gestalt durch den
Architekt und Bildhauer werden; ein Mensch,
wiewohl er lebt und Gestalt hat, ist darum
noch lange keine lebende Gestalt. Dazu gehört,
daß seine Gestalt Leben, und sein Leben Ge-
stalt sei" (Brief *5). In diesen Worten liegt
Schillers Können und wollen, sowie der be-
sondere Zweck dieser Briefe eingeschlossen. Das
Ziel ist: dem Menschen eine höhere würde zu
ertheilen; das Mittel: die Befreiung; das
Werkzeug: die „ästhetische Erziehung", das
heißt die systematische Ausbildung desjenigen
Triebes im Menschen, den Schiller den „Sxiel-
trieb" nennt. Er weist überzeugend nach, daß
„die Aufklärung des Verstandes" nicht ver-
edelnd wirkt und daß die Eivilisation, weit
entfernt uns Freiheit zu schenken, zunächst nur
neue Bande beängstigend um uns schnürt"
(Brief 5). Ebenso überzeugend zeigt er, daß
„das Schöne und die Stimmung, in die es
unser Gemüth versetzt," wenn es auch „gleich
ungeschickt ist, den Charakter zu gründen und
den Kopf aufzuklären," doch das einzige
Mittel darbietet, den Menschen aus dem Frohn-
dienst einer blind befehlenden Natur zu befreien
und ihm die Fähigkeit zu verschaffen, „aus
sich selbst zu machen was er will" (Brief 2j).
Es handelt sich um eine Grientirung des Wil-
lens nach einer bestimmten „Richtung" und
um einen bewußten schöpferischen Akt (Brief 9).
Nicht Schwärmerei, nicht Außerachtlassung der
gegebenen Lebensbedingungen wird man —
wie bloße, leblose Stubengelehrte tadelnd ge-
meint haben — in diesen Briefen finden, son-
dern im Gegentheil, den Paroxysm einer ge-
waltigsten, glühendsten Lebenskraft, den ersten
und hoffentlich entscheidenden Schritt zur Er-
zeugung eines neuen Geschöpfes. Vor allem for-
dert Schiller Kühnheit von uns. „Erkühne
Dich, weife zu fein! Energie des Muthes ge-
hört dazu, die Hindernisse zu bekämpfen, welche
sowohl die Trägheit der Natur als die Feigheit
des Herzens der Belehrung entgegensetzen"
(Brief 8). Der Mensch muß seiner Freiheit
bewußt werden; er muß klar erkennen, daß
er „die Anlage zu der Gottheit unwidersprech-
lich in seiner Persönlichkeit trage" (Brief u);
schließlich muß er wollen.
„Und einzig veredelt die Form den Gehalt,
Verleiht ihm, verleiht sich die höchste Gewalt"
sagt Goethe. Den Besitz dieser „höchsten Ge-
walt" — der göttlichen — soll der Mensch er-
streben; durch ihn wird er „den Wirkungen
der Materie unverletzlich" (Brief 25); die Aus-
bildung der Fähigkeit freier Gestaltung wird
dahin führen. Schon unsere höheren Sinne
weisen diesen weg, denn „Auge und Dhr
wälzen die andringende Materie hinweg . . .
und führen blos durch den Schein zur Er-
kenntniß des wirklichen" (Brief 26).
Bewußte freie Gestaltung: das ist die
Guinteffenz dieser an das Geschlecht der Men-
schen gerichteten Ermahnung. Von außen her
können wir nur Einiges erreichen; was der
Staat leisten kann, ist ein Minimales (Brief ?);
von innen heraus dagegen vermögen wir es,
einen wirklichen Fortschritt zu vollführen, in-
dem wir uns durch die unermeßliche Kraft des
Willens zu einer neuen, höheren Erscheinung
des Lebens emxorschwingen.
Gedankenfülle, Freiheit, Schönheit: sie strah-
len uns aus diesem unvergänglichen Werke
entgegen, denn sie bilden die drei Grundzüge
der unsterblichen Persönlichkeit, welche es schuf.
Zu einer Neugeburt, und das heißt zu neuer
Jugend, weist uns Schiller den weg; daher
jubelt ihm die Jugend jeder Generation als
ihrem Altersgenossen zu, darum fühlt sich der
Aeltere verjüngt, sobald die Liebe zu Schiller in
seinem Kerzen neu auflebt.
Das Lied vom Burenkriege
Melodie: Prinz Eugen, der edle Ritter rc.
Zwischen Burenvolk und Briten
ward das Tischtuch jüngst zerschnitten;
Bald darauf vernahm man auch
Lautes Fleh'n von beiden Heeren:
„woll' uns, Herr, den Sieg bescheeren!"
(wie das so Geschäfts-Gebrauch.)
Und der Herrgott unter Lachen
Sprach: „Es beiden recht zu machen,
Ist hier, ausnahmweis, nicht schwer:
Siegt, Ihr Briten, mit
dem Maule
Aber Du, mi file Paule,
Hau die Bande kreuz und quer!"
