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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 4.1899, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 51 (18. Dezember 1899)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3779#0406
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1899

JUGEND

Nr. 51

Lin neues WnternmW

von Heinrich Heine
Mitgetheilt von Fritz von Ostini
II. Theil
Kaput VIII

Der Wagen Ihat einen jähen Ruck,

Der warf mich fast auf die Nase;

Ein Schaffner donnerte laut mich an:
„Aussteigen! Friedrichstrabe!"

Wild fuhr ich empor. Ich hatte so schön
Geträumt von uralter Mythe,

Von König Rothbart und seinem Berg,

Ich wollt' ihm machen Visite.

Doch wie ich den Heldensaal betrat,

Wo einst der Alte thronte,

Ersah ich gleich, daß dies schöne Lokal
Kein Kaiser mehr bewohnte.

Ich sah den Tisch aus Marmelstein
Von Moos und Alter zerfressen,

Ein Büschel röthlichen Barthaars nur
Erzählet, wer da gesessen.

Der Thron war von den Mäusen zernagt
Und Schimmel deckte das Leder
Des Sitzes — auf dem Boden lag
Eine schwarze Rabenfeder.

Kein Knappe schnarchte, kein Roß hat gescharrt,
Es blinkte kein Waffmgeschmeide.

Geschrieben war an die dunkle Wand
Ein R. I. P. mit Kreide.

Verwundert stand ich — da that's einen Ruck,
Fast fiel ich auf die Nase:

„Aussteigen!" rief im Posaunenbaß
Der Schaffner, „Friedrichstraße!"

Kaput IX

Berlin! Berlin! Ich war in Berlin,

Das war ein Klappern und Schwirren,

Ein Riesenspektakel, ein Wagengeroll,

Den festesten Kopf zu verwirren!

Ein Rennen, ein Jagen, ein

Stimmengebraus,

Ein Schreien, ein Kreischen, ein Tuten —

Wie ein geängstiger Häring durchschwamm
Ich diese Menschenfluthen.

Und Alles erschien mir fremd und neu,

Die Leutnants blos, die famosen,

Die sahen noch ganz wie früher aus,

Blos trugen sie weitere Hosen.

Sie hatten den alten, zerschmetternden Blick,

Der jeden Bürger durchschauert,

So, daß er die Frechheit, geboren zu sein,

Mit höflicher Demuth bedauert.

Sie trugen den Schnurrbart so kühn gewichst,

In stolzen und spitzigen Zwickeln,

Als sollte er sagen: „Es ist erreicht,

Man kann sich nicht höher entwickeln!"

Geschoben, gestoßen, getreten, geschubst
Bon seitwärts, von vorne und hinten,

So kam ich, ich wußte selber nicht wie?
Urplötzlich unter die Linden.

Die Bäume waren gewachsen nicht
Seit damals, aber die Häuser —

Auf einmal vernahm ich den tosenden Ruf:
„Der Kaiser! Der Kaiser! Der Kaiser!"

Es theilten Soldaten mit klingendem Sviel
Alsbald das wilde Gedränge,

Voran ritt Einer im Adlerhelm,

Den grüßte fröhlich die Menge. —

Und wie an mir der Reiterzug
Vorbei war — mit einem Male
Verstand ich jenes R. I. P.

Ju Rothbarts verlassenem Saale.

Kaput X

Nun weiß ich Alles! Ein alter Herr,

Der mir gegenüber im Sessel
Behaglich saß bei seinem Chablis,

Erzählte es mir bei Dressel. —

Nun weiß ich Alles: sie haben ein Reich
Und Kaiser und Kanzler und Flotte —

Der deutsche Michel ist aufgewacht
Und Keiner hat Lust mehr zum Spotte!

Sie haben das stärkste Heer auf der Welt,
Gefürchtet ob seiner Courage —

Sie haben sogar ein Parlament
Zum Reden und auch zur Blamage!

Sie sitzen nicht mehr im Völkersaal
Am Katzentischlein hinten —

Man hat nun Respekt vor dem deutschen Geist
Und vor den deutschen Flinten.