Und so kam's. Nur an der Sprache
Liegt es, das ist keine Frage,
Denn die Briten lügen nie!
wer je.englisch hat getrieben,
weiß: defeat wird es geschrieben,
Ausgesprochen: victory!
Gleich beim allerersten Stoße
Ram die Nachricht, die famose:
Großer Sieg von Engeland!
Ein'ge Lompagnie'n verschwanden,
Die sich aber wiederfanden
(In prätoria, wie bekannt).
Daß die britischen Geschütze
Zu den Buren in der Hitze
Ueberging'n voll Ungeduld —
Daran — wer nicht dort gewesen
Rann es aus den Blättern lesen —
waren nur die Esel schuld!
Ieyo jagte wie das Wetter
Sieg auf Sieg sich! Extrablätter
Ründeten der Briten Glück:
Immer, wenn sie unverdrossen
Tausend Buren todtgeschossen,
Gingen siegreich sie — zurück!
Und so haben sie sich heiter
Bis nach Ladeschmidt und weiter
Glorios zurückgesiegt ....
Schmeißt sie ganz aus Afrikanien,
Bis die Olle von Britannien
Glorios zu Rreuze kriegt!
Ach — und gleich vor Freud' des Todes
wär ich, kriegten sie den Rhodes
Und verhauten ihm die Hos!
Und erwischten sie den Iameson,
Gott, wie würd' ich jubeln: „Nehm' Sen
Aber lassen Sen nicht los!"
Bei den Schweinsohr',: die zu fassen
Und ein bischen strampeln lassen,
Bis die Schufte gelb und grün,
Fünfzig jedem hinten über
Und mit Preußisch-Blau darüber
Eingebrannt: God save the Queen!
Räm' es anders — wär es schade!
Doch ich denk, mit Lhokolade
Macht's Victoria auch nicht wett . . .
Nein, die Buren bleiben Sieger
Und der brave Onkel Rrüger
Gibt dem Räuberpack sein Fett!
Georg Bötticher
840
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tatton „Heber den Zusam-
menhang der thierischen
Natur des Menschen mit
seiner geistigen" schon
deutlich entwickelt finden. Freilich bekundet
der Brief eine so tiefe Erfassung der Welt-
anschauung Kant's, wie nur wenige Fach-
xhilofoxhen sie bisher gezeigt haben; doch be-
weist gerade dieser Brief, in welchem das Trans-
fcendentale und das Empirische (ohne den Ge-
brauch dieser abschreckenden Namen) einander
entgegengesetzt und gegen einander abgewogen
werden, wie völlig unabhängig Schiller ist.
Kant hat den Denker in Schiller geweckt;
außerdem bildete der heilige Ernst des Lebens
ein rein menschliches Band zwischen beiden
Männern; doch wo Anfangspunkt und End-
punkt verschieden sind, muß auch der weg ein
verschiedener sein. Das ist auch der Fall. Das
was Kant weder konnte noch — bei der beson-
deren Natur seines Lebenswerkes — hätte wollen
dürfen, nämlich das Gestalten des Lebens, bildet
den Inhalt von Schiller's Werk. „Ein Marmor-
block, obgleich er leblos ist und bleibt, kann darum
nichts desto weniger lebende Gestalt durch den
Architekt und Bildhauer werden; ein Mensch,
wiewohl er lebt und Gestalt hat, ist darum
noch lange keine lebende Gestalt. Dazu gehört,
daß seine Gestalt Leben, und sein Leben Ge-
stalt sei" (Brief *5). In diesen Worten liegt
Schillers Können und wollen, sowie der be-
sondere Zweck dieser Briefe eingeschlossen. Das
Ziel ist: dem Menschen eine höhere würde zu
ertheilen; das Mittel: die Befreiung; das
Werkzeug: die „ästhetische Erziehung", das
heißt die systematische Ausbildung desjenigen
Triebes im Menschen, den Schiller den „Sxiel-
trieb" nennt. Er weist überzeugend nach, daß
„die Aufklärung des Verstandes" nicht ver-
edelnd wirkt und daß die Eivilisation, weit
entfernt uns Freiheit zu schenken, zunächst nur
neue Bande beängstigend um uns schnürt"
(Brief 5). Ebenso überzeugend zeigt er, daß
„das Schöne und die Stimmung, in die es
unser Gemüth versetzt," wenn es auch „gleich
ungeschickt ist, den Charakter zu gründen und
den Kopf aufzuklären," doch das einzige
Mittel darbietet, den Menschen aus dem Frohn-
dienst einer blind befehlenden Natur zu befreien
und ihm die Fähigkeit zu verschaffen, „aus
sich selbst zu machen was er will" (Brief 2j).
Es handelt sich um eine Grientirung des Wil-
lens nach einer bestimmten „Richtung" und
um einen bewußten schöpferischen Akt (Brief 9).
Nicht Schwärmerei, nicht Außerachtlassung der
gegebenen Lebensbedingungen wird man —
wie bloße, leblose Stubengelehrte tadelnd ge-
meint haben — in diesen Briefen finden, son-
dern im Gegentheil, den Paroxysm einer ge-
waltigsten, glühendsten Lebenskraft, den ersten
und hoffentlich entscheidenden Schritt zur Er-
zeugung eines neuen Geschöpfes. Vor allem for-
dert Schiller Kühnheit von uns. „Erkühne
Dich, weife zu fein! Energie des Muthes ge-
hört dazu, die Hindernisse zu bekämpfen, welche
sowohl die Trägheit der Natur als die Feigheit
des Herzens der Belehrung entgegensetzen"
(Brief 8). Der Mensch muß seiner Freiheit
bewußt werden; er muß klar erkennen, daß
er „die Anlage zu der Gottheit unwidersprech-
lich in seiner Persönlichkeit trage" (Brief u);
schließlich muß er wollen.
„Und einzig veredelt die Form den Gehalt,
Verleiht ihm, verleiht sich die höchste Gewalt"
sagt Goethe. Den Besitz dieser „höchsten Ge-
walt" — der göttlichen — soll der Mensch er-
streben; durch ihn wird er „den Wirkungen
der Materie unverletzlich" (Brief 25); die Aus-
bildung der Fähigkeit freier Gestaltung wird
dahin führen. Schon unsere höheren Sinne
weisen diesen weg, denn „Auge und Dhr
wälzen die andringende Materie hinweg . . .
und führen blos durch den Schein zur Er-
kenntniß des wirklichen" (Brief 26).
Bewußte freie Gestaltung: das ist die
Guinteffenz dieser an das Geschlecht der Men-
schen gerichteten Ermahnung. Von außen her
können wir nur Einiges erreichen; was der
Staat leisten kann, ist ein Minimales (Brief ?);
von innen heraus dagegen vermögen wir es,
einen wirklichen Fortschritt zu vollführen, in-
dem wir uns durch die unermeßliche Kraft des
Willens zu einer neuen, höheren Erscheinung
des Lebens emxorschwingen.
Gedankenfülle, Freiheit, Schönheit: sie strah-
len uns aus diesem unvergänglichen Werke
entgegen, denn sie bilden die drei Grundzüge
der unsterblichen Persönlichkeit, welche es schuf.
Zu einer Neugeburt, und das heißt zu neuer
Jugend, weist uns Schiller den weg; daher
jubelt ihm die Jugend jeder Generation als
ihrem Altersgenossen zu, darum fühlt sich der
Aeltere verjüngt, sobald die Liebe zu Schiller in
seinem Kerzen neu auflebt.
Das Lied vom Burenkriege
Melodie: Prinz Eugen, der edle Ritter rc.
Zwischen Burenvolk und Briten
ward das Tischtuch jüngst zerschnitten;
Bald darauf vernahm man auch
Lautes Fleh'n von beiden Heeren:
„woll' uns, Herr, den Sieg bescheeren!"
(wie das so Geschäfts-Gebrauch.)
Und der Herrgott unter Lachen
Sprach: „Es beiden recht zu machen,
Ist hier, ausnahmweis, nicht schwer:
Siegt, Ihr Briten, mit
dem Maule
Aber Du, mi file Paule,
Hau die Bande kreuz und quer!"
Und so kam's. Nur an der Sprache
Liegt es, das ist keine Frage,
Denn die Briten lügen nie!
wer je.englisch hat getrieben,
weiß: defeat wird es geschrieben,
Ausgesprochen: victory!
Gleich beim allerersten Stoße
Ram die Nachricht, die famose:
Großer Sieg von Engeland!
Ein'ge Lompagnie'n verschwanden,
Die sich aber wiederfanden
(In prätoria, wie bekannt).
Daß die britischen Geschütze
Zu den Buren in der Hitze
Ueberging'n voll Ungeduld —
Daran — wer nicht dort gewesen
Rann es aus den Blättern lesen —
waren nur die Esel schuld!
Ieyo jagte wie das Wetter
Sieg auf Sieg sich! Extrablätter
Ründeten der Briten Glück:
Immer, wenn sie unverdrossen
Tausend Buren todtgeschossen,
Gingen siegreich sie — zurück!
Und so haben sie sich heiter
Bis nach Ladeschmidt und weiter
Glorios zurückgesiegt ....
Schmeißt sie ganz aus Afrikanien,
Bis die Olle von Britannien
Glorios zu Rreuze kriegt!
Ach — und gleich vor Freud' des Todes
wär ich, kriegten sie den Rhodes
Und verhauten ihm die Hos!
Und erwischten sie den Iameson,
Gott, wie würd' ich jubeln: „Nehm' Sen
Aber lassen Sen nicht los!"
Bei den Schweinsohr',: die zu fassen
Und ein bischen strampeln lassen,
Bis die Schufte gelb und grün,
Fünfzig jedem hinten über
Und mit Preußisch-Blau darüber
Eingebrannt: God save the Queen!
Räm' es anders — wär es schade!
Doch ich denk, mit Lhokolade
Macht's Victoria auch nicht wett . . .
Nein, die Buren bleiben Sieger
Und der brave Onkel Rrüger
Gibt dem Räuberpack sein Fett!
Georg Bötticher
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