Sie haben sogar — natürlich mit Maß! —
Preßfreiheit, was Keiner geglaubt hat,

Und Jeder darf drucken, was er will,

Wenn der Staatsanwalt es erlaubt hat.

Doch immerhin: auch der Staatsanwalt
Kann heute Dinge vertragen,

Für die man Einem zu meiner Zeit
Den Kopf hätt' abgeschlagen! —

Sie haben Kolonien sogar
Und Schiffe vor fremden Ländern —
Wahrhaftig ein halbes Säkulum,

Das kann ein Volk verändern!

Paul Rieth (München)

haben

„Man muß Ihnen gratulieren Herr Baron, Sie
den blauen Adlerorden bekommen —"

„Aber lieber Herr Hofmarschall, ich bitte Sie — darauf
braucht man sich wahrhaftig nicht viel einzubilden: den kriegt
ja heutzutage schon jeder Universitätsprofessor!"

Ich höre, daß Frankreich und Engelland
Vor Neid auf die Deutschen bersten,

Die einst in Allem die Letzten unb
Die bald nun in Allem die Ersten!

Man hat die deutsche Industrie
Allorts zum Muster erkoren!

Und die deutschen Soldaten, die deutsche Musik
Und die deutschen Professoren!

Wie quoll das Herz, wie brannte der Kops
Mir altem Nörgler und Reimer —

Ich trank mir vor Wonne einen Zopf
In güldenem Rüdesheimer!

Kaput XI

Durch diesen Zopf für den nächsten Tag
Einen Katzenjammer erwarb ich,

Da sah ich die Welt und speziell Berlin
Nicht mehr so rosenfarbig!

Und da meine Seele nach einem Bad
Verlangte, sich d'rin zu erfrischen,

Beschloß ich, mich in's Publikum
Des deutschen Reichstags zu mischen.

Doch als ich auf der Tribüne saß
Und Jeder sagte sein Sprüchel,

Da merkte ich bald: im Grunde ist's
Halt doch noch der alte Michel!

Er hat nicht allzu viel dazu
Gelernt und wenig vergessen,

Ein Rundblick von des Kirchthurms Höh'

Begrenzt seine Interessen!

Sie zankten sich um des Kaisers Bart
Als wuthentbrannte Streiter,

Ein Jeder hörte sich selber zu
Und Alle kamen nicht weiter!

Da war die feudale Junkerpariei,
Blaublütig bis in die Nieren,

Die wollten ihr Recht von ururur-
Uralten Zeiten datiren!

Sie stelzten einher, als trügen sie
Den Stechhelm noch auf dem Scheitel,

Und gingen dabei doch unbeirrt
Durch's Land mit dem Klingelbeutel!

Da waren die Rothen! Die, sagten sie,
Bekämpften soziale Uebel,

Und sie begossen zu diesem Zweck
Ihr Land aus duftigem Kübel.

Sie schlugen sich für die Freiheit in Wort
Und Schrift, begeist'rungstrunken —

Und Jeder, der anderer Meinung wär',

Den nannten sie einen Halunken!

Da sah ich auch wieder, seist und zäh,

Die schwarzen Gesellen beim Handel —

So sehr die Zeiten sich ändern, für die
Gibt's keinen Fortschritt und Wandel!

Sie eskomptiren mit altem Geschick
Die Wechsel aufs ewige Leben
Und kommen dabei auch nicht zu kurz
In ihrem irdischen Streben.

(Was hatt' ich für Angst, das Paradies
Wär auch mit ihnen gesegnet —

Parole ä'üonnenr: ich habe dort
Noch Keinen von ihnen begegnet!)

Da schacherten sie dann stundenlang
Um die allerwichtigsten Chosen,

Wie polnische Juden um greise Schuh'

Und abgelebte Hosen! —

Das also war das Parlament,

Des alten Traumes Gewährung?

Ich glaube, mit ziemlich stupidem Gesicht
Besah ich mir die Bescherung!

Im Grunde schien mir's fast, als ob
Der gute Michel noch schliefe
Und sähe die Welt noch immer aus
Der Maulwurfperspektive!
Register
Fritz Frh. v. Ostini: Ein neues Wintermärchen
Paul Rieth: Der blaue Adlerorden
 
